Entlassungswelle im Tech-Sektor auf höchstem Punkt seit dem Dotcom-Crash

Seit Jahresbeginn bauten über 200 Tech-Unternehmen mehr als 50.000 Stellen ab. Die Jobsuche wird für viele in der IT-Branche immer schwieriger, Löhne sinken.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 473 Kommentare lesen
Entlassener Angestellter mit Habseligkeiten in Papierbox

(Bild: Andrey_Popov/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Nicht nur im Silicon Valley werden verstärkt Erinnerungen an das Platzen der Dotcom-Blase im März 2000 wach. Allein in den ersten zweieinhalb Monaten von 2024 haben 209 Tech-Firmen bis zum Wochenende 50.312 Mitarbeiter entlassen, zeigt das Portal Layoffs.fyi an, das den Job-Abbau in der IT-Branche seit der Corona-Pandemie und der folgenden Entlassungswelle automatisiert anhand von Medienberichten verfolgt. Die Zahlen für Anfang 2023 lagen zwar noch höher. Doch insgesamt setzt sich der Trend aus dem Vorjahr bislang auch 2024 fort. Layoffs zählte für 2023 insgesamt über 260.000 gefeuerte Mitarbeiter in rund 1200 IT-Unternehmen. Konzerne wie Alphabet mit Google und YouTube, Amazon, Meta (Facebook und Instagram) sowie Microsoft haben sich in diesem Jahr alle am "Downsizing" beteiligt. Gleiches gilt etwa für eBay, PayPal, Unity Software, SAP und Cisco.

heise jobs – der IT-Stellenmarkt

Zu Arbeitsplätzen und Stellenangeboten in der IT-Branche siehe auch den Stellenmarkt auf heise online:

Alles zusammengenommen war 2023 nach Angaben der Jobvermittlungsfirma Challenger, Gray & Christmas das zweitgrößte Jahr an Kürzungen im Technologiesektor seit Beginn der Aufzeichnungen. Noch mehr Entlassungen gab es demnach nur im Jahr 2001 angesichts der Nachwirkungen des Dotcom-Crashs. Seit den damaligen spektakulären Insolvenzen von eToys, Pets.com, Webvan & Co. haben demnach nicht mehr so viele Beschäftigte in IT- und Internetfirmen in so kurzer Zeit ihren Job verloren. Die Zahl der Stellenkürzungen soll im vergangenen Monat den Schätzungen der Arbeitsvermittler zufolge die höchste im Februar seit 2009 gewesen sein, als die globale Finanzkrise die Wirtschaft in den Sparmodus versetzte.

Die Suche nach neuen beruflichen Herausforderungen wird für viele der Geschassten zugleich nicht einfacher. Der US-Sender CNBC sprach mit mehreren Betroffenen und Brancheninsidern. Insgesamt zeichnen diese demnach das Bild eines zunehmend wettbewerbsintensiven Marktes mit Stellenangeboten, die anspruchsvolle Qualifikationsanforderungen beinhalten und mit einer niedrigeren Bezahlung als in den vorherigen Stellen einhergehen. Besonders konfus gestalte sich die Situation für Softwareentwickler und Datenwissenschaftler: Noch vor ein paar Jahren waren ihre Fähigkeiten weltweit mit am höchsten geschätzt. Nun müssen sie darüber nachdenken, ihre Branche und ihr Aufgabenfeld zu verlassen, um überhaupt noch eine Anstellung zu finden.

"Der Markt ist nicht mehr das, was er einmal war", erklärte Roger Lee, Gründer von Layoffs.fyi, gegenüber CNBC. "Um sich eine neue Position zu sichern, verlassen viele Vertriebsmitarbeiter und Personalvermittler die Tech-Branche komplett. Sogar Ingenieure gehen Kompromisse ein – sie akzeptieren Rollen mit weniger Stabilität, einem schwierigeren Arbeitsumfeld oder geringeren Löhnen und Sozialleistungen." Die Gehälter im Tech-Bereich hätten in den vergangenen zwei Jahren "weitgehend stagniert", während sich der allgemeine Arbeitsmarkt in den USA recht positiv entwickle. Gerade Künstliche Intelligenz (KI), die angesichts programmierender Chatbots wie ChatGPT für arbeitslose Entwickler mit verantwortlich gemacht wird, sei ein zweischneidiges Schwert. Denn die Technik sei auch ein Treiber für eine Rückkehr zu schnellen Einstellungen und Expansion. Gehälter für KI-Ingenieure gingen entgegen dem Trend nach oben.

Ein Lied von dem Auf und Ab kann dem Bericht zufolge Amit Mittal singen. Im November wurde der gebürtige Inder von der KI-gesteuerten Kreditvergabefirma Upstart entlassen, wo er als Manager für den Bereich Software-Engineering arbeitete. Dort verfolgte er bereits, dass der Einstellungsprozess deutlich anspruchsvoller wurde, während die Hire-and-Fire-Mentalität zunahm. Nach seinem Job-Aus sah er sich gezwungen, neben seinem Arbeits- zusätzlich ein Touristenvisum für rund 8000 US-Dollar Rechts- und Verwaltungskosten zu beantragen. In der Zwischenzeit habe er sich erfolglos auf etwa 110 Stellen beworben, heißt es bei CNBC. Offenbar seien Arbeitgeber aktuell sehr zurückhaltend gegenüber Visa-Inhabern.

(bme)