Freie E-Books: Internet Archive erwirkt auf GitHub Löschung von Anti-DRM-Tool

Die Betreiber des Internet Archive haben bei GitHub gegen ein Instrument Einspruch erhoben, das Kopierschutztechnik aus Büchern ihres Fundus entfernen kann.

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(Bild: Blackboard/Shutterstock.com)

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Ungewöhnliche Aktion der Macher des Internet Archive: Normalerweise werden die Betreiber der Online-Bibliothek Open Library mit Ersuchen überhäuft, E-Books wegen potenzieller Urheberrechtsverletzungen aus ihrem Fundus zu löschen. Über Europol meldeten europäische Strafverfolger auch bereits fälschlicherweise über 550 "Terror-Links", die sie in dem Archiv entdeckt haben wollten. Jetzt hat sich die gemeinnützige Institution, die sich für Meinungsfreiheit und die Dokumentation sowie die freie Verfügbarkeit menschlichen Wissens einsetzt, gezwungen gesehen, den Spieß umzudrehen: Sie ist gegen ein Programm vorgegangen, mit dem sich Kopierschutztechnik aus digitalen Büchern ihres Fundus entfernen lässt.

Das Internet Archive habe eine Löschanforderung nach dem umstrittenen Digital Millennium Copyright Act (DMCA) an GitHub geschickt, berichtet das Online-Magazin TorrentFreak. Dieses Gesetz enthält ein Verbot, Systeme zur digitalen Rechteverwaltung (DRM) zu umgehen. An die zu Microsoft gehörende Open-Source-Entwicklerplattform ging damit die Aufforderung, ein Instrument zu entfernen, das branchenübliche technische Schutzmechanismen für digitale Bibliotheken umgeht. Diese "DeGouRou"-Software (zusammengesetzt aus DeDRM und libgourou) ermöglicht es Benutzern, DRM-freie Kopien der von ihnen ausgeliehenen Bücher zu speichern.

"Wir verwenden branchenübliche technische Schutzmaßnahmen (TPMs), um das unbefugte Herunterladen urheberrechtlich geschützter Bücher zu verhindern", ist der DMCA-Beschwerde zu entnehmen. Bei dieser gehe es um ein auf GitGub bereitgestelltes Tool, "das vorgibt, technische Schutzmaßnahmen zu umgehen und damit gegen Abschnitt 1201 des Copyright Act verstößt". Das Internet Archive setze – wie andere Bibliotheken – auf einen Industriestandard, um es Benutzern zu ermöglichen, ein verschlüsseltes Buch auszuleihen, es zu lesen und in gleicher geschützter Form zurückzugeben.

Bei der verwendeten DRM-Technik handelt es sich der Notiz zufolge um das "Adobe Adept"-Protokoll, das im Adobe Digital Reader verwendet wird. Das gemeldete Programm auf GitHub gebe sich als E-Reader vom Internet Archive aus. Dabei werde ein Buch aus den Online-Bibliotheken der Organisation ausgeliehen und das von Adobe verschlüsselte Buch "auf betrügerische Weise entsperrt". Zudem werde die Datei als unverschlüsseltes PDF erfasst. Der Autor der Software habe selbst erklärt, dass es sich um ein Werkzeug zum Umgehen von DRM handele: "Automatisieren Sie den Prozess des Abrufens entschlüsselter E-Books aus dem Internet Archive, ohne dass Adobe Digital Editions und Calibre erforderlich sind."

Hintergrund des Vorgehens sind offenbar rechtliche Schwierigkeiten, mit denen das Internet Archive derzeit zu kämpfen hat. Die Verlage Hachette Book Group, Harpercollins, John Wiley & Sons und Penguin Random House verklagten den Betreiber 2020 vor einem US-Bundesgericht für den südlichen New Yorker Bezirk. Sie werfen ihm vor, er verletze vorsätzlich das Copyright, indem er Bücher scanne, die Digitalisate auf eigene Server hochlade und auf einer öffentlich zugänglichen Website anbiete. Autoren und Verlage würden für diese Nutzungen nicht vergütet. Während der Corona-Pandemie öffneten die Macher ihre schon vorher kritisierte Online-Bibliothek mit damals rund 1,5 Millionen Werken vorübergehend als "National Emergency Library" zusätzlich unbegrenzt für Studenten, was den Zorn der Rechteinhaber noch steigerte.

Im März kam das angerufene Gericht zu dem Schluss, dass die Bibliothek tatsächlich für Urheberrechtsverletzungen haftbar ist. Die Höhe des Schadensersatzes in diesem Fall muss noch ermittelt werden. Im Lichte des Rechtsstreits wurden die Betreiber nun aber vermutlich aktiv, um die Summe zu begrenzen und die Entscheider vor Gericht milde zu stimmen oder sich für eine Berufung zu wappnen.

Aus der DMCA-Beschwerde geht nich genau hervor, in welchem Namen die Löschung ersucht wird. Zuerst schreibt der Antragsteller: "Ich bin befugt, im Namen der Copyright-Inhaber zu handeln." Weiter unten heißt es, man sei von diesen zwar nicht direkt autorisiert worden, "aber ich handle im Namen unserer Pflicht, unbefugtes Herunterladen dieser geschützten Materialien zu verhindern".

Befugnis hin oder: GitHub ist dem Ersuchen laut TorrentFreak mittlerweile nachgekommen und hat alle markierten DeGourou-Verzeichnisse entfernt und den Code offline genommen. Allerdings scheint sich nun der von ähnlichen Fällen bekannte "Streisand-Effekt" auszuwirken, denn der Quelltext ist inzwischen an mehreren anderen Stellen aufgetaucht. Ein Thread auf der Online-Plattform Reddit, der vor fünf Monaten startete, war zunächst mit der GitHub-Seite von DeGourou verlinkt. Nachdem diese entfernt wurde, verwiesen Forumsmitglieder auf Replit. Auch diese Online-Entwicklungsumgebung erhielt aber eine DMCA-Löschaufforderung. DeGourou wechselte daraufhin zum Pendant GitLab. Der Hase-Igel-Wettlauf dürfte noch eine Weile andauern.

(tiw)