Militär-Projekt: Mit künstlicher Intelligenz durch Wände schauen

Taktische Entscheidungen in militärischen Konflikten erfordern viele Informationen. Ein neues KI-Experiment könnte Leben retten – nicht nur bei der Bundeswehr.

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(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Peter Ilg
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Künstliche Intelligenz (KI) ist eine Schlüsseltechnologie auch für Streitkräfte. Die BWI, IT-Dienstleister und Systemhaus der Bundeswehr, unterstützt die deutschen Streitkräfte dabei, die Möglichkeiten lernender Algorithmen zu nutzen. Seit 2018 testet die BWI in Experimenten, welchen konkreten Nutzen künstliche Intelligenz bei militärischen Konflikten hat.

Das Innovationsexperiment 'Mit KI durch Wände sehen' ist so weit fortgeschritten, dass die Bundeswehr entscheiden kann, ob sie das System weiterverfolgen will oder nicht. "Die Technologie ist erfolgreich erprobt, die generelle Machbarkeit ist erwiesen", sagt Heiko Reiter, einer der beiden Projektleiter. Es gibt mehrere Optionen, wie es im Projekt weitergehen könnte.

Reiter ist im Innovationsexperiment für den organisatorischen und kaufmännischen Teil zuständig, Jan Riedel ist technischer Leiter des Experiments und Ideengeber. Die Radartechnologie, die genutzt wird, ist nichts Neues. Sie wird etwa auf Baustellen verwendet, um Strom- oder Wasserleitungen in Wänden aufzuspüren. "Das ist eine kommerzielle Anwendung, für militärische Ansätze konnten wir keine andere professionelle Lösung im europäischen Markt testen", sagt Riedel. Die BWI nutzt Radar nun in Kombination mit KI, um in ihrem Experiment Personen beispielsweise hinter Wänden aus verschiedenen Materialien aufzuspüren.

Beim Radar werden Wellen mit hoher Frequenz in Form von kurzen Impulsen ausgesendet. Hindernisse reflektieren diese Radarimpulse und senden sie zurück zu einem Empfänger. Aus der Laufzeit der Radarsignale und ihrer Richtung lässt sich die Lage der georteten Objekte ermitteln. Wird permanent gemessen, lassen sich auch Bewegungen von Objekten bestimmen. Radarstrahlen sind ungefährlich und können unterschiedliche Materialien durchdringen, aus denen Wände hergestellt sind. Eine Ausnahme ist Stahlbeton: Durch Stahl können Radarwellen nicht dringen.

Die Radartechnologie wird in dem BWI-Projekt mit künstlicher Intelligenz verknüpft. Dessen intelligenter Algorithmus kann dreierlei unterscheiden: ob es sich um Objekte oder Menschen handelt; falls es Personen sind, wie viele es sind; und welchen Bewegungszustand sie gerade haben, also ob sie gehen, stehen oder sitzen. "Für das Experiment haben Projektmitarbeiter mehrere Tage Szenarien vor dem Radarsensor dargestellt und so unterschiedliche Situationen mit einem weiteren Sensor-Messsystem aufgenommen, um Bewegungsabläufe von Menschen im System zu hinterlegen und die Anwendung zu trainieren", sagt Riedel. In einem möglichen Folgeschritt würde das Training beispielsweise um Tiere und Kinder erweitert.

Die Testpersonen wurden im Sitzen, Stehen, Liegen und Laufen aufgenommen. So entstanden mehrere hundert Gigabyte Daten. Im Kern basiert das Innovationsexperiment auf der Sensordatenanalyse und dem Ansatz des maschinellen Lernens. Befinden sich Menschen etwa hinter einer Hauswand, reflektieren sie die durch dieses Hindernis gesendeten Radiodaten. Ein Radar erfasst die reflektierten Daten und führt sie mit den Referenzdaten, den aufgezeichneten Bewegungen zusammen. Mit den Referenz- und Radardaten wird die KI gefüttert. So lernt die Maschine aus Millionen von Daten, wie sich Menschen bewegen. In Kombination mit der Radartechnologie lassen sich Menschen hinter Hindernisse erkennen. Die Anwendung läuft auf einem handelsüblichen Laptop, dafür ist keine große Rechenleistung notwendig. Für die Entwicklung des Systems hingegen schon.

Die KI kann erkennen, ob es sich um Arm- oder Beinbewegungen, Brust- oder Bauchatmung oder gar einen Puls handelt. Anhand von selbst geringsten Bewegungen erkennt sie, ob und wo sich Personen befinden.

Die KI-Anwendung ist für folgendes Szenario denkbar: Spezialkräfte der Bundeswehr sind im Einsatz, um Geiseln zu befreien. Für die Soldaten, Geiseln und Täter ist dies eine lebensgefährliche Situation. Um Kollateralschäden möglichst klein zu halten, wird im Idealfall im Vorfeld des Angriffs die Situation möglichst genau geklärt. In einem Gebäude mit zehn Zimmern etwa können nicht alle Türen gleichzeitig eingetreten werden. Wenn die Tür, hinter der sich die Personen befinden, nur Sekunden nach einer anderen aufgebrochen wird, besteht die Gefahr, dass die Geiseln erschossen werden. Deshalb wird mithilfe des Radarsystems zunächst geschaut, in welchem Raum sich Menschen befinden. Die Anwendung kann bis zu drei Personen erkennen. Anhand der Koordinaten lässt sich bestimmen, wo sie sich im Raum befinden. Weil es in der Anwendung möglich ist, die Verzögerung bei der Datenverarbeitung zu verringern, entsteht ein Bild in Quasi-Echtzeit. Es zeigt den Bewegungszustand, ob jemand geht, steht, sitzt oder liegt. Daraus lassen sich taktische Überlegungen für den Zugriff ableiten. Jede Prognose hilft zur besseren Lageeinschätzung.

Das Experiment wurde im Bundesministerium der Verteidigung vorgestellt und dort mit positivem Feedback bewertet. "In der Entwicklungsphase haben wir unter Laborbedingungen wesentliche Daten, mithilfe derer das KI-System trainiert werden kann, erfasst", sagt Riedel. Um unter realen Bedingungen herauszufinden, wie hilfreich die Technologie ist, wurde auch ein Praxistest mit einem Prototyp in einem echten Gebäude durchgeführt.

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Die Bundeswehr ist ein möglicher Anwender dieser Technologie. "Andere sind die Polizei für Geiselbefreiungen, das Technische Hilfswerk zur Rettung verschütteter Personen oder die Bergwacht zum Auffinden von Lawinenopfern", sagt Reiter. Die Hindernisse, hinter die geschaut wird, können auch Schutt oder Schnee sein. Wie dick die Hindernisse sein dürfen, wollten die Projektleiter aus taktischen Gründen nicht sagen.

(tiw)