Internet Governance Forum: Zugang, Datenschutz und Nutzerrechte in Coronazeiten

Das 15. Internet Governance Forum steht thematisch im Zeichen der Coronavirus-Pandemie und diskutiert auch über die eigene Erweiterung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht

(Bild: alphaspirit/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Passend zur aktuellen Corona-Pandemie hat sich das 15. Internet Governance Forum (IGF) der Vereinten Nationen den Titel "Internet als Mittel menschlicher Widerstandsfähigkeit und Solidarität" gegeben. Seit Montag laufen die ersten Vorabdebatten in Phase I. Das offizielle Programm der vom 9. bis 17. November in Phase II laufenden Veranstaltung steht unter dem Motto "Internet Governance in Zeiten der Unsicherheit". Von der südpolnischen Stadt Katowice ins Netz verlegt – daher virtueller IGF (vIGF) – erwarten die Veranstalter etwa 4000 bis 5000 Teilnehmer an den mehr als 250 Einzelveranstaltungen.

Covid-19 hat das diesjährige Programm der IGF der Megakonferenz geprägt, nicht nur durch die wenig überraschende Entscheidung, die Veranstaltung komplett ins Netz zu verlegen. Mehr als zwei Dutzend Diskussionsrunden befassen sich ausdrücklich mit der Bedeutung der Netzkommunikation unter den Bedingungen der Pandemie. Verschärft sich die Ungleichheit in Zeiten des Stay-home durch fehlende oder mangelhafte Infrastruktur? Welche Nachteile ergeben sich für Schülerinnen und Schüler aus Haushalten ohne Zugang oder Hardware? Wie sieht die Situation im Gastgeberland Polen aus?

Neben dem enormen Schlaglicht, das die Pandemie auf das Problem geworfen hat, dass immer noch fast 50 Prozent der Weltbevölkerung ohne Netzzugang ist, wie Vinton Cerf, der "Vater des Internet", am Dienstag bilanzierte, blicken zahlreiche Veranstaltungen auch auf die Frage, ob der Datenschutz in Zeiten der Gesundheitskrise zurückstehen kann.

Die Europäische Grundrechtsagentur (EU Agency for Fundamental Rights, FRA) nimmt das Thema Gesundheitsdaten und KI aus Anlass der Pandemie und den daraus erwachsenen Corona-Apps unter die Lupe. Wer will, kann auch die chinesische Veranstaltung zum gleichen Thema besuchen. Die FRA schlägt mit der Verbindung von Gesundheitsdaten und KI den Bogen zum zweiten Großthema vieler Workshops: Wie sollen Unternehmen und Regierungen Künstliche Intelligenz (KI) regulieren?

Die Bedeutung von Normsetzung in der vollautomatisierten Welt hat auch der Gastgeber, UN-Generalsekretär António Guterres anerkannt. In seinem im Sommer fertiggestellten "Fahrplan zur digitalen Kooperation" steht das Thema KI weit oben. Abgesehen von politischen Initiativen für mehr Zugang zu den Netzen, zum entsprechenden Know-how und der Ernennung eines "Tech Envoy" der Vereinten Nationen 2021, steht die Berufung eines internationalen Expertengremiums zum Thema KI als konkrete Maßnahme im Fahrplan.

Mit seinem digitalen Fahrplan und dem künftigen Tech Envoy hat Guterres seine Absicht untermauert, die Vereinten Nationen zu einer Plattform für internationale Digitalpolitik zu machen. Wie schwierig das ist, zeigt das hart umstrittene Thema Cybersecurity, zu dem Guterres vorsichtig von einer weiteren Erkundung der Mitgliedsstaaten in Richtung "gemeinsamer Formulierungen" schreibt.

Gerade im Bereich Cybersecurity hat das "Multi-Stakeholder-Chaos" gute Vorschläge gemacht und damit gleichzeitig ein Beispiel dafür geliefert, wie ein Multi-Stakeholder IGF Wirkung entfalten kann. Die beim IGF aktive Global Commission on the Stability of Cyberspace (GCSC) hat in breiten Konsultationen eine Reihe von Normen entwickelt, unter anderem zum Schutz der Kerninfrastrukturen des Netzes. Letzteres hat das Europaparlament im vergangenen Jahr aufgegriffen und in die Cybersecurity-Richtlinie der EU aufgenommen.

Außerdem werde der Kernbereichsschutz inzwischen von 75 Staaten der Open-Ended Working Group (OEWG) zu Cybersecurity der UN unterstützt, sagte die niederländische Regierungsvertreterin Nathalie Jaarsma, Botschafterin At-Large für Sicherheitspolitik und Cyber, bei einer der ersten IGF-Vorveranstaltungen.

Noch mehr Verzahnung zwischen dem bislang als Plauderstube verschrienen Forum erhofft sich Wolfgang Kleinwächter, Völkerrechtler, Mitglied der GCSC und deutscher Internet Governance Experte, von der anstehenden Reform des IGF. Guterres habe in seinem Fahrplan grünes Licht für die Erweiterung des IGF zum IGF+ gegeben. Auch diese Entwicklung ist Thema des anstehenden IGF, die sich am 25. November noch eine zweistündige Session für die komplett offene Diskussion mit den potenziell mehreren Tausend Teilnehmern gönnt.

Ein paar gute Ideen für das IGF+ sieht Kleinwächter dabei auch aus Deutschland kommen. Die aktivere Beteiligung von Parlamentariern, die beim IGF 2019 in Berlin gestartet wurde, ergebe viel Sinn, sagt er, weil immer häufiger Gesetze national verabschiedet würden, die die Entwicklung und Nutzung des Internet als ganzes betreffen. Das Treffen wird dieses Jahr wiederholt. Zudem stehen in einem Papier, das Berlin gerade zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten an Guterres übergeben hat, weitere Vorschläge, wie nationale IGFs mit dem großen IGF und das IGF mit den UN-Gremien und anderen Norm setzenden Gremien zusammenwirken können, so Kleinwächter.

Bei aller Zuversicht der IGF-Optimisten gilt es, die große Kluft zwischen UN, IGF und Diplomatie auf der einen und der Realpolitik auf der anderen Seite nicht zu vergessen. Ein Schlaglicht darauf wirft bei der vIGF 2020 ein Panel zur Verschlüsselung der Internet Society. Die Organisation warnt zusammen mit der Global Encryption Coalition vor weltweit laufenden Gesetzesinitiativen, die den Zugang zu verschlüsselter Kommunikation für die Strafverfolgung erzwingen wollen. Den Widerspruch zwischen Nachschlüsseln und nicht aufbruchssicheren Vordertüren bekommen Politiker und andere IGF-Teilnehmer im Laufe der Veranstaltungswoche nochmals erklärt.

(olb)