Finanzielle Turbulenzen um Microsoft

Hintergrund: Der Microsoft-Prozess hat nicht nur finanzielle Auswirkungen auf Mitarbeiter und Aktionäre, sondern teilweise sogar auf die sozialen Systeme der USA.

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Von
  • Jürgen Kuri

Die Meinungen, welche Auswirkungen eine Aufspaltung Microsofts auf die EDV-Branche hätte, gehen noch auseinander – aber jetzt schon lösten das Urteil von Richter Thomas Penfield Jackson und der Strafantrag der Kläger im Kartellprozess gegen den Software-Konzern aus Redmond einige finanzielle Turbulenzen aus. Klammheimliche Freude mag mancher noch empfinden, wenn der Kurseinbruch der Microsoft-Aktie an der Wall Street Bill Gates gleich einmal um rund 30 Milliarden US-Dollar ärmer macht und seine Position als reichster Mann der Welt in Gefahr ist – sowohl Microsoft-Mitarbeiter als auch Aktionäre des Konzerns und Fondgesellschaften blicken momentan aber mit gelindem Entsetzen auf die Entwicklung des Papiers.

Microsoft ist notorisch dafür, im Vergleich zu anderen amerikanischen Hightech-Firmen relativ niedrige Grundgehälter zu zahlen– böse Zungen sprechen sogar von "beschissenen Löhnen". Ausgeglichen wird dies durch Aktien des Unternehmens. Alle Mitarbeiter erhalten Aktienoptionen, die einen "wichtigen Bestandteil Eurer Bezüge darstellen", wie es Microsoft-Chef Steve Ballmer in einer E-Mail an die Microsoft-Angestellten formulierte. Daher sieht sich der Konzern angesichts der zeitweise nahezu Halbierung des Kurses in den letzten Tagen veranlasst, allen Mitarbeiten eine einmalige Verdopplung der Aktienoptionen anzubieten. Alternativ können sie sich die Differenz zwischen dem Preis und dem aktuellen Kurs auszahlen lassen – eine Maßnahme, die Microsoft teuer zu stehen kommen dürfte. Aber Unruhe und Unzufriedenheit unter den Angestellten zu riskieren, die auf Grund des Prozesses offensichtlich sowieso unter starkem psychologischem Druck stehen, kann sich Microsoft auf der anderen Seite auch nicht leisten.

Mag man die finanziellen Auswirkungen des Kartellprozesses auf die Microsoft-Mitarbeiter noch als "innere Angelegenheit" des Unternehmens betrachten, zeigen die Auswirkungen auf Aktionäre und Fondgesellschaften, dass die amerikanische Gesellschaft inzwischen teilweise von Wohl und Wehe des Konzerns abhängt. Nun gut, der einzelne Aktionär steht verdutzt vor der Tatsache, dass auch die scheinbar so sichere Geldanlage im Microsoft-Papier im Zweifelsfall dem Auf und Ab der Börse unterliegt. Gerade in Amerika mit seinem, gelinde gesagt, recht lückenhaften sozialen System sind aber beispielsweise Aktien- und Pensionfonds eines der zentralen Elemente von Altersvorsorge: Amerikaner, die überhaupt Geld für eine Altersvorsorge übrig haben, legen dies oft bei Fondgesellschaften an. Und ähnlich wie Einzelaktionären schien den Finanzinstituten das Microsoft-Papier eine sichere Bank. Bis der Kurseinbruch kam, den kaum ein Finanzmanager erwartet hatte: Einzelne Fonds bestanden bis zu 30 Prozent aus Microsoft-Aktien, bei Fond-Familien waren es bis zu einem Viertel. Rund ein Drittel aller amerikanischen Aktienfonds stützen sich unter anderem auf Microsoft-Aktien, 1022 Investmentfonds sollen an Microsoft beteiligt sein. Verluste der Fond-Werte von bis zu 10 Milliarden US-Dollar in den letzten Tagen und Wochen machten die Finanzmanager der Gesellschaften recht nervös und führten zu besorgten Nachfragen der Anleger, die schon ihre Rente im Orkus verschwinden sahen.

Nicht alle Analysten sehen bei einer Aufspaltung Microsofts und einer nachfolgenden Beruhigung beim Börsenwert der Redmonder Besserung kommen. Bislang ist umstritten, ob der kombinierte Kurs von möglicherweise zwei "Baby Bills" den früheren Wert des Microsoft-Papiers erreichen kann. "Wenn ich Aktionär wäre, würde ich eine Aufspaltung befürworten", meinte ein Börsianer unter Verweis auf die Abtrennung der lokalen Telefongesellschaften ("Baby Bells") vom Mutterkonzern AT&T ("Ma Bell") vor einigen Jahren. Der zusammengefasste Wert der daraus resultierenden Aktien ist heutzutage weitaus höher als der Kurs des AT&T-Papiers vor der Aufspaltung. Zwei "Baby Bills" könnten nach Meinung einiger Experten zusammen einen Wert von bis zu 134 US-Dollar pro Aktie haben. Allerdings würde diese Erholung und Steigerung des Kurses über den bisherigen Höchststand des Microsoft-Papiers einige Monate, wenn nicht Jahre dauern. Die meisten Börsianer gehen davon aus, dass, sollte der Richter die Aufspaltung beschließen, der Kurs noch weiter einbricht und sich auch während des ganzen Berufungsverfahrens nicht vollständig erholt. Andere Analysten sind allerdings der Ansicht, dass der kombinierte Wert zweier Microsofts nur zwischen 52 und 59 US-Dollar pro Aktie liegen könnte – noch unter dem niedrigsten Kurs, auf den das Microsoft-Papier in den letzten Tagen einbrach. Dies könnte den "kleinen Mann" in den USA hart treffen: Nicht nur als Einzelaktionär, sondern auch als Einwohner eines Landes, dessen "soziale Systeme" offensichtlich sogar von den Auswirkungen eines Kartellprozesses auf den Aktienkurs eines einzigen Unternehmens abhängig sind. (jk)