Rechenzentren-Boom im Rhein-Main-Gebiet löst gemischte Gefühle aus

Milliarden Euro fließen in Rechenzentren in und um Frankfurt. Das Wachstum ist so groß wie nirgendwo sonst in Europa. Vor Ort sorgt das nicht nur für Freude.

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(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Isabell Scheuplein
  • Christine Schultze
  • dpa
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Video-Konferenzen im Homeoffice, Seriengucken und Computerspielen übers Internet: Auch befeuert von der Corona-Pandemie steigt die Nachfrage bei den Online-Diensten und damit die Zahl von Rechenzentren, in denen die Unternehmen ihre Server betreiben können. Frankfurt und das Rhein-Main-Gebiet seien der am schnellsten wachsende Standort in Europa, sagt Ralph Hintemann vom Berliner Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit. Das Wachstum der Kapazitäten sei im Jahr 2021 noch stärker ausgefallen als 2020.

Riesiger Strombedarf, immense Abwärme und hoher Platzbedarf bei relativ geringem Aufbau von Arbeitsplätzen – in den betroffenen Kommunen bedeutet die Ansiedelung von Rechenzentren neben willkommenen Steuereinnahmen jedoch auch Probleme.

Frankfurt will bald eingreifen, das Planungsdezernat hat dazu ein Konzept erstellt. Für Anfang 2022 werde ein Beschluss im Magistrat der Mainmetropole erwartet, sagt Dezernatssprecher Mark Gellert. Die Rechenzentren sollen auf bestimmte Gewerbegebiete beschränkt werden, unter anderem, um die Verdrängung klassischer Industrien oder Handwerksbetriebe zu verhindern. Auch Vorgaben zur Energieeffizienz und Gebäudegestaltung sind angedacht, hier ist das konkrete Vorgehen der Stadt allerdings noch nicht geklärt.

Rund 60 unternehmensunabhängige Rechenzentren zählt Frankfurt bisher, zahlreiche weitere sind geplant. Auf dem ehemaligen Neckermann-Gelände im Osten soll für rund eine Milliarde Euro ein ganzer Campus für Rechenzentren des Betreibers Interxion entstehen. Der US-Konzern Equinix hat eine Investition in ähnlicher Höhe angekündigt. Magnet ist mit dem DE-CIX einer der weltgrößten Internetknoten.

Auch im Frankfurter Umland will man von dieser Nachbarschaft profitieren. In Hanau beispielsweise ist der frühere Atombunker im Stadtteil Wolfgang für ein neues Rechenzentrum des Internetgiganten Google gewichen. Auf einer Fläche von 10.000 Quadratmetern entsteht hier Recheninfrastruktur für die wachsende Nachfrage nach Cloud-Diensten – rund 20 Kilometer entfernt von DE-CIX in Frankfurt.

Ein weiteres, noch weitaus größeres Rechenzentrum soll auf dem Gelände der ehemaligen Großauheim-Kaserne in Hanau hinzukommen. Sein Stromverbrauch entspricht im Endausbau dem Doppelten des Jahresverbrauchs der gesamten Stadt Hanau. Das Kasernengelände soll dafür zu einem Gewerbezentrum umgewandelt werden. Auf dem Gelände mit einer Gesamtfläche von 38 Hektar sind auch vier Blockheizkraftwerke zur Fernwärmeerzeugung, ein Umspannwerk sowie eine Photovoltaikanlage vorgesehen, deren Stromerzeugung in das Rechenzentrum fließen soll.

Beide Areale hätten sich für andere Projekte wie eine Wohnbebauung nicht nutzen lassen, sagt Hanaus Wirtschaftsförderin Erika Schulte. Zwar interessierten sich auch Logistiker für das frühere Kasernengelände – doch das wäre angesichts der großen Lärm- und Verkehrsbelastung für die Anwohner nicht zumutbar gewesen. Brach liegen lassen wollte die Stadt das versiegelte Gelände aber auch nicht. "Auch das gehört zur Nachhaltigkeit", sagt Schulte. Zudem soll das Vorhaben nach den Kriterien des "Blauer Engel" ausgelegt werden, dessen Ziel der umweltschonende Betrieb von Rechenzentren ist.

Bei der Entscheidung für die Ansiedlungen habe man neben den Gewerbesteuereinnahmen auch neue Firmen im Umfeld im Blick gehabt. Infrage kämen etwa IT-Unternehmen, Finanzdienstleister und Start-ups, die hohe Rechnerleistung brauchen oder Dienstleister wie Sicherheits- und Hausmeisterdienste, sagt Schulte. Für Rechenzentren spreche, dass es sich um eine exportunabhängige, zukunftsträchtige und für die Daseinsfürsorge wichtige Branche handle.

(mho)