Britische Rundum-Überwachung: Millionen Gesichtsbilder rechtswidrig gespeichert​

Fraser Sampson, britischer Beauftragter für Videoüberwachung, schlägt Alarm: Das Königreich praktiziere Rundum-Überwachung, die mit KI noch gefährlicher werde.​

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Schild "WARNING - Area under recorded video surveillance. DO NOT rely on these cameras for your safety."

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.

Schwere Vorwürfe gegen den Staat erhebt der britische Beauftragte für Videoüberwachung sowie für das Speichern und Nutzen biometrischer Materialien, Fraser Sampson. Kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt am Dienstag warnt er: Großbritannien habe sich zu einer Gesellschaft der Rundum-Überwachung ("Omni-Surveillance") entwickelt. Einen Beleg dafür sieht der Rechtsanwalt darin, dass die Polizei verdachtsunabhängig Berge von Gesichtsbildern weiter vorhalte, obwohl ihr das gerichtlich untersagt worden sei.

Dies sei ein Unding angesichts der ständig verbesserten Fähigkeiten von Systemen mit Künstlicher Intelligenz zur biometrischen Gesichtserkennung. Das Recht halte mit derlei technischen Entwicklungen längst nicht mehr mit.

Es gebe im Vereinigten Königreich kaum noch Orte, "die von niemandem beobachtet werden", monierte Sampson gegenüber dem Guardian. Der entsprechende Regulierungsrahmen sei "inkonsistent, unvollständig und in einigen Bereichen inkohärent". KI-Fortschritte ermöglichten es, Millionen von Bildern innerhalb weniger Augenblicke zu durchsuchen. Bei der Polizei gebe es aber keine ausreichenden Kontrollmechanismen für den Einsatz solcher Technik, für den Privatsektor fast gar keine Regeln. So könnten Aufnahmen breit geteilt werden – etwa mit Fahndern, anderen staatlichen Stellen oder ausländischen Regierungen.

2012 habe der High Court, das Obergericht von England und Wales, den Ermittlern aufgetragen, Fahndungsfotos von Personen zu vernichten, die nie wegen einer Straftat angeklagt wurden, berichtet der Kontrolleur. Dies habe etwa Umweltaktivisten betroffen. Trotzdem seien die geschätzt rund drei Millionen Gesichtsbilder bis dato nicht gelöscht. Dies sei besonders bedenklich, da sie inzwischen zur Überwachung von Menschenmengen mithilfe von KI-Systemen verwendet werden könnten.

Als Begründung gab die Polizei Sampson zufolge an, die Fotos würden in einer Datenbank aufbewahrt, "die keine Funktion zum massenhaften Löschen hat". Er habe dies nicht als Verteidigung gelten lassen, da die Ordnungshüter das System selbst programmiert hätten. Die Polizei arbeite daher an einer Migration der Aufnahmen in eine neue Datenbank. Aus dieser sollten dann zunächst alle Fotos, die noch verwendet werden dürften, in wieder ein anderes System überführt werden. Der Rest soll dann endlich gelöscht werden. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Polizei dürfte ein derart umständlicher und um elf Jahre verzögerter Plan nicht stärken.

Besorgt zeigt sich der Honorarprofessor auch, weil die Regierung Kameras des umstrittenen chinesischen Anbieters Hikvision nur noch von "sensiblen" Orten etwa in den Bereichen Verteidigung und Geheimdienste verbannen will. Zunächst war ein weitergehendes Verbot im Gespräch. Er persönlich würde sich weigern, eine einschlägige Bodycam zu tragen und auf seinen Eid verweisen, erklärte der Ex-Polizist.

Hikvision habe Gespräche mit ihm nur auf Basis einer Verschwiegenheitserklärung führen wollen – was das Unternehmen in Abrede stellt. Es habe Dutzende Regierungsbeamte und Abgeordnete lediglich darum gebeten, Geschäftsgeheimnisse zu wahren, was alle anderen zugesichert hätten.

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Ein Sprecher des britischen Innenministeriums betonte: "Neue Technik ist der Schlüssel zu effektiverer und effizienterer Polizeiarbeit, und wir unterstützen die Polizeikräfte dabei, Technik wie Gesichtserkennung auf faire und verhältnismäßige Weise einzusetzen." Das EU-Parlament drängt dagegen auf ein Verbot biometrischer Massenüberwachung.

Großbritannien gilt als Mutterland des Überwachungssystems CCTV (Closed Circuit Television) und als umfangreich beschattete Nation. Ein britischer Branchenverband schätzte schon vor zehn Jahren, dass allein staatliche Stellen im ganzen Land rund 70.000 Überwachungskameras betrieben. Zusammen mit dem privaten Sektor waren es damals bereits vier bis sechs Millionen. In London sollen mit Stand Juli 2022 rund 13,4 Kameras auf 1000 Einwohner gekommen sein. Vorn liegen längst chinesische Großstädte wie Schanghai oder Peking mit mehr als sieben Millionen solcher Geräte, was etwa 373 pro 1000 Einwohnern entspricht.

(ds)