Kulturkampf in Walldorf: SAP will Mitarbeiter bewerten und weniger Homeoffice​

SAP will mit einem Bewertungssystem gute von schlechten Angestellten unterscheiden. Drei Bürotage pro Woche sollen Pflicht werden. Der Betriebsrat ist besorgt.​

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SAP-Hauptquartier in Walldorf

(Bild: SAP)

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SAP-Chef Christian Klein vermisst nicht nur in Deutschland ein "gewisses Leistungsdenken", sondern auch in dem von ihm geführten Walldorfer Konzern. Er will daher mithilfe eines "Winning Culture" getauften Bewertungssystems für Angestellte eine "Performance-Kultur" mit mehr Fluktuation in der Belegschaft etablieren, berichten das Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung (SZ). Anhand von bisher nicht bekannten Kriterien sollen Vorgesetzte demnach ihre Mitarbeiter in drei Kategorien einteilen: "Performer", "Achiever" und "Improver". Die zuerst genannten "Bringer" könnten dann für ihre besondere Leistung finanziell etwa mit Boni belohnt werden. Die Klasse im Mittelfeld erfüllt die Erwartungen. Beschäftigte, deren Leistung als verbesserungswürdig eingestuft wird, müssten sich anstrengen und etwa Trainings absolvieren.

Geht es nach dem Management, soll das neue leistungsbasierte System den Berichten zufolge schon bald das aktuelle ablösen. Der derzeitige, 2017 eingeführte Ansatz "SAP Talk" basiert auf einem kontinuierlichen Dialog zur persönlichen Entwicklung zwischen Vorgesetzten und Angestellten. Alle drei Monate würden Fortschritte besprochen und eventuell nachjustiert. Momentan verhandeln Betriebsrat und Konzernführung. Die gesamte Belegschaft sei noch nicht informiert worden, weiß die SZ. Trotzdem tobe in dem Softwareunternehmen bereits ein "Kulturkampf". Ein SAP-Sprecher habe sich überzeugt gezeigt, "dass unsere Mitarbeitenden im Job Leistung zeigen wollen". Es gelte, sie mit regelmäßigem Feedback und klaren Zielvorgaben dabei zu unterstützen.

Andreas Hahn, Vorsitzender des Betriebsrats des europäischen Arms der SAP, wittert laut der SZ hinter dem Bestreben die Absicht, "das wenige Geld auf noch weniger Personen zu verteilen", durchschnittliche Mitarbeiter mit kleinen Gehaltserhöhungen abzuspeisen und "mit dem Improver-Prozess Menschen aus dem Konzern zu drängen". In anderen Firmen sei eine Nicht-Bringer-Bewertung der erste Schritt zur direkt von oben ausgesprochenen oder inneren Kündigung: Mitarbeiter dürften dem "unverhältnismäßigen Druck" oft nicht standhalten. Die Kategorisierung fördere eine Misstrauenskultur, warnte eine ehemalige SAP-Führungskraft gegenüber der Zeitung. Menschen würden teils auch in die untere Schublade einsortiert, wenn sie im falschen Job arbeiteten, private Probleme hätten oder ihr Chef schlecht sei.

2019 geriet Zalando massiv in die Kritik, nachdem bekannt geworden war, dass der Online-Händler tausende Mitarbeiter am Stammsitz Berlin mit dem Analysesystem Zonar überwachte. Forscher beschrieben die Lösung auf Basis von Gesprächen mit Angestellten als "sehr umfassendes, quasi panoptisches System der Leistungskontrolle". Anhand der gesammelten Informationen erstelle ein Algorithmus individuelle Beschäftigten-Scores für "Low-, Good- und Top-Performer". Es bestünden große Zweifel, ob der Datenschutz eingehalten werde. Zudem scheine der Einsatz der Software nicht einmal aus wirtschaftlicher Sicht besonders sinnvoll zu sein: Das Betriebsklima leide, der Stress nehme zu. Auch Konzerne wie Amazon setzen auf derlei Systeme, die als People oder Workforce Analytics bekannt sind.

SAP gilt bislang immer als einer der attraktivsten Arbeitgeber Deutschlands. In Mitarbeitereinschätzungen landete der Softwarehersteller immer wieder weit vorn. Das könnte sich nun ändern. Auf die Palme bringt Teile der Belegschaft zusätzlich, dass das Management die Angestellten wieder stärker aus dem Homeoffice in die Firmenräume in Walldorf und an anderen Standorten zurückbringen will. Drei Präsenztage pro Woche sollen Pflicht werden. "Unsere Büros dienen nicht nur als zentrale Arbeitsorte, sondern auch als Dreh- und Angelpunkte für direkten Austausch", erklärt ein SAP-Sprecher der SZ. So ließen sich der "Wert und die Synergien von Teamarbeit bestmöglich zu nutzen". Personalchef Cawa Younosi nahm jüngst bereits den Hut. Mit dem Rücktritt wollte er womöglich auch ein Zeichen setzen gegen die neuen Vorgaben für die Mitarbeiter.

(mki)