Bundestag: Das NetzDG ist tot, es lebe das Digitale-Dienste-Gesetz

Das vom Bundestag beschlossene Digitale-Dienste-Gesetz soll einen neuen Rahmen gegen Hass, Hetze und Desinformation im Netz bilden. Es gibt Lob und Kritik.

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(Bild: Mummert-und-Ibold/Shutterstock.com)

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Mit der Koalitionsmehrheit von SPD, Grünen und FDP hat der Bundestag am Donnerstag gegen die Stimmen von CDU/CSU und AfD das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) verabschiedet. Die Gruppe der Linken enthielt sich. Die Initiative zielt darauf, Vorgaben aus dem Digital Services Act (DSA) der EU umzusetzen und das einschlägige Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) weitgehend sowie das Telemediengesetz (TMG) komplett aufzuheben. Das europäische Plattformgesetz greift bereits seit Mitte Februar vollständig für alle betroffenen Online-Portale, sodass der Gesetzesbeschluss mindestens einen Monat zu spät kommt. Grund für die Verzögerung war, dass sich die deutschen Ministerien lange nicht einigen konnten, wer für die DSA-Durchsetzung hierzulande zuständig sein soll.

Der DSA selbst gibt einen EU-weiten Rahmen für den Kampf gegen Hass, Hetze und Desinformation im Netz vor. Die Verordnung verpflichtet schon seit August Konzerne und Dienste wie Facebook, Instagram, YouTube, TikTok und X zu prüfen, ob von ihren Plattformen Risiken etwa für die Demokratie und Wahlen ausgehen. Ob sie das wirksam tun, muss nicht zuletzt die zuständige Aufsichtsbehörde kontrollieren. Zum Koordinator für Digitale Dienste (KDD) hat das Parlament nun eine neue unabhängige Stelle bei der Bundesnetzagentur bestimmt. Mit für die Aufsicht zuständig sind neben dem Digital-Services-Coordinator (DSC) die Landesmedienanstalten, die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz sowie der Bundesbeauftragte für den Datenschutz. Der Bundesrat drängt hier aber auch auf Befugnisse für die Länder.

Den Regierungsentwurf für das DDG änderte der Bundestag über einen Antrag des Digitalausschusses noch an einigen Stellen ab. So haben die Abgeordneten etwa die Anforderungen an den DSC konkretisiert. Danach muss die Leitung der Koordinierungsstelle über die "erforderliche Qualifikation, Erfahrung und Sachkunde" verfügen. Die Position soll zudem in einem Ausschreibungsverfahren allein durch den Präsidenten der Bundesnetzagentur ausgewählt werden. Ministerien und Bundestag haben offiziell kein Mitspracherecht. Bewerber dürfen zudem nicht gleichzeitig ein Digitalunternehmen leiten oder innehaben.

Der DSC soll ferner ein leicht zugängliches und benutzerfreundliches Beschwerdemanagement-System einrichten und so getroffene Entscheidungen transparent machen. Bürgerrechtler liefen vorab gegen die mit der DSA-Umsetzung verknüpfte "Datenflut" ans Bundeskriminalamt (BKA) Sturm. Denn Plattformen müssen diesem bei dem Verdacht auf Straftaten, die eine Gefahr für das Leben oder die Sicherheit von Personen darstellen, bestimmte Nutzerdaten übermitteln. Die Volksvertreter versuchten diese Bedenken damit abzumildern, dass das BKA von 2025 an jährlich der Regierung Bericht über die eingegangenen Hinweise erstatten muss. Darin soll die Art und Anzahl der gemeldeten Straftaten erfasst sein. Die Vorsitzende des Ausschusses für Digitales, Tabea Rößner, betonte, man habe auch in der DDG-Begründung "die Kompetenzen des BKA deutlich konturiert".

Der geplante 16-köpfige Beirat bei der Koordinierungsstelle wird dem Beschluss zufolge Informationsansprüche erhalten. Berichte, Empfehlungen, Gutachten und Positionspapiere sollen zudem frei zugänglich veröffentlicht werden. Zum lange umkämpften Thema Websperren hat das Parlament klargestellt, dass diese auch bei Urheberrechtsverletzungen mit einer gerichtlichen oder behördlichen Anordnung als Ultima Ratio denkbar seien.

Mit einem Entschließungsantrag fordern die Abgeordneten die Bundesregierung ferner auf, die im NetzDG beibehaltenen Regelungen zum inländischen Zustellungsbevollmächtigten in das vorgesehene Gesetz gegen digitale Gewalt aufzunehmen. Zudem soll die aus dem TMG übernommene Impressumspflicht mit der gleichen Initiative so überarbeitet werden, dass sie eine hinreichende Transparenz und Erreichbarkeit sicherstellt, aber auch gefährdete Personen vor digitaler Gewalt schützt.

Julian Jarausch von der Stiftung Neue Verantwortung alias Interface sieht mit den Punkten Unabhängigkeit, Beirat und einem kleinen Forschungsetat von zunächst 300.000 Euro "vielversprechende Ansätze" für den deutschen DSC. Diese müssten aber alle mit Leben gefüllt werden, etwa durch die parlamentarische Kontrolle. Ein wichtiger nächster Schritt sei es, Budget und Personal für den DSC festzulegen und über seine Befugnisse aufzuklären. Matthias Spielkamp, Geschäftsführer von AlgorithmWatch, beklagte, dass mit der Verspätung "die Chancen enorm gesunken sind, die Plattformen schon im Vorfeld der Europawahl wirksam zu kontrollieren". So könne ein Antrag der zivilgesellschaftlichen Organisation auf Zugang zu Daten von Microsoft bei der Bundesnetzagentur nicht mehr rechtzeitig bearbeitet werden.

"Zum Erfolgsmodell wird der neue Rechtsrahmen nur, wenn er auch für die betroffenen Unternehmen funktioniert und der Plattformökonomie in Deutschland und Europa weiterhin Entfaltungsspielraum für Innovationen lässt", hob der IT-Verband Bitkom hervor. Unternehmen müssten etwa neue Meldeverfahren schaffen und wirksame Mechanismen für Nutzerbeschwerden etablieren. Dies mache eine enge Zusammenarbeit mit den Behörden nötig, wobei dem KDD-Beirat eine entscheidende Rolle zukomme.

Der eco-Verband der Internetwirtschaft kritisiert vor allem, dass der Gesetzgeber an Websperren festhält. Solche Blockaden seien "weder ein gangbares noch ein effizientes Mittel bei der Bekämpfung illegaler Inhalte im Internet". Im Gegensatz zum Entfernen rechtswidriger Inhalte auf Hosting-Ebene führten Netzsperren lediglich zu einer Zugangserschwerung, die jederzeit umgangen werden könne. Das "Notice and Take Down"-Verfahren sei besser: Anbieter von Online-Diensten würden damit verpflichtet, rechtswidrige Inhalte zu entfernen, sobald sie von diesen Kenntnis erlangen.

(mho)