Deutscher Film entsteht mit Blu-ray-HD-Kamera

Eine Musik-Dokumentation ist hierzulande die erste Produktion, die auf Sonys bandlose HD-Kameras setzt. Das XDCAM-System schreibt das aufgenommene Material auf Blu-ray-Scheiben.

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Von
  • Georg Immich

Der deutsch-türkische Regisseur Fatih Akin wird seinen nächsten Film auf einer XDCAM HD-Kamera drehen, die kinotaugliche Bilder auf Blu-ray-Discs aufzeichnet. Akins Drehbuch für den Film "Auf der anderen Seite" wurde gestern in Cannes prämiert. Am vergangenen Samstag begannen die Dreharbeiten zu seinem nächsten Film "Zigeunerjazz – Die Geschichte der Familie Weiss", einer zusammen mit Suzan Sekerci konzipierten Dokumentation über die Entwicklung des Sinti-Swings.

Die Dreharbeiten fingen mit Konzertaufnahmen bei den Borkumer Jazztagen an. Dabei kam vor allem die Sony-Kamera PDW F-350 zum Einsatz – ihr erster Einsatz bei einer großen deutschen Produktion. Dieses Beispiel zeigt allerdings auch, wie weit man hierzulande der HD-Entwicklung hinterherhinkt: Internationale Fernseh- und Kinoproduktionen verwenden diese Kamera bereits seit über einem Jahr.

Vor vier Jahren stellte Sony das XDCAM-System zunächst in einer Version für die normale Fernsehproduktion im SD-Standard vor; es war eines der ersten bandlosen mobilen Videosysteme. Statt auf Videoband aufzuzeichnen, schreibt die XDCAM das Material auf eine Blu-ray-Scheibe mit 23,3 GByte Kapazität. Das System beruht zwar auf derselben Technik wie die im Handel erhältlichen Blu-ray-Discs, Professional- und Consumer-Rohlinge sind jedoch nicht zueinander kompatibel. Professional Discs stecken zum Schutz vor Beschädigungen in einem speziellen Cartridge, wie man es etwa von den ersten DVD-RAM-Generationen kennt. Außerdem speichern die Professional Discs ein anderes Dateiformat.

Videobandaufnahmen müssen vor dem Upload in Computerschnittsysteme wie Avid oder Final Cut Pro erst langwierig digitalisiert werden. Dieser Schritt entfällt beim Blu-ray-Ansatz. Hier liegen die Videosequenzen von vornherein als IMX-Dateien vor, sodass man das Material nach wenigen Minuten bearbeiten kann. Disc-basierende Kameras schließen die digitale Lücke in der Infrastruktur der Fernsehsender – von der mobilen Aufnahme über die digitale Postproduktion bis zur Ausstrahlung verläuft die Produktion komplett digital und bandlos.

Sony meldet insgesamt 21.000 verkaufte XDCAM-Systeme, 6000 davon sind HD-Geräte. XDCAM sei weltweit das führende bandlose System und verzeichne die höchsten Zusatzraten. Deutsche Fernsehanstalten wie der Bayrische Rundfunk, der WDR und SAT 1 setzen XDCAM-Kameras im normalen Fernsehstandard bereits seit 2004 ein. 2005 führte Sony mit den Camcordern PDW F-330 und F-350 die ersten HD-tauglichen XDCAM-Systeme ein. Ein Europa kamen die Kameras erstmals vor gut einem Jahr zum Einsatz: Die englische Produktionsfirma BHP Sport übernahm mit den ersten fünf Serienmodellen die HD-Berichterstattung über die Land Rover Rallye "G4 Challenge", wobei sich die Kameras in tropischen Regenwäldern und Wüstenregionen bewähren mussten.

Auf der NAB 2007 erklärten im April sowohl der Branchenriese CNN als auch der rumänische Fernsehsender ProTV, sie würden ihre gesamte Infrastruktur auf das HD-Format von XDCAM umstellen. In Deutschland fristeten die Kameras bisher dagegen eine Randexistenz. Nur wenige freie Produktionsfirmen und Filmemacher haben die neuen Kameras bisher erworben.

Dass fast keine der deutschen Fernsehanstalten und Kameraverleiher mit den neuen Systemen arbeiten, liegt wohl hauptsächlich an der späten Verfügbarkeit. Die Geräte kamen erst im Herbst des vergangenen Jahres auf den Markt – zu spät für den HD-Boom zur Fußball-WM 2006. Nach Ende der Weltmeisterschaft fehlten wohl einmal die Mittel als auch die Investitionsanlässe für weitere HD-Anschaffungen.

So stellt jetzt der hanseatische HD-Pionier Chroma Film & TV GmbH mit dem Dokumentarfilm "Zigeunerjazz – Die Geschichte der Familie Weiss" die erste große deutsche Produktion mit einer PDW F-350 auf die Beine. Der Film schildert die Entwicklung des Sinti-Swings am Beispiel der Familie Weiss, deren Mitglieder diese Musikrichtung zusammen mit Django Reinhardt und Stephane Grapelli in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts in Paris begründeten. Inzwischen ist die Großfamilie in Hamburg sesshaft geworden. Neben der Musik soll die für Arte und den SWR produzierte Dokumentation auch den Wandel der Traditionen und der Lebenseinstellungen in der jüngeren Generation der Sinti thematisieren. Das fertige Werk soll im Frühjahr 2008 ausgestrahlt werden; eventuell kommt es auch zu einem Kinoeinsatz wie bei Akins letztem Dokumentarfilm "Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul", einem Portrait der Musikszene in Istanbul.

Derzeit ist noch nicht abzusehen, welche Speichertechnik sich bei HD-Produktionen durchsetzen werden: optische oder kartenbasierte Methoden oder gar Festplatten-Recorder. Klar zu erkennen ist jedoch, dass die traditionellen Videobänder auch im professionellen Bereich vor der Ablösung stehen. (Georg Immich) / (ghi)