Bosch-Tochter Azena: Plattform für "smarte Videoüberwachung"

Die Bosch-Tochter Azena setzt auf ein Kamera-Betriebssystem und einen App-Store für "intelligente Videoanalyse-Technik". Bürgerrechtler warnen vor Missbrauch.

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(Bild: Scharfsinn/Shutterstock.com)

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Bosch schickt sich als einer der weltweit führenden Entwickler von Überwachungskameras an, auch den Markt für "intelligente Videoanalyse-Technik" aufzumischen. In den vergangenen drei Jahren hat der Konzern zig Millionen Euro in die hundertprozentige Tochter "Security and Safety Things" investiert. Das in München sitzende Start-up hat Bosch im September in Azena umbenannt. Entstehen soll eine der maßgeblichen Plattformen für "smarte Videoüberwachung" über das Internet der Dinge.

Mit diesem Ansatz will Azena Kamerahersteller, Anwendungsentwickler, Systemintegratoren und Anbieter von Videomanagementsystemen zusammenführen. So sollen Innovationen im Bereich Sicherheitskameras und -anwendungen auf der Basis Künstlicher Intelligenz (KI) und des "computergestützten Sehens" beschleunigt werden, schreibt die Firma. Dafür stelle man "ein kostenloses, offenes Betriebssystem für Sicherheitskameras, ein Toolkit für App-Entwickler, ein Portal zur Geräteverwaltung sowie einen App-Store für Integratoren bereit".

Vorbild sind die Smartphone-Betriebssysteme iOS und Android sowie die App-Stores von Apple und Google für mobile Anwendungen. "Am Ende wird es nur zwei oder drei Betriebssysteme für Kameras geben, die den Markt dominieren", erklärte Azena-Chef Hartmut Schaper gegenüber dem Spiegel und dem Online-Magazin The Intercept, die dem Start-up in gemeinsam recherchierten Berichten auf die Finger schauen. Man hoffe, mit dem eigenen Ansatz einer dieser entscheidenden Akteure für Überwachungs-Apps zu werden.

Der Azena-App-Store bietet nach Firmenangaben rund 100 Programme für die "KI-gestützte Videoanalyse" für mehr als 40 verschiedene Anwendungsfälle in über 25 Branchen. Die Spannbreite der Lösungen reiche "von traditionellem Perimeterschutz über Schwundvermeidung und Besucherzählung im Einzelhandel bis hin zu Sicherheit in Stadien oder sogar speziellen Anwendungen in der Fischzucht". Entwickler, die ihre Systeme über den Store vertreiben, müssen dafür einen Teil ihrer Umsätze abdrücken.

Laut Azena ist die Plattform unter anderem in der Amsterdamer Johan Cruijff ArenA im Einsatz. Ein Ölförderungsunternehmen setzte auf Kameras mit dem Betriebssystem des Unternehmens, damit Wartungstechniker Pumpen auf dem Ölfeld aus der Ferne auf mögliche Störungen überprüfen können. Ein Chemiekonzern überwache seine Fertigung auf Rauchentwicklung.

Auf dem sich rasch entwickelnden Gebiet der Videoanalyse gibt es laut den beiden Magazinen einen wachsenden Markt für Software, die Kameraaufnahmen in eine Reihe von Datenpunkten über Personen, Objekte und Standorte umwandelt. Die über Azena vertriebenen Anwendungen setzten unter anderem auf die – überwiegend biometrische – Erkennung von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, Gesicht, Emotionen und verdächtigem Verhalten, obwohl es viele Bedenken rund um die tief in die Grundrechte einschneidende Natur solcher Technik gebe.

Öffentlich zugängliches Überwachungsmaterial will die Firma nutzen, um Algorithmen für die Videoanalyse zu trainieren: In einer Infografik auf ihrem Online-Portal für Entwickler ist den Berichten zufolge davon die Rede, dass Kameranutzer "über Crowd-generierte Daten zu Verbesserungen beitragen können".

Datenschützer und IT-Sicherheitsforscher beunruhigt der Kurs. Die Azena-Plattform beschleunige die Verbreitung "schädlicher KI-Systeme", die Menschen diskriminierten und auf "pseudowissenschaftlichen" Erkenntnissen beruhten, monierte Sarah Chander von der Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) gegenüber Spiegel und Intercept. Das sei Überwachungskapitalismus pur.

Vorwürfe, Azena hinke bei der Schließung bekannter Schwachstellen des auf Android basierenden Betriebssystems hinterher, weist das Unternehmen zurück. Ein eigenes Team prüfe regelmäßig, ob Sicherheitsupdates von Google für das Azena-System relevant seien. Laut seiner Entwicklerdokumentation prüft das Unternehmen potenzielle Anwendungen "auf Datenkonsistenz" und führt einen Virencheck durch, bevor es sie in seinem App-Store veröffentlicht.

Der Bundesrat warnte jüngst vor einem "uneingeschränkten Einsatz von KI-Systemen zur Identifizierung von Personen aufgrund biometrischer Daten sowie von Emotionserkennungssystemen durch private Unternehmen". Dabei bestehe die Gefahr, "dass personenbezogene Daten unter Missachtung der Zweckbindung" zu "umfassenden Profilbildungen und zur Verfeinerung manipulativer Methoden der Beeinflussung von Verbraucherentscheidungen verwendet werden". Auch das Potenzial für Fehleinschätzungen und damit verknüpften "erheblichen nachteiligen Folgen" sei hoch.

(olb)