Neue Sperren: Kurzes Glück über Quad9-Gerichtserfolg​

Der Erfolg von Quad9 vor Gericht währt nur kurz: Die Musikindustrie geht jetzt offenbar einen anderen Weg, um DNS-Sperren zu erwirken.

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(Bild: designium/Shutterstock.com)

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Von
  • Monika Ermert
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Die Freude über den Sieg von Quad9 im Berufungsverfahren gegen Sony währte kurz: Unmittelbar nach der Mitteilung über das vom OLG Dresden anerkannte Haftungsprivileg für den offenen DNS-Resolver der privaten Siftung meldete Quad9 Details zu einer neuen Sperraufforderung – dieses Mal von Sony Italien und der italienischen Musikindustrie. Der Streit um Zensur via DNS-Infrastruktur geht damit weiter.

Quad9-CEO Jonathan Todd zeigte sich über das am Dienstag verkündete Urteil erfreut. "Natürlich ist das ein guter Tag, an dem wir den Rechtsstreit um das Grundrecht eines Zensur-freien Internetzugangs beilegen können", teilte Todd auf Anfrage von heise online mit. Sein kleines Team, das sich als eine Datenschutz-freundliche Alternative zu den öffentlichen Resolvern der Großen wie Google oder Cloudflare aufgestellt hat, sei "enorm erleichtert", dass man sich wieder der eigentlichen Arbeit zuwenden könne.

Der 14. Senat des Oberlandesgerichts Dresden hatte sehr deutlich eine Täterschaft und auch die Inanspruchnahme als Störer, die Sony geltend gemacht hatte, abgeschmettert, und den Vorinstanzen bei den Landgerichten in Hamburg und Leipzig auch handwerkliche Fehler bescheinigt. Quad9-Anwalt Thomas Rickert hat in einer Übersicht die einzelnen Punkte, in denen das OLG der Quad9-Argumentation gefolgt ist, detailliert dargestellt.

Quad9 teilte mir, dass alle zur Diskussion stehenden Sperren aufgehoben wurden. Praktisch zeitgleich mit dem Stopp der Sperren gegen Canna.to sah sich Quad9 jedoch gezwungen, eine neue Liste von Domains zu sperren. Dazu hatten Anwälte des italienischen Ablegers von Sony sowie der Contentriesen Universal Music Italy, Warner Music Italy und des Verbands der italienischen Musikindustrie (Federation of Italian Music Industry) Quad9 aufgefordert.

Auf der Liste der zu sperrenden Domains wegen mutmaßlicher Urheberrechtsverstöße stehen ilcorsaronero.la, ilcorsaronero.link, ilcorsaronero.pro, ilorsaronero.in, ilorsaronero.la, kickasstorrents.to, limetor.com, limetorents.so, limetorrents.cc, limetorrents.co, limetorrents.com und limetorrents.info.

Dies ist eine im Vergleich zu einem bereits gegen Cloudflare laufenden Verfahren deutlich erweiterte Sperrwunschliste. Cloudflare hatte im April 2024 vor einem Gericht in Mailand ein zweites Berufungsverfahren verloren, in dem man sich gegen die Nicht-Auflösung der Domains kickasstorrents.to, limetorrents.pro, and ilcorsaronero.pro gewehrt hatte.

Anbieter von DNS-Diensten in der EU müssten auch weiterhin damit rechnen, dass Rechteinhaber mit Sperranfragen auf sie zugehen, erklärte Joschka Seliger, Rechtsanwalt bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gegenüber heise online. "Nach Artikel 11 der Enforcement-Richtlinie (2004/48/EG) müssen die Mitgliedstaaten ermöglichen, dass Rechteinhaber bei Verletzungen geistigen Eigentums gegen Mittelspersonen wie DNS-Diensteanbieter vorgehen können."

Mit der Entscheidung des OLG Dresden und den Sperrverlangen aus Italien verlagere sich die Front nun möglicherweise von Deutschland nach Italien, schätzt der Jurist. Ob DNS-Dienste in Italien zur Sperrung verpflichtet werden können, richte sich dann maßgeblich nach italienischem Recht.

Bei der GFF, die die kleine Quad9 im Verfahren gemeinsam mit größeren und kleineren Spendern unterstützt hat, sieht man Sonys Vorgehen als "einen Baustein einer konzertierten Strategie der Rechteinhaber, die Haftung von neutralen Infrastrukturdiensten auszuweiten." Das Machtgefälle zwischen dem Konzernriesen Sony und der gemeinnützigen Stiftung Quad9 lege nahe, dass die Musikindustrie gezielt eine vermeintlich schwache Partei aufs Korn nimmt, fürchtet Seliger.

Quad9 bat in seiner Reaktion um Verständnis, dass man zunächst den italienischen Anwaltsforderungen nachgekommen sei. Zunächst werde man versuchen, einen Teil der Kosten, die der Stiftung durch das Verfahren auferlegt worden waren, zurückzuerhalten, sagte Todd. Die tatsächlichen Kosten, nicht zuletzt für die technischen Anpassungen im 9.9.9.9-System, bekäme man freilich nicht erstattet. Schadenersatzforderungen, die Quad9 rechtlich wohl stellen könnte, werde man allerdings wohl nicht verfolgen.

"Wir sind einfach froh, wenn der Fall abgeschlossen ist und wir uns wieder auf das konzentrieren können, was unsere eigentiche Arbeit ist", erklärte Todd. "Quad9 ist keine Prozessier-Maschine – wir sind Betreiber eines rekursiven Resolvers."

Man werde, so versichert Quad9, sehr wohl gegen die neue Zensurforderung kämpfen. Bevor man sich in einen neuen Rechtsstreit in Italien stürze, wolle man abwarten, ob Sony gegen das Dresdner Urteil doch noch Rechtsmittel einlegt.

Bei der GFF rechnet man schon fast damit, dass Sony eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einlegen wird, teilt Seliger mit. Wenn diese Beschwerde keinen Erfolg habe und das Urteil des OLG Dresden rechtskräftig werden sollte, dann werde die GFF ihrerseits prüfen, ob sie Quad9 in einem weiteren Verfahren unterstützen könne.

(mki)