Bundestagswahl 2021: Was die Parteien für Bildung und Schulen vorschlagen

Was soll in Schulen wie gelernt werden? Wie sieht Bildung aus und was ist die digitale Bildung, die von allen Parteien gefordert wird?

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(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Es ist nicht mehr lange hin: Am Sonntag, den 26. September, wird der neue Bundestag gewählt – und damit auch eine neue Bundeskanzlerin oder ein neuer Bundeskanzler, denn Angela Merkel tritt nicht mehr für die CDU/CSU an. In den nächsten Monaten und Jahren stehen entscheidende Weichenstellungen nicht nur für die Zukunft Deutschlands, sondern auch Europas und der Welt insgesamt an. Digitalisierung der Berufswelt und des kompletten Alltags beschäftigen die Menschen; und der Klimawandel – der nicht kommt, sondern längst da ist - erfordert einschneidende Maßnahmen, um nur zwei wichtige Themen zu nennen. heise online untersucht in einer neunteiligen Serie die Wahlprogramme der Parteien anhand der wichtigsten Themenfelder; im Anschluss wird eine Interviewserie mit den für Netzpolitik zuständigen Parteivertretern dies noch vertiefen. Bisher erschienen:

Die Corona-Pandemie hat das deutsche Schul- und Bildungswesen schwer getroffen und seine Reformbedürftigkeit offengelegt. Mit Ausnahme der AfD haben daher alle Parteien Vorschläge parat, wie es nach Corona weitergehen soll. Sie berufen sich dabei auf den Digitalpakt, den es auszubauen gilt. Für die AfD ist Digitalisierung kein Selbstzweck. Ihr ist es wichtig, islamische Einflüsse von den Schulen fern zu halten. Die Grünen fordern einen programmatischen Umbau der schulischen Bildung Richtung BNE. Das ist das Kürzel von "Bildung für nachhaltige Entwicklung". Die Grünen, die SPD und die Linke fordern, im Bildungssystem Open-Source-Software zu benutzen.

Im Bildungswesen soll das "Unionsversprechen" ein Aufstiegsversprechen sein, mit guten, modernisierten Schulen. Aus der Corona-Pandemie nehmen die Christdemokraten die Lehre mit, dass beim digitalen Lernen die Familienfreundlichkeit im Vordergrund stehen muss. Im Lockdown hätten junge Familien mit Schulkindern und sozial benachteiligte Familien besonderes unter den Lebens- und Lernbedingungen gelitten. Für sie möchte die CDU/CSU die Initiative Schule macht stark ausbauen.

Die CDU/CSU möchte digitale Bildung stärken. In den Schulen sollen die Schülerinnen und Schüler digitale Kompetenzen erwerben. "Diese umfassen ein technisches und informatisches Grundverständnis ebenso wie Medienkompetenz. Dabei geht es insbesondere um die Fähigkeit, Medien zu nutzen, Inhalte sowie die Funktionsweise von digitalen Technologien und künstlicher Intelligenz zu bewerten." Außerdem sollen die Schulen das Wissen vermitteln, wie man sich gegen Cybermobbing und Cyberbullying in sozialen Netzwerken zur Wehr setzt. Damit digitale Kompetenzen gelehrt werden können, möchte die CDU/CSU bundesweite "Bildungskompetenzzentren" einrichten, in denen eine "qualitätsoffensive" Lehrerfortbildung durchgeführt wird.

Grundsätzlich sollen allen Menschen der Zugang zu digital gestützten Bildungsangeboten offen stehen. Zur Förderung dieser Angebote sollen 150 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Dazu planen die Christdemokraten eine eigene Offensive. "Wir werden ambitionierter sein und Möglichkeiten zum digitalen Lernen schaffen. Nicht jeder muss digital werden, aber wer digital werden möchte, sollte dazu Hilfestellung bekommen können. Dies kann zunächst analog in den Volkshochschulen geschehen und später dann über Lernplattformen oder andere Online-Angebote." Schließlich soll jeder Bürger die "Möglichkeiten einer digitalisierten Welt" nutzen können.

In ihrem Sonderwahlprogramm spricht sich die CSU für eine Digitalisierung aller Lernmaterialien aus. Über eine Änderung der Zulassungsverordnung für Lernmittel sollen ab 2024/2025 alle Schulbücher und andere Unterrichtsmaterialien in digitalisierter Form zur Verfügung gestellt werden.

Die Grünen betonen, das BNE, die Bildung für nachhaltige Entwicklung und die klassische Umweltbildung der "Schlüssel zur notwendigen gesellschaftlichen Transformation" darstellen. "BNE ermöglicht den Menschen, sich aktiv an der Gestaltung einer ökologisch verträglichen, wirtschaftlich leistungsfähigen und sozial gerechten Gesellschaft zu beteiligen." Die Pandemie habe die soziale Ungleichheit in der Bildung verstärkt. "Wo Kinder und Jugendliche auf wenig Förderung von zu Hause hoffen können, wo der Zugang zu Laptops oder Tablets fehlt und kein Elternteil helfen kann, drohen sie dauerhaft den Anschluss zu verlieren. Die Kinder und Jugendlichen, die am stärksten von der Krise getroffen wurden, benötigen daher die meiste Unterstützung."

Im Bereich der digitalen Bildung setzen die Grünen auf "game-based Learning", mit dem sich Schüler:innen kooperativ neue Inhalte erschließen sollen. "Wir wollen, dass Tablet oder Laptop selbstverständliche Lernmittel sind. Unser Ziel ist es, allen Schüler*innen neue Arten des Lernens zu ermöglichen und sie auch auf eine selbstbestimmte und gesunde Teilhabe in einer digitalisierten Welt vorzubereiten. Dafür wollen wir Anwendungen wie quelloffene und sichere Lernplattformen oder Videokonferenzsysteme umfassend fördern und setzen uns für die Umsetzung des Rechts auf Löschung personenbezogener Daten für Kinder ein." Im Rahmen des Digitalpaktes wollen die Grünen mit den Befugnissen des Bundes dafür sorgen, dass an allen Schulen hauptamtliche IT-Administrator:innen eingestellt werden, um die technische Infrastruktur zu pflegen.

Auch die SPD will, dass jede/r Schüler*in ein digitales Endgerät besitzt und Zugang zum Internet hat. "Auf einer Open-Source-Plattform, die bereits durch den Digitalpakt beauftragt und finanziert ist, sollen künftig länderübergreifend Lehr- und Lernmaterialien und Unterrichtskonzepte für alle zugänglich sein: offen, dezentral, sicher und vernetzt." Lehrer:innen sollen in bundesweit vernetzten Kompetenzzentren ihre Kenntnisse für digitales Lehren und Lernen ausbauen. Damit die Digitalisierung die Gesellschaft nicht spaltet, plant die SPD einen bezahlbaren Zugang zum Internet. "Für Bürger*innen mit geringem Einkommen, für Schüler*innen und Studierende werden wir darum einen Sozialtarif für den Netzzugang schaffen." Im Netz selbst will sich die Partei für offene und freie Lizenzen von Inhalten stark machen, damit ihre Nutzung "im Rahmen freier Wissensprojekte (Wikipedia) oder auch im Schulunterricht leichter möglich" ist.

An den Schulen will die SPD Chancenhelfer einstellen: "Durch die Einschränkung des Präsenzunterrichts während der Pandemie droht sich die Verbindung von Bildungserfolg und Familienhintergrund zu verfestigen und Bildungsbenachteiligungen zu verstärken. Aus diesem Grund starten wir die Bundesinitiative Chancengleichheit in der Bildung. Durch ein Bundesprogramm für Schulsozialarbeit werden den Kommunen Mittel zur Förderung von Chancenhelfern an jeder Schule bereitgestellt." Die Bedeutung von Games als Kulturgut und als Instrumentarium für den Schulunterricht wird in der Sicht der SPD unterschätzt. "Die Förderung von Computerspielen wollen wir darum dauerhaft verankern. Wir werden die Entwicklung von eSports in Deutschland weiter unterstützen, beispielsweise dadurch, dass er gemeinnützig wird."

Für die FDP ist Bildung identisch mit der Chance zum sozialen Aufstieg. Damit die schulische Bildung reformiert werden kann, wollen sie einen "zukunftsfähigen Bildungsföderalismus", in dem der Bund und alle 16 Bundesländer gemeinsam an der Weiterentwicklung des Bildungswesens arbeiten. Im zukünftigen deutschen Bildungssystem messen die freien Demokraten den MINT-Fächern eine hohe Bedeutung zu und wollen "verpflichtende, qualitativ hochwertige und bundesweite Qualitäts- und Bildungsstandards in der frühkindlichen MINT-Bildung." Jede Kita soll diese Fächer anbieten, daneben will die FDP das Haus der kleinen Forscher besonders fördern.

In den Schulen sollen bundesweit die Schulfächer Wirtschaft und Informatik eingeführt werden, durch die Kenntnisse über das Wirtschaftssystem vermittelt und der Gründergeist und die Innovationsfreude "schon im Schulalter"gefördert werden. Daneben zeigt sich die FDP als Partei der MakerSpaces: "Wir Freie Demokraten fordern MakerSpaces an Schulen: Kreativzonen, in denen digitale Medien eine zentrale Rolle spielen. Dabei setzen wir auch auf verstärkte Kooperationen mit außerschulischen Initiativen. In einem ersten Schritt wollen wir ein Bund-Länder-Programm für die Errichtung von 1.000 MakerSpaces an Pilotschulen einrichten. Lehrkräfte müssen für MakerSpaces gezielt aus- und weitergebildet werden."

Die FDP will den bereits existierenden Digitalpakt zu einem Digitalpakt 2.0 ausbauen, damit digital gestütztes Lernen in Präsenz wie auf Distanz gleichwertig möglich ist. "Zusätzlich zur Technik muss auch in IT-Administratorinnen und IT-Administratoren, Dienstgeräte für Lehrkräfte, digitales Lernmaterial sowie Fortbildungen investiert werden. Die Coronakrise hat gezeigt, dass die finanziellen Mittel für WLAN und Hardware allein nicht ausreichend sind, um im Notfall digitalen Unterricht von zu Hause aus zu ermöglichen. Die Digitalisierung von allgemeinbildenden, beruflichen und sonderpädagogischen Schulen muss ganzheitlich gedacht werden – von der Ausstattung bis zur Nutzung."

Ausdrücklich wendet sich die AfD gegen die "ideologische Inklusion" und will die Trennung von Sonder- und Förderschulen sowie die Existenz von Privatschulen beibehalten. Unter der Überschrift "Digitalisierung ist kein Selbstzweck" heißt es: "Grundsätzlich benötigen Schulen eine moderne, zeitgemäße IT-Ausstattung. Dies ist vor allem für den Informatikunterricht und für die Berufsausbildung in technischen Fächern notwendig. Allerdings muss Digitalisierung stets unter den Prämissen der Sinnhaftigkeit und der Arbeitserleichterung betrachtet werden." Zusätzlich will die AfD, dass die ersten vier Schuljahre digitalfreie Räume bleiben, in denen das Lesen, Rechnen und Schreiben gelernt wird.

In Kindergärten muss Deutsch gesprochen werden. Ab der Grundschule will die AfD den Unterricht über "deutschen Kulturgüter, Traditionen sowie die Geschichte" als Pflichtstoffe einführen, um Heimatliebe und Traditionsbewusstsein zu fördern. Gleichzeitig steht im Parteiprogramm, dass im Unterricht an deutschen Schulen die Neutralität wieder eingeführt werden soll: "Das Klassenzimmer darf kein Ort der politischen Indoktrination sein. An deutschen Schulen wird oft nicht die Bildung einer eigenen Meinung gefördert, sondern die unkritische Übernahme ideologischer Vorgaben."

An staatlichen Schulen soll es nach der Vorstellung der AfD keinen Islamunterricht geben. Kopftücher sollen in Schulen als religiös-politisches Zeichen zur Wahrung des Schulfriedens verboten werden, die Teilnahme am Sport- und Schwimmunterricht soll verpflichtend sein.

Die ideale Schule ist für die Linke eine Schule für alle, eine Gemeinschaftsschule ohne Hausaufgaben, die als inklusive Schule arbeitet und Förderschulen überflüssig macht. In den schulen soll mehrsprachige Sozialisation dadurch verwirklicht werden, dass die Herkunftssprache bei Prüfungen als erste oder zweite Sprache anerkannt ist. Programmatisch auch die Forderung der Linken, 100.000 Lehrkräfte zusätzlich einzustellen und eine zehnprozentige Vertretungsreserve an allen Schulen bereit zu halten.

"Wir wollen, dass jedes Kind ein mobiles Endgerät als Teil der Bildungsausstattung zur Verfügung hat und frühzeitig mit digitalen Technologien vertraut gemacht wird. Jedes Kind muss einen Computer, Drucker und Internetanschluss zu Hause zur Verfügung haben. Deshalb müssen die Urteile der Sozialgerichte endlich umgesetzt werden. Das gilt auch für Familien, die knapp oberhalb der Hartz-IV-Einkommen liegen. Das Geld ist da: Der DigitalPakt Schule der Bundesregierung sieht 5 Milliarden Euro für digitale Ausstattung vor." Die IT-Infrastruktur an Schulen soll durch neu eingestelltes Fachpersonal gesichert werden.

Die Linke steht dem Einsatz von Lernsoftware aufgeschlossen gegenüber, sofern keine Speicherung personenbezogener Daten außerhalb der Schule erfolgt. "Sämtliche erhobenen Daten müssen transparent und für alle nachweislich auf den Geräten verbleiben oder im Rahmen der Schule gespeichert werden. Aus diesen Daten dürfen keine Prognosen zum Lernerfolg oder der weiteren schulischen Entwicklung erstellt werden. Schüler*innen haben darüber hinaus ein Recht auf Vergessen. Die Linke will bei den Lernprogrammen den Einsatz von Open-Source-Software fördern, um die Abhängigkeit von bestimmten IT-Unternehmen und Produkten zu vermeiden. Schließlich soll eine Technikfolgenabschätzung in der Bildungsforschung eingeführt werden, damit man die "Erfahrungen, Chancen und Risiken beim Lernen mit digitalen Technologien" ermitteln und einschätzen kann.

(mho)