Elektroauto: Der Oli, Citroëns "Jetzt reicht's!"-Manifest

Erfrischend systemkritisch kommt die Studie eines leichten Universal-Pkw von Citroën daher, die man allerdings vor 30 Jahren noch als monströs empfunden hätte.

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(Bild: Citroën)

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Inhaltsverzeichnis

Die Autos werden immer größer und teurer, den Begriff "Nachhaltigkeit" lesen wir in den Geschäftsberichten der Hersteller meist in Zusammenhang mit "Wachstum". Den Klimawandel konnten sie noch mit Elektroautos weglächeln – doch plötzlich herrschen Materialknappheit und Energiekrise. Citroën leistet mit der Studie "Oli" nun einen mutig-selbstbewussten Debattenbeitrag: Das Auto (selbstverständlich batteriebetrieben) soll Gewicht und Komplexität reduzieren, um Effizienz, Vielseitigkeit und Zugänglichkeit zu maximieren. So soll der Trend zu "mehr" gegen das konstruktive "genug" ausgetauscht werden.

Das Selbstbewusstsein, das durchsetzen zu können, scheint grenzenlos: "Citroën kann auf eine lange Tradition bei der Beeinflussung von Lebensgewohnheiten seiner Kunden zurückblicken, die mit den Fahrzeugen einhergingen." Rückblickend ist das zweifellos richtig, man denke an den unerwartet extrem erfolgreichen 2CV, allerdings zweifelhaft mit Blick auf die Herausforderungen der Gegenwart. Das Maß an Optimismus ist gleichwohl erfrischend.

Der Gegenentwurf zum "Branchentrend zu schwereren, komplexeren und teureren Elektroautos" soll die Mobilität von Familien verbessern. "Oli" nimmt als "Three-Letter-Name" Bezug auf den elektrischen Leichtkraftwagen Citroën Ami und spielt mit dem englischen "All-E" für "ganz elektrisch". Citroën-Chef Vincent Cobée nennt die Studie einen Weg, "auf unerwartete, verantwortungsbewusste und lohnende Weise unkomplizierte, vollelektrische Mobilität zu bieten".

Die Silhouette des Oli, der mit 4,20 x 1,65 und 1,90 m Breite im Format von kompakten und mit 20-Zoll-Rädern sogar großer SUV liegt, bricht mit Seh- und anderen Gewohnheiten. Das ist beabsichtigt, denn statt einen weiteren "zweieinhalb Tonnen schweren Palast auf Rädern, gefüllt mit Bildschirmen und Gadgets" zu propagieren, will Citroën mit der Studie "dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach kostengünstiger und dennoch wünschenswerter emissionsfreier Mobilität" Rechnung tragen.

Studie Citroën oli (10 Bilder)

Dass man für seine grundsätzliche Kritik ausgerechnet das Format eines Pseudo-Geländewagens wählt, mag damit zusammenhängen, dass so etwas eben ankommt beim Publikum.

Citroën befindet sich wie alle Hersteller in einem lange beschwiegenen Zielkonflikt, gehört aber zu den ersten, die ihn nun offensiv ansprechen. Cobée benennt als Widersprüche die Abhängigkeit von Mobilität bei gleichzeitiger Unsicherheit der Ressourcen und dem wachsenden Wunsch nach einer verantwortungsvollen Zukunft. Produkt-Chefin Laurence Hansen: "Der Oli ist eine Möglichkeit zu sagen: Es reicht! Ich will zwar etwas Innovatives, aber ich will es unkompliziert, erschwinglich, verantwortungsbewusst und langlebig. Der Oli ist all das, und dazu noch eine große Portion Lebensfreude!"

Deshalb darf Elektrifizierung nicht teuer sein und umweltbewusstes Verhalten nicht durch Einschränkungen bei Mobilität oder Fahrzeugwahl bestraft werden. Vielmehr sollen attraktive Angebote mit leichteren, preiswerteren Autos und Änderungen im Nutzungsverhalten die Trends umkehren. Für Familien wird sonst die Freiheit der Mobilität zu teuer, sagt Citroën. Hansen nennt Oli "eine Arbeitsplattform, um geniale Ideen zu erforschen, die für eine zukünftige Produktion realistisch sind". Nicht alle seien umsetzbar, aber geeignet, künftige Modelle von Citroën zu inspirieren.

Beispiel Material: Die großen Ebenen der Karosserie verdanken ihre Stabilität recycelter Wellpappe in wabenförmiger Struktur zwischen Glasfaserplatten. Das verringert laut Pressemitteilung das Gewicht im Vergleich zu Stahlblech um 50 Prozent. Das Einzige, was Citroën bei der Materialwahl möglicherweise nicht bedacht haben mag, sind mögliche Vorbehalte von Menschen, die umgeben von Rennpappen groß wurden.

Anderes Beispiel: Die Gummimischung der Reifen besteht fast ganz aus nachhaltigen oder recycelten Materialien, darunter Sonnenblumenöl und Reishülsenasche sowie Kiefernharze und Naturkautschuk, die synthetischen, erdölbasierten Gummi ersetzen. Citroëns Reifenpartner Goodyear verspricht eine Lebensdauer von bis zu 500.000 km, da das Profil zweimal erneuert werden kann.

Oli zeigt Kante.

(Bild: Citroën)

Oli soll zeigen, wie angewandtes Downsizing geht: "Es ist ein Teufelskreis: Um mehr elektrische Reichweite zu erzielen, braucht man eine größere Batterie. Mehr Technologie erfordert mehr Leistung, was wiederum eine größere Batterie bedeutet. All das erhöht das Gewicht, die Komplexität und die Kosten, und je mehr ein Fahrzeug wiegt, desto weniger effizient ist es", führt Laurence Hansen ganz zutreffend aus und sagt: "Der Oli zeigt, was passieren kann, wenn wir einen völlig anderen Ansatz wählen."

Mit rund 1000 kg ist die Studie deutlich leichter als die meisten vergleichbaren Kompakten, ihre Höchstgeschwindigkeit liegt bei 110 km/h. Das Resultat ist ein WLTP-Verbrauch von 10 kWh/100 km. Für eine Reichweite von bis zu 400 km benötigt sie daher lediglich 40 kWh Batteriekapazität und die Aufladung von 20 auf 80 Prozent dauert auch ohne exotische Batteriematerialien oder Hochvolttechnik nur 23 Minuten. Dank "Vehicle to Load"-Fähigkeit (V2L) mit einer Steckdosenleistung von 3,6 kW eignet es sich für Aktivitäten draußen, vom Camping bis zur Arbeit an Notebook oder Holzbearbeitungsgeräten. Passend zum Outdoor-Lifestyle kann der wasserabweisend beschichtete Boden dank Abflussstopfen einfach mit einem Wasserstrahl gereinigt werden.

Citroën Oli (9 Bilder)

Liebe zum Detail am Rücklicht. Das Firmenlogo, der Doppelwinkel von 1919, soll wiederbelebt werden.

Eine vertikale Windschutzscheibe benötigt nicht nur die geringste Menge an vergleichsweise schwerem Glas, sie verringert auch massiv die Sonneneinstrahlung und zusammen mit den invers stehenden Seitenfenstern den Strombedarf für die Klimatisierung um rund 17 Prozent. Man denkt sofort an den Citroën Ami 6 von 1961, aber bei dem war es die Heckscheibe. Aerodynamischer Wahnsinn? Nein. Ein Spoiler lenkt die anströmende Luft über die vordere Dachkante. Das ist zwar nicht ganz so effizient wie eine anliegende Strömung, macht unter 110 km/h aber noch keinen kritischen Unterschied.

Variabilität bestimmt das Raumkonzept: So kann man durch Umlegen der Rücksitzbanklehne die flache, 994 mm breite, abnehmbare Ladefläche von 679 auf 1050 mm Länge vergrößern. Die hinteren Kopfstützen klappen ins Dach und die Heckscheibe öffnet sich nach oben. Der Oli kann mit offener hinterer Ladefläche gefahren werden.

Aus der Vergangenheit lernen ist keine Schande. Was jahrzehntelang über viele Generationen des legendär einfach zu reparierenden Citroën 2CV funktioniert hat, sollen Autos wie der Oli künftig wieder können: Recycling und Ersatzteilbeschaffung durch einfache Austauschbarkeit der Teile. Die Langlebigkeit des Fahrzeugs soll seine eigene Kreislaufwirtschaft schaffen. Nachfolgende Besitzer sollen überholte oder modernisierte Teile (etwa die Batterie) montieren können. Damit soll es ökologisch und ökonomisch vorteilhafter werden, ein Fahrzeug zu überholen, statt es zu ersetzen. Erst wenn sich das nicht mehr lohnt, soll der Oli als Ersatzteilspender dienen.

Wie gut die Chancen stehen, das Konzept auf der Straße zu sehen, lässt die Marke des Stellantis-Konzerns noch nicht erkennen. Immerhin: Als es das elektrische Leichtkraftfahrzeug AMI in kurzer Zeit von der Studie in die Verkaufsräume geschafft hat, waren nicht wenige einigermaßen überrascht.

(fpi)