Gesundheitsdaten: Lauterbach will "Crawler" beim Forschungsdatenzentrum

Lauterbach will "Crawler" und vertrauenswürdige Umgebungen im Forschungsdatenzentrum einsetzen, um Gesundheitsdaten zu sammeln und mit KI auszuwerten.

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Lauterbach am Rednerpult auf einer Veranstaltung zu KI und Medizin von der Bundesärztekammer

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach drängt auf mehr KI in der Medizin

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KI-Systeme werden maßgeschneiderte Therapiepläne auf der Grundlage genetischer und anderer individueller Gesundheitsdaten weiter verfeinern, sagte Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt auf der Auftaktveranstaltung "Von ärztlicher Kunst mit Künstlicher Intelligenz" zum Thema KI in der Medizin. Aktuell stehe man noch am Anfang einer technologischen Entwicklung, "die in wenigen Jahren in vielen Bereichen der Medizin und in der Gesundheitsversorgung" häufiger zum Einsatz kommen werde.

Ärzte können "Patienten zu Hause überwachen, Gesundheitsdaten in Echtzeit analysieren und Entscheidungen vorbereiten", sagte Reinhardt. Auch bei Routineaufgaben wie der Dokumentation können KI-Systeme unterstützen. Im Endeffekt bleibe "mehr Zeit für den direkten Patientenkontakt". Die wissenschaftliche Forschung werde von den neuen Möglichkeiten zur Analyse großer Datenmengen weiter profitieren.

Künftig würden "gänzlich neue Akteure, globale IT-Unternehmen [...] mit KI-basierten digitalen Gesundheitsanwendungen und Produkten in das Versorgungsgeschehen eingeladen werden. Wir alle fürchten Amazon, Google [...], aber wir wissen nicht, was uns erwartet", so Reinhardt. Daher dürfte man die ethischen Dimensionen dieser Entwicklungen nicht aus dem Blick verlieren. Dennoch müsse sichergestellt werden, dass die Privatsphäre der Patienten geschützt und gewährleistet ist. Daher sollten die Entscheidungsalgorithmen transparent sein. Doch es dürfe auf keinen Fall die "menschliche, individuelle und ärztliche Zuwendung" beeinträchtigt werden.

Aufgabe der Regierung sei es Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zufolge, der ebenfalls Teil der Veranstaltung war, Gesetze aufzusetzen, die den Einsatz von künstlicher Intelligenz und "auch andere Verfahren der Digitalisierung beschleunigen sollen". Dabei komme die Frage nach den Grenzen auf, ob es einmal eine "generelle künstliche Intelligenz" geben wird und wo die Sonnenseite und die dunkle Seite sind. Derzeit gäbe es zwei große Stränge der KI. Zum einen die Deep-Learning-Verfahren, wozu beispielsweise Lauterbachs Paradebeispiel zur Vorhersage von Proteinstrukturen "AlphaFold" gehört, das er als "wichtigste Einzelentdeckung in der künstlichen Intelligenz" der letzten Jahrzehnte bezeichnete.

Dadurch könne die Proteinstruktur auf die zugrundeliegende RNA und DNA zurückgerechnet und umgekehrt "die mögliche Struktur eines Proteins" aus der DNA abgeleitet werden. Mit den so gewonnenen genetischen Informationen könne man etwa Arzneimittel oder Vakzine und Medikamente entwickeln. Vor allem für die onkologische Forschung sei das wichtig. Deep-Learning spiele aber auch bei den bildgebenden Verfahren eine Rolle. Die Kombination Mensch und Maschine sei schon jetzt besser als Maschine allein oder Mensch allein. Die Akkuratheit der Vorhersage sei besser und erfolge zudem schneller.

Bei dem anderen großen Strang handele es sich um generative Sprachmodelle. "Hier sieht man ganz klar Anzeichen von richtiger Intelligenz", sagt Lauterbach. "Es gibt also Zeichen von Intelligenz, wo Generalisierungen zum Beispiel aus Mustern abgeleitet werden", die einem nicht einfach so gekommen wären. Damit ließen sich Dinge erreichen, die in der Medizin unbedingt gebraucht werden.

Wenn man "Sprachmodelle nutze, um zu diktieren", könne man daraus "in der Regel nicht automatisch strukturierte Daten generieren. Datensätze können aus Sprache so aufgearbeitet werden, dass die Daten dann strukturiert sind". Das sei für jede Art von KI-Anwendung ein enormer Meilenstein. Aus der Zusammenfassung könne dann unter anderem abgeleitet werden, ob eine Überweisung erfolgen soll und welche Medikamente der Patient erhalten soll. Die gefürchteten Fehlschlüsse der KI würden "sehr schnell weniger werden". Mit dem Pre-Training könne man laut Lauterbach Halluzinationen der KI verhindern.

Aktuell tun sich nach Angaben von Lauterbach die "drei wichtigsten Player", Epic, Microsoft und OpenAI zusammen. Diese würden an einer von Microsoft betriebenen Plattform arbeiten, bei der verschiedene Anwendungen "in einer Art Copilot integriert" werden sollen. Jedes System sorge dabei für strukturierte Daten. Epic bezeichnete Lauterbach als das "umfassendste, größte, modernste, offensivste Krankenhausinformations- und Praxisverwaltungssystem"., mit denen er bereits im Gespräch sei. Die Kombination Epic und GPT-4 halte er für bedeutsam. Als "wichtigste Software für medizinische Sprachverarbeitung" bezeichnete er jedoch Dragon Medical One zur Transkription von der Firma Nuance, die von Microsoft aufgekauft wurde. Die Frage sei, wie man mit dem sich dort aufbauenden Monopol umgehe, ob man da mitmache oder eigene Modelle baue.

85 Prozent der ETFs gingen derzeit in die Vereinigten Staaten, ungefähr 4 Prozent nach Europa. "20 Mal wird so viel in Amerika investiert wie in Europa insgesamt", so Lauterbach. Dabei verfüge Deutschland über drei der vier Prozent. Europa müsse sich überlegen "ziehen wir hier nach oder übernehmen wir". Er hofft mit dem Digitalgesetz auf 70 Millionen elektronische Patientenakten (ePA) über die Opt-out-Variante, bei der Versicherte der ePA erst widersprechen müssen, wenn sie diese nicht wollen. Mit der ePA will Lauterbach erreichen, "dass auch im Hintergrund die Textverarbeitungssysteme, aber auch die Praxissoftware mitbedient werden kann". Die Praxissoftware soll "interoperabel eingespeist werden". Das könne "eine echte Entbürokratisierung" werden.

Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz möchte das Bundesgesundheitsministerium "etwas aufbauen, was Amerika nicht hat", sagte Lauterbach. Dort seien die Daten zerklüftet. Diesen Nachteil wolle man mit einem System umgehen, bei dem die Daten so transportiert werden, "dass wir eine Verbindung [...] der elektronischen Patientenakten, der Krebsregisterdaten, der Abrechnungsdaten, der Krankenkassen, der Daten, die wir zum Beispiel im Modellprojekt Genom.de haben, sodass wir all diese Daten für Forschungszwecke [...] auswerten können mit einem Verfahren der künstlichen Intelligenz".

Dafür müsse das beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte angesiedelte Forschungsdatenzentrum (FDZ) aufgerüstet und die Sicherheitsstruktur angepasst werden. Der Datenschutz solle es ermöglichen, "die Daten trotzdem mit diesen Modellen" auszuwerten. Dabei würde"technisch gesprochen eine sogenannte Crawler-Funktion im FDZ eingesetzt werden [...] und auch die elektronischen Patientenakten dabei" genutzt.

Confidential Computing könne Lauterbach zufolge helfen, aber man müsse sich "auf eine andere Variante der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung" einigen. Das werde zwar "trotzdem eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bleiben", aber die Daten würden in einer zentralen vertrauenswürdigen Umgebung, etwa im FDZ, ausgewertet. Auch der europäische Gesundheitsdatenraum erlaube all das. Dann lasse sich beispielsweise gemeinsam in Frankreich eine Forschungsumgebung schaffen, das sei auch die Absicht von Bundeskanzler Scholz oder die des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, mit denen er sich dazu im Austausch befinde. Trotz "spätem Start" könne man dadurch sogar profitieren.

(mack)