Nach Unicode-Aufnahme: Erst 30 Jahre junges Zahlensystem wird digitalisiert

Weil die arabisch-indischen Zahlen nicht zu ihrer Sprache passten, haben Schüler in Alaska ein eigenes System erfunden. Jetzt kann es digital benutzt werden.

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Häuser in Kaktovik, Alaska

Häuser in Kaktovik, Alaska

(Bild: Reimar/Shutterstock.com)

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Mit dem Kaktovischen Zahlensystem erreicht gerade ein Zahlensystem die digitale Welt, das erst 30 Jahre alt ist und von weniger als 10 Schülern und Schülerinnen in einem Dorf im Norden Alaskas entwickelt wurde. Das System hat anders als die weltweit dominierenden indisch-arabischen Ziffern die 20 als Basis und passt damit viel besser zum Zahlensystem der Inuitsprache Iñupiaq. Seit dem Herbst ist das Zahlensystem Teil des Unicode-Standards und aktuell wird daran gearbeitet, es in Schriftarten einzuarbeiten, damit es auch tatsächlich elektronisch genutzt werden kann, berichtet der Scientific American. Während es von Google lediglich eine Vorabversion einer solchen Schriftart gibt, ist die Onlineenzyklopädie Wikipedia weiter. Dort können die Ziffern bereits angezeigt werden.

Wie das Wissenschaftsmagazin erläutert, basiert das Zahlensystem Iñupiaq auf dem menschlichen Körper und summiert Mengen zuerst in Fünfergruppen. Im Prinzip würden die Finger und Zehen zusammengezählt und nach jahrzehntelanger Unterdrückung habe das nur mündlich überlieferte Zahlensystem Anfang der 1990er-Jahre vor dem Vergessen gestanden. Im Rahmen eines Schulprojekts seien dann aber die Zahlzeichen entwickelt wurden, die viel besser zu dem System passen, als die bis dahin genutzten arabisch-indischen Zeichen. Mit den neuen Zahlzeichen hätten die Schüler und Schülerinnen mathematische Aufgaben schneller und besser lösen können, erklärt der Lehrer, der bei der Entwicklung geholfen hat.

Seit 1997 wird das Zahlensystem demnach gleichberechtigt mit dem arabisch-indischen gelehrt und die Leistungen der Schüler und Schülerinnen hätten sich merklich verbessert. Schließlich habe auch die Lokalpolitik reagiert und mit Vorgaben dafür gesorgt, dass sich das Kaktovische Zahlensystem an der Küste Nordalaskas ausbreiten kann. Trotzdem habe es immer Befürchtungen gegeben, dass das Zahlensystem durch Vorgaben in der Bildung unter Druck geraten könnte und darüber hinaus stand es digital nicht zur Verfügung. Deshalb wurde es beim Unicode-Konsortium eingereicht und nach der Annahme steht einem Einbau in Betriebssysteme, Schriftarten und andere digitale Technik nichts mehr im Weg. Den Weg weist Wikimedia, wo eine Schriftart verfügbar gemacht wurde.

Das Zahlensystem ist visuell und leicht zu erschließen: Die Zahlen von 1 bis 4 werden durch jeweils durch die gleiche Zahl von schrägen Strichen dargestellt, die von oben nach unten laufen. Die Zahlen 5, 10 und 15 wiederum werden durch einen, zwei beziehungsweise drei Querstriche dargestellt. In Kombination lassen sich dadurch alle Zahlen zwischen 1 und 20 darstellen. Nebeneinander geschrieben können dann damit die größeren Zahlen genauso dargestellt werden, wie wir es vom arabisch-indischen Zahlensystem kennen. Berechnungen können mit dem System visuell intuitiv durchgeführt werden, vor allem das Dividieren sei deutlich einfacher, erklärt der Scientific American.

Die Digitalisierung des Kaktovischen Zahlensystem ist nur der Anfang, meint man im Norden Alaskas. Andere Zahlensysteme von Indigenen könnten noch folgen. So weist das Magazin darauf hin, dass es zur Silbenschrift der Cherokee-Nation seit mehr als 200 Jahren auch ein Zahlensystem gibt. Das wurde demnach aber erst 2012 von den zuständigen Instanzen anerkannt und es ist unklar, wie verbreitet es unter den Angehörigen des größten noch existierenden indigenen Volks Nordamerikas ist. Der Programmierer Roy Boney sieht Hinweise für eine wachsende Nutzung und hofft auf eine Aufnahme in Unicode. Seine Hoffnung ist es, damit einmal eine Programmiersprache zu entwickeln. Noch vor zwei Jahren hätte man von solchen Zielen nur träumen können.

(mho)