Drei Fragen und Antworten: Es gibt einen Weg aus der Cloud

Raus aus der Cloud-Abhängigkeit: Das eigene Rechenzentrum kann nicht nur wirtschaftlich besser sein – und der Umzug zurück ist auch kein Alptraum.

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(Bild: iX)

Lesezeit: 5 Min.

Ist die eigene Infrastruktur erst einmal in der Cloud, führt kein Weg zurück – so die Befürchtung vieler Administratoren. Dass das nicht stimmt, hat jüngst 37signals, die Entwickler hinter Basecamp und Hey, bewiesen. Wir sprachen mit Farah Schüller über die Praxiserfahrungen der Firma und was andere Unternehmen davon lernen können.

Im Interview: Farah Schüller

Farah Schüller ist Senior Site Reliability Engineer bei 37signals. Neben der beruflichen Spezialisierung auf DevOps, SRE, Linux-Systemadministration und Ruby interessiert sie sich auch für Informationssicherheit und Fotografie.

Seit Jahren scheint es nur einen Weg zu geben: Unternehmen lagern ihre Infrastruktur an externe Dienstleister aus. Warum hat sich 37signals jetzt dafür entschieden, seine IT wieder zurückzuholen?

Zuallererst war und ist es vor allem eine wirtschaftliche Entscheidung. Wir haben nach und nach gemerkt, dass die Kosten der Cloud für uns immer signifikanter wurden und in vielerlei Hinsicht für uns nicht mehr im Verhältnis zur Nutzung standen – die meisten unserer Applikationen sind in Traffic, Nutzerzahlen und Komplexität sehr berechenbar, und die zusätzlichen Kosten für eventuelle Flexibilität und Abstraktion waren für unsere Anwendungsfälle oftmals nicht mehr gerechtfertigt.

Der zweite Punkt war, dass der operative Aufwand ab einem gewissen Punkt relativ schnell angestiegen ist. Automatisierung, Monitoring, CI/CD wurden um die Konzepte und Schnittstellen des Cloud-Dienstleisters gebaut, welche sich oftmals änderten oder komplett durch Neues ersetzt wurden. Unsere Infrastructure as Code musste konstant optimiert und angepasst werden, um mitzuhalten. Mitarbeiter mussten angelernt werden, Wartungszyklen wurden vom Dienstleister bestimmt. Das sind alles versteckte, aber langfristige Kosten, die uns jedoch ebenso getroffen haben.

Am Ende haben wir uns auch eine philosophische Frage gestellt: Wollen wir unser operatives Geschäft wirklich so sehr in die Hände eines externen Dienstleisters legen? Komplett auf externe Cloud-Services zu setzen hieß für uns auch in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu stehen – und darin haben wir uns als Firma nicht mehr gesehen.

Für die Migration in die Cloud oder zwischen unterschiedlichen Providern gibt es bereits viele Patentrezepte – und richtig angepackt, sollten sie auch für das eigene Rechenzentrum funktionieren. Inwiefern stimmt dieses Versprechen?

Unsere Infrastruktur ist selbst durch viele Migrationen gegangen – angefangen von unserem eigenen Rechenzentrum über verschiedene Cloud-Provider bis hin zu mehreren Umzügen zwischen Container-Lösungen und Kubernetes. Der Vorteil dieser Reise war, dass wir auf dem Weg viel gelernt haben – auch, dass einige cloud-native Konzepte mit ein wenig Erfindergeist und Anpassung ebenso on Premises im eigenen Rechenzentrum funktionieren. Einen Schritt zurückzunehmen, um die ganze Situation kritisch zu betrachten und Fragen zu stellen, hat hier sehr geholfen.

Aus dieser Synthese ist mrsk entstanden – es ermöglichte uns, vorangegangene Arbeit und Flexibilität der Containerisierung beizubehalten, aber gleichzeitig die darunter liegende Infrastruktur auf simpel orchestrierte virtuelle Maschinen zu vereinfachen und ein gleichbleibendes Deployment-Konzept für alle unsere Anwendungen zu entwerfen. Daneben haben wir uns auf die komplette Modernisierung unserer Infrastruktur-Orchestrierung konzentriert, um die Effizienz und Einfachheit, welche wir nun aus der Cloud gewohnt waren, auch on Premises abzubilden.

Der Schlüssel für uns bei 37signals lag darin, auf vorhandenes Wissen zurückzugreifen und dieses an neue Herausforderungen anzupassen: Administration von MySQL-Datenbanken ist nichts Neues, genauso wenig wie ein ELK-Stack für Logging, die Bereitstellung von virtuellen Maschinen mit KVM oder Orchestrierung von Containern. Wie kann man alle diese Dinge vereinfachen, verbessern und vor allem beschleunigen? Mit diesen Fragen haben wir uns vorrangig beschäftigt.

Große Provider können es schlicht besser – so das Vorurteil bei IT-Betrieb. Was spricht denn dafür, dass auch kleinere und mittlere Unternehmen den Weg aus der Cloud anpacken können und sollen?

Sobald es im Entwicklungszyklus einer Anwendung oder eines Services möglich ist, kann es hilfreich sein, einmal Bilanz zu ziehen: Benötigt die Anwendung eine komplexe, dynamische Infrastruktur? Ist das Nutzerwachstum stabil oder berechenbar? Kann man die langfristigen Kosten und Abhängigkeiten einer Auslagerung in die Cloud zuverlässig überblicken? Wie teuer wäre es, die passende Hardware selbst zu kaufen und zu betreiben? Hat man die jeweiligen qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits im Unternehmen oder existiert das Budget, diese anzustellen beziehungsweise Fortbildungen zu ermöglichen? Existieren bereits Beispiele und Erfolgsgeschichten in Unternehmen, die sich mit dem eigenen Fall vergleichen lassen?

Sobald man solche Fragen für sich beantworten kann, zeichnet sich eventuell schon ein Weg abseits der Cloud ab. Große Provider können, aber müssen es nicht besser machen – es ist erstaunlicherweise eine hochindividuelle Abwägung und es kann sich durchaus lohnen, sich nicht zu sehr von Trends und der vermeintlichen Einfachheit leiten zu lassen.

Farah, vielen Dank für die Antworten! Alle technischen Details zum Wechsel bei 37signals finden sich in Farahs Blogbeitrag.

In der Serie „Drei Fragen und Antworten“ will die iX die heutigen Herausforderungen der IT auf den Punkt bringen – egal ob es sich um den Blick des Anwenders vorm PC, die Sicht des Managers oder den Alltag eines Administrators handelt. Haben Sie Anregungen aus Ihrer tagtäglichen Praxis oder der Ihrer Nutzer? Wessen Tipps zu welchem Thema würden Sie gerne kurz und knackig lesen? Dann schreiben Sie uns gerne oder hinterlassen Sie einen Kommentar im Forum.

(fo)