Gericht: US-Verbraucher können Open-Source-Code einklagen

Der TV-Hersteller Vizio nutzt Open Source Code, rückt ihn aber nicht heraus. TV-Käufer dürfen Vizio deswegen verklagen, sagen zwei Gerichte in Kalifornien.​

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Pinguin, gerade aus dem Wasser auf einen Felsen gehüpft, streckt seine Flügel aus

Der Pinguin ist Vorbild für das Linux-Kernel-Logo Tux. Auch Vizio installiert Linux, zum Beispiel in Fernsehern.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.

Zwei kalifornische Gerichtsentscheidungen stärken Open-Source-Lizenzen wie die GNU General Public License. Sie wirkt als Vertrag zugunsten Dritter. Damit können Endkunden, die nicht Lizenzgeber sind, aber ein lizenzbehaftetes Produkt erworben haben, bestimmte eigene Ansprüche aus den Lizenzbedingungen ableiten und gerichtlich durchsetzen. Diese Entscheidung macht es weitaus wahrscheinlicher, dass Lizenznehmer zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie Open Source nicht offenlegen.

Anlass zu dem Gerichtsverfahren hat das Unternehmen Vizio gegeben, das unter anderem vernetzte Fernseher verkauft sowie mit Werbung und Daten über die Sehgewohnheiten seiner Kunden Geld verdient. Vizio liefert seine Fernseher unter anderem mit vorinstallierter Open-Source-Software aus, darunter Linux-Kernels, die unter der GNU General Public License Version 2 (GLPv2) sowie der GNU Lesser General Public License Version 2.1 (LGLPv2.1) lizenziert sind. Diese Lizenzen verlangen, dass entweder der Source Code selbst oder ein Angebot zur Herausgabe des Source Codes mit dem Produkt mitgeliefert werden.

Die gemeinnützige Software Freedom Conservancy (SFC) aus New York hat ab 2018 Vizio-Farbfernseher gekauft, aber weder den Source Code noch ein Angebot für diesen erhalten. Daraufhin beantragte SFC den Source Code bei Vizio. Nach fünf Monaten übermittelte das kalifornische Unternehmen zwar Code, der allerdings unvollständig gewesen sein soll. Es folgte ein Hin- und Her, in dem Vizio sechs verschiedene Versionen schickte, von denen sich laut SFC keine einzige kompilieren ließ. 2020 sei Vizio schließlich verstummt, sagt SFC in der 2021 beim Superior Court of California im County of Orange eingereichten Klage gegen Vizio (Az. 30-2021-01226723-CU-BC-CJC).

Die Klage stützt sich auf kalifornisches Vertragsrecht und fordert eine Verfügung gegen Vizio, fortan die Lizenzbedingungen einzuhalten. Das Unternehmen meint, die Klage sei doppelt unzulässig: Einerseits seien Endkunden wie SFC nicht klageberechtigt, weil die GPL-Lizenzen nicht den Endkunden dienten. Andererseits hätte SFC sich auf das landesweite US-Copyright berufen müssen, nicht kalifornisches Vertragsrecht. Entsprechend beantragte Vizio die Verlagerung des Verfahrens an ein US-Bundesbezirksgericht.

Tatsächlich verbietet der landesweite US Copyright Act, dem Copyright ähnliche Ansprüche auf Gesetze einzelner Bundesstaaten zu stützen. Wer Copyright in Anspruch nimmt, soll US-weit einheitlich nach dem Copyright Act klagen. Allerdings schob das angerufene Bundesbezirksgericht für Zentralkalifornien den Fall (Az. 8:21-cv-01943) zurück an das kalifornische Gericht: Zwar gehe es hier um eine Copyright-Lizenz, doch seien die Lizenzbedingungen hinsichtlich Herausgabe des Source Codes nicht nur kein Fall von Copyright, sondern sogar das absolute Gegenteil von Copyright. Schließlich ist dessen zentrales Thema die Einschränkung von Veröffentlichung oder Vervielfältigung von Werken.

Dieser Auffassung schließt sich nun auch der kalifornische Superior Court an. Und, entgegen dem Vorbringen Vizios, ist die Herausgabepflicht bei GPL und LGPL durchaus eine Vertragsbestimmung zugunsten Dritter, hier zugunsten der Käufer der Vizio-Fernseher. Damit ist die Software Freedom Conservancy zur Klage berechtigt.

Zitat Superior Court

Allowing third parties such as SFC to enforce their rights to receive source code is not only consistent with the GPLs’ objectives; it is both essential and necessary to achieve these objectives. Recipients of GPL-licensed software will be assured of their right to receive source code only if they have standing to enforce that right.

Dass Vizio tatsächlich die Lizenzbedingungen verletzt hat, ist damit nicht gesagt. Denn erst das Hauptverfahren wird klären, ob die Vorwürfe der Software Freedom Conservancy zutreffen. Außerdem stehen Vizio Rechtsmittel offen.

Allerdings kann die SFC erst einmal einen wichtigen Sieg für Verbraucherrechte und GP-Lizenzen verbuchen: Erst der in jahrelanger Verfahrensführung errungene Zugang zum Hauptverfahren eröffnet Verbrauchern die Möglichkeit, die vorgesehene Herausgabe des Source Codes überhaupt durchzusetzen.

(ds)