Gigabit-Netze: EU-Kommission mit neuem Anlauf für Kostenbeteiligung von Big Tech

Für den weiteren Aufbau der digitalen Infrastruktur bringt die EU-Kommission erneut eine von großen Plattformen zu zahlende Infrastrukturabgabe ins Spiel.

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Große Rollen mit orangefarbenem Glasfaserkabel zur Verlegung im Boden an einer Baustelle in Beber, Niedersachsen.

(Bild: juerginho/Shutterstock.com)

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Die EU-Kommission will nicht von ihrem Steckenpferd lassen, die großen Tech-Konzerne an den Infrastrukturkosten der Netze zu beteiligen. Bei einer Konsultation der Brüsseler Regierungsinstitution sprach sich zwar eine große Mehrheit der Teilnehmer gegen Pläne für eine solche Infrastrukturabgabe für große Plattformbetreiber wie Amazon, Apple, Google, Meta, Microsoft und Netflix für den Glasfaser- und 5G-Ausbau aus. Trotzdem taucht der als "Fair Share" oder "Sender Pays" bekannte Ansatz nun wieder in einem Entwurf der Kommission für den "Aufbau der digitalen Infrastruktur Europas von morgen" auf, das am Mittwoch veröffentlicht werden soll.

Laut dem EU-Politikprogramm "Weg in die digitale Dekade" sollen "alle Marktakteure, die vom digitalen Wandel profitieren", soziale Verantwortung übernehmen und "einen fairen und verhältnismäßigen Beitrag zu den öffentlichen Gütern, Dienstleistungen" sowie zum Netzausbau leisten. Vor allem die Deutsche Telekom, Orange, Telefónica und Vodafone sowie der Branchenverband ETNO machten sich zuvor immer wieder für eine solche Datenmaut stark. Für die Realisierung der Gigabit-Gesellschaft, in der Dienste mit extrem geringer Latenz wie eigenständiges 5G oder Glasfaser für alle verfügbar sind, hat die Kommission einen Investitionsbedarf von über 200 Milliarden Euro veranschlagt.

In dem Weißbuch werfe die Kommission nun die Frage auf, ob Telekommunikationsfirmen diese hohe Summe aufbringen könnten, schreibt das Portal Euractiv. Sie befürchte, dass eine potenzielle Zurückhaltung der Anleger auf die Fragmentierung des europäischen Telekommunikationsmarktes zurückzuführen sein könnte. Deswegen hole die Kommission wieder den schon totgeglaubten Vorschlag der Big-Tech-Kostenbeteiligung aus der Schublade, wonach die Konzerne mit dem größten Verkehrsaufkommen im Internet einen proportional zu ihrem Bandbreitenverbrauch angemessenen Beitrag für die Instandhaltung und den Ausbau der Netze zahlen sollen.

Schon vorher war aus Brüsseler Kreisen zu hören, die neue Initiative solle eingebettet werden in eine größere Vision, wie alle kommerziellen Akteure im Internet unter der "Prämisse der Netzneutralität" besser zusammenarbeiten können. Die Kommission will dem Bericht zufolge mit dem Strategiepapier in diesem Sinne etwa auch die Regulierung des wachsenden Cloud-Markts mit angehen und die Vorgaben für darauf aktive IT-Größen mit denen für Netzbetreiber stärker angleichen.

"Autos, die miteinander kommunizieren, Ärzte, die ihre Patienten aus der Ferne betreuen, und andere zukünftige Anwendungen, die das Geschäft erleichtern und das Leben der Bürger verbessern, hängen von der Verfügbarkeit leistungsstarker digitaler Infrastrukturen ab", zitiert Euractiv aus dem Entwurf. Nach Ansicht der Kommission sei die Zukunft der Telekommunikation so mit den Prozessen der "Softwarisierung" beziehungsweise "Cloudifizierung" des Marktes verbunden, also dem Zusammenwachsen von Cloud-Infrastrukturen und Telekommunikationsdiensten. Dies werfe die Frage auf, ob für alle Akteure nicht gleichwertige Regeln gelten sollten.

Die jüngsten technologischen Veränderungen bieten demnach "die Möglichkeit, den Betrieb elektronischer Kommunikations- und Cloud-Dienste an die Entwicklung gesamteuropäischer Kernnetzbetreiber anzupassen". Zugleich sollten alle Akteure des digitalen Netzwerkökosystems zusammenarbeiten, "um eine effiziente Nutzung der Ressourcen zu gewährleisten". Dabei habe die Kommission etwa den CO₂-Fußabdruck, die erforderliche Transparenz über Emissionen und die Umweltauswirkungen etwa von Einstellungen der Videoauflösung beim Streaming im Blick.

Jüngst setzte sich die Präsidentin der französischen Regulierungsbehörde Arcep, Laure de la Raudiere, dafür ein, dass Big-Tech-Konzerne für den von ihnen verursachten ökologischen Fußabdruck finanziell zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Ihrer Ansicht nach sind die Plattformbetreiber dafür verantwortlich, das Laden von Filmen in hoher Auflösung standardmäßig einzustellen oder Videos in den Cache für eine nahtlose automatische Wiedergabe für soziale Medien wie Instagram, TikTok oder YouTube zu laden. Folglich führt der erhöhte Datenverkehr zum Kauf neuer Endpunkte im Netz, die für 80 Prozent des digitalen CO₂-Fußabdrucks verantwortlich seien.

Auch das Ansinnen von Binnenmarktkommissar Thierry Breton, globale Champions im Telco-Sektor aufzubauen, spiegelt sich laut dem Bericht in dem Weißbuch wider. So sei die Rede davon, dass es in der EU "ungefähr 50 Mobilfunkbetreiber und mehr als 100 Festnetzbetreiber" gebe, während es an grenzüberschreitend tätigen europäischen Telekommunikationsgrößen mangele. Mit dieser Idee, die Fusionskontrolle zugunsten einiger weniger "europäischer Champions" zu lockern, geht die Kommission bereits seit zehn Jahren schwanger.

(mho)