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Bundestagswahl 2021: Was mit Forschung und Wissenschaftsförderung passieren soll

Detlef Borchers

(Bild: RossHelen / Shutterstock.com)

Geht es um die Forschung, so wollen alle im Bundestag vertretenen Parteien den Standort Deutschland stärken und die Wissenschaften fördern.

Es ist nicht mehr lange hin: Am Sonntag, den 26. September, wird der neue Bundestag gewählt – und damit auch eine neue Bundeskanzlerin oder ein neuer Bundeskanzler, denn Angela Merkel tritt nicht mehr für die CDU/CSU an. In den nächsten Monaten und Jahren stehen entscheidende Weichenstellungen nicht nur für die Zukunft Deutschlands, sondern auch Europas und der Welt insgesamt an. Digitalisierung der Berufswelt und des kompletten Alltags beschäftigen die Menschen; und der Klimawandel – der nicht kommt, sondern längst da ist - erfordert einschneidende Maßnahmen, um nur zwei wichtige Themen zu nennen. heise online untersucht in einer neunteiligen Serie die Wahlprogramme der Parteien anhand der wichtigsten Themenfelder; im Anschluss wird eine Interviewserie mit den für Netzpolitik zuständigen Parteivertretern dies noch vertiefen. Bisher erschienen:

Forschungsthemen in Wahlprogrammen sind immer die Kapitel, in denen sich Parteien besonders großzügig zeigen, aber auch eigene Akzente setzen. So versprechen CDU/CSU, SPD und die Grünen unisono, bis 2025 ganze 3,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes für Forschung und Entwicklung auszugeben. Die FDP möchte den neuen Universitätstypus einer European Digital University (EDU) einführen, die Linke die Medizinforschung vergesellschaften. Die AfD will die Kernforschung ausbauen und die Endlagersuche durch neue Forschung obsolet machen.

Die CDU/CSU verspricht in ihrem Regierungsprogramm, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2025 auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes zu erhöhen. Außerdem soll Corona-bedingt die den Unternehmen gezahlte Forschungszulage verdoppelt werden. Für die Spitzenforschung formuliert was Wahlprogramm ein ehrgeiziges Ziel: "Darüber hinaus wollen wir exzellente Universitäten weiter kraftvoll unterstützen. Unser Ziel ist: mindestens eine deutsche Universität in die Top 20 der Welt zu bringen."

Die Christdemokraten wollen den "Pakt für Forschung und Innovation" ausbauen und ihm ein Innovationsfreiheitsgesetz zur Seite stellen, das rechtliche oder inhaltliche Beschränkungen der Forschung beseitigen soll. So sollen Start-ups einfacher den Status der Gemeinnützigkeit bekommen. "Deutschlands Ideen brauchen finanzielle Unterstützung, um daraus Innovationen im Weltmaßstab zu machen." Auf Seiten der Wirtschaft möchte man kleine und mittlere Unternehmen helfen, mit der Möglichkeit von Vorzugskapital (preferred equity) Innovationen zu fördern. Gleichzeitig sollen die Startbedingungen für neue Firmen auf der Basis von Forschungstransfers verbessert werden. Das Jahr 2022 soll nach den Plänen der CDU/CSU als "deutsches Gründerjahr" in die Geschichte eingehen.

Inhaltlich möchte die CDU/CSU Biowissenschaften und Informationstechnologien zusammenbringen und in Deutschland ein Bio-IT-Forschungszentrum aufbauen, in dem neue Technologien wie der 3D-Druck von biologischem Gewebe oder die Datenspeicherung in DNA erforscht werden. Daneben soll eine nationale Agentur für biomedizinische Forschung und Entwicklung eingerichtet werden, die die Forschungen an Impfstoffen, Medikamenten und Therapien bündelt und vorantreibt. Eine weitere, bereits existierende Agentur ist SprinD [9]. Sie soll nach den Vorstellungen der CDU/CSU zu einem "Reallabor" ausgebaut und "aus dem Gehaltsgefüge des öffentlichen Dienstes entlassen" werden. Ferner sollen "Technologiebiotope" entstehen, in denen die gelebte Gründerkultur und Innovationen weltweit sichtbar sind. Die Grundfinanzierung soll weltweit einmalig sein.

In ihrem Sonder-Wahlprogramm hat die CSU für die Forschung nur einen kleinen, aber feinen Satz unter der Überschrift "Wir starten in den Weltraum" parat: "Der Weltraum ist für Forschungs- und Vernetzungszwecke unerlässlich". Von Bayern aus sollen "Micro-Launcher" starten und das Land zu einem Raumfahrtstandort machen.

Auch die Grünen wollen bis 2025 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung bereitstellen. Zusätzlich sollen 60 Milliarden Euro in Forschung und Innovation gesteckt werden. Wie die CDU/CSU wollen die Grünen, dass SprinD, die Agentur für Sprunginnovation flexibler und eigenständiger wird. Daneben soll eine eigenständige Innovationsagentur namens D.Innova [10] gegründet werden, die in der Fläche Netzwerke einrichtet, in denen an Innovationen geforscht wird. "Ausgerichtet an den globalen Nachhaltigkeitszielen soll die D.Innova solche Innovationsnetzwerke systematisch, proaktiv und flexibel fördern – von Aachen bis Anklam, von Flensburg bis Füssen."

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Die Grünen zeichnen ein unfreiwillig komisches Bild der Forschung, wenn es heißt: "Ein gutes Leben wird auch künftig möglich sein, weil Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Forscher*innen in Betrieben, Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen permanent und mit Leidenschaft an neuen Ideen arbeiten, an Antworten auf Fragen, die wir noch gar nicht gestellt haben." Insgesamt soll die Forschungsförderung an den Nachhaltigkeitszielen der UN (Sustainable Development Goals) ausgerichtet sein und die Forschung innerhalb einer europäischen Cloud für Wissenschaft und Forschung zirkulieren. Was die dabei anfallenden Daten anbelangt, so wollen die Grünen für alle Forschungsdaten ein öffentliches Dateninstitut einrichten. "Wir richten ein öffentliches Dateninstitut mit einem gesetzlichen Forschungsauftrag ein, um Grundsatzfragen zur besseren Verfügbarmachung oder Anonymisierung von Daten zu behandeln und die Vernetzung, Entwicklung von Standards und Lizenzmodellen voranzutreiben."

Inhaltlich wollen die Grünen neben der Erforschung nachhaltiger Technologien und Zirkulärwirtschaften Forschungsgebiete wie die Polizeiforschung und die Friedens- und Konfliktforschung ausbauen. In der Agrarforschung soll die Ökologisierung der Landwirtschaft untersucht werden, dazu soll ein Schwerpunkt auf der Entwicklung von ökologischen Saatgut liegen. Die Grünen betonen die Freiheit von Forschung und Wissenschaft; die Stärkung dieser besonderen Freiheit "muss zentraler Aspekt der Außenpolitik sein."

Bei der SPD wird der Ausbau der Forschungsförderung als kontinuierlicher Erfolg beschrieben: "Wir haben den Zielwert gesamtstaatlicher, also öffentlicher und privater Ausgaben für Forschung und Entwicklung, von drei Prozent des BIP bereits in den letzten Jahren übertroffen und wollen ihn weiter auf mindestens 3,5 Prozent steigern." Die Sozialdemokraten wollen, dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau [12] zu einer Innovations- und Investitionsagentur weiterentwickelt wird, die ihrerseits die Forschung vorantreiben soll. "Eine wichtige Rolle nimmt dabei die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ein, die Mittel am Kapitalmarkt aufnimmt und diese zusammen mit den Förderbanken der Länder in strategisch wichtige Zukunftsbranchen lenkt, die den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft unterstützt und auch Start-ups fördert."

Einen dringenden Ausbaubedarf sieht die SPD bei den kulturellen und sozialen Innovationen, die nicht näher beschrieben werden. "Daher werden wir die geistes-, sozial-, und kulturwissenschaftliche Forschung gezielt fördern." Kleinen und mittelständischen Unternehmen will die SPD einen "niedrigschwelligen" Zugang zu Forschungsfördermitteln ermöglichen.

Weiterhin soll die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen gefördert werden. "Eine besondere Bedeutung kommt dem Austausch von wissenschaftlichen Erkenntnissen mit der Gesellschaft zu. Wir werden deshalb mehr Fördergelder für Open Science und Wissenschaftskommunikation bereithalten."

Inhaltlich will die SPD Forschungen zur Batteriezellenfertigung und vor allem zur "umweltfreundlichen Wasserstoffwirtschaft" stärker fordern. "Im Schwerlastverkehr wird auch die Wasserstoff-Brennstoffzelle eine wichtige Rolle spielen. Die weitere Forschung hierzu werden wir unterstützen." Eine große Chance sieht die Partei bei Forschungen im Bereich der personalisierten Medizin. "Doch die Gesundheitsforschung, Ausbildung und Versorgungspraxis orientieren sich zumeist an Daten von weißen, männlichen erwachsenen Probanden -– das werden wir ändern."

Die Freien Demokreten wollen die Forschung und Entwicklung vor allem steuerlich fördern. Im entsprechenden Passus des Wahlprogramms heißt es zur Forschungsförderung: "Das Steuerrecht muss dazu einen Beitrag leisten, indem es die Rahmenbedingungen für die Bereitstellung von Wagniskapital verbessert. Dadurch schaffen wir bessere Bedingungen für Start-ups und geben Innovationen eine Chance."

Das wichtigste Hochschulprojekt ist der Aufbau einer European Digital University (EDU): "Eine solche EDU soll die verbleibenden Grenzen der Bildungsmobilität überwinden und Menschen unabhängig von ihrer persönlichen Lebenssituation, ihrer sozialen und geographischen Lage die Teilnahme an weltbester Lehre und akademischer Weiterbildung ermöglichen." Die EDU soll die e-Learning-Angebote aller europäischen Länder aufgreifen und verfügbar machen, auch über die Grenzen von Europa hinaus.

Die Wissenschaftsfreiheit wird im Wahlprogramm der FDP mit einer programmatischen Ablehnung der Cancel Culture gedacht: "Wissenschaft lebt von einer offenen Debattenkultur. Gesetzliche Zivilklauseln lehnen wir ab. Das Ausgrenzen anderer Meinungen (Cancel Culture) widerspricht dem Verfassungsgrundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre." Dagegen sollen "wissenschaftseigene Mechanismen" der ethischen Kontrolle gefördert werden. Unabhängig davon wünscht sich die FDP eine Aufarbeitung der politischen Einflussnahme der chinesischen Regierung auf die Wissenschaft über die Konfuzius-Instutute und will die Co-Finanzierung der Institute beenden.

Die FDP möchte die Rolle von Frauen in den MINT-Wissenschaften verbessern und fordert eine Untersuchung zur Situation von Frauen in der deutschen Wissenschaft nach dem Vorbild der berühmten Studie Study on the Status of Women Faculty in Science at MIT [13].

Inhaltlich wollen die Freien Demokraten die Meeresforschung und die Holzforschung umfassend ausbauen und sprechen sich für die Anlage eines Weltraumbahnhofes für kleine Trägerraketen in Europa aus. Durch ihn soll die Weltraumforschung als Chance für Wissenschaft, Umwelt und Wirtschaft Auftrieb erhalten.

Die AfD will eine höhere Forschungsfinanzierung der Hochschulen, um die Abhängigkeit von Drittmitteln zu vermindern. Sie fordert die Schließung oder zumindest die Herauslösung der Konfuzius-Institute aus der Hochschullandschaft, um den Einfluss Chinas "auf das Bildungsangebot an deutschen Universitäten" zu kappen. Den Bologna-Prozess erklärt die Partei für gescheitert. Sie will die europaweite Harmonisierung stoppen und "die bewährten Diplom- und Magisterstudiengänge" wieder einführen.

Auch die AfD spricht in ihrem Wahlprogramm von der Wissenschaftsfreiheit, fordert aber die Abschaffung der Gender-Studies an deutschen Universitäten.

Eingestellt werden soll auch die Endlagersuche. "Stattdessen soll die Erforschung und Nutzbarmachung von Technologien forciert werden, die eine Lagerung von hochradioaktiven Reststoffen in geologischen Zeiträumen nicht mehr erforderlich machen." Inhaltlich ist an diese Forderung den Ausbau der Kernforschung gekoppelt, damit in Deutschland wieder an "fortschrittlichen Reaktorkonzepten" gearbeitet werden kann. Weitere Forschungsmittel sollen dem Wahlprogramm zufolge in die Rohstoffrückgewinnung fließen. Ferner wünscht sich die Partei eine deutliche Aufstockung der Forschungsgelder für Quanten-Kryptografie "aus Gründen der nationalen Sicherheit, der Vermeidung von Wirtschaftsspionage und für die IT-Sicherheit der Bürger".

Im Wahlprogramm der Linken gibt es im Forschungspolitischen Teil eine Reihe von Pakten, die die Partei eingehen will. Da ist ein Personalaufbaupakt, mit dem die Hochschulverwaltung gestärkt werden soll und ein Hochschulsozialpakt, mit dem Wohnheime, Mensen und Studienwerke unterstützt werden sollen. Zusätzlich soll die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau wieder im Grundgesetz verankert werden. Für alle Hochschulen fordert die Linke Zivilklauseln gegen die Rüstungsforschung.

Eine kleine Revolution im deutschen Hochschulwesen wollen die Linken auf den Weg bringen: "Statt von einzelnen Professor*innen abhängig zu sein, soll der wissenschaftliche Nachwuchs Abteilungen (Departments) zugehören." Neben der Professur sollen mehr feste Stellen geschaffen werden.

Ein Forschungszweig bekommt im Wahlprogramm ein eigenes Kapitel. Unter dem Titel "Macht der Pharmaindustrie brechen" wird beschrieben, wie die Gesundheitsforschung demokratisiert werden kann. Deutlich mehr Forschungsmittel als bisher will die Linke für die Agrarforschung, die epidemiologische Forschung und die kritische Polizeiforschung bereitstellen.

Die Linken sprechen sich für eine Open-Science-Kultur und eine Open-Access-Strategie aus. "Um urheberrechtlich geschützte Werke für Zwecke der Bildung, Forschung und Lehre frei zugänglich zu machen, wollen wir eine allgemeine Ausnahme für Bildung und Forschung im Urheberrecht verankern. Das Zweitveröffentlichungsrecht für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler muss von den engen einschränkenden Vorgaben befreit werden, damit die Nutzungsrechte nicht exklusiv durch Verlagsunternehmen angeeignet werden können."

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