Rundfunkgebühren bei Internet-Nutzung kommen in Österreich 2024

Die Regelung der ORF-Gebühren ist verfassungswidrig, sagt das Verfassungsgericht. 2024 dürfte es für viele Haushalte teurer werden, auch an Zweitwohnsitzen.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 79 Kommentare lesen
Ausrangierte Fernseher auf einer Wiese

Laut ORF haben sich 2021 "bis zu ca." 1.100 Haushalte pro Monat von den Gebühren abgemeldet, weil Streaming gebührenfrei ist. Weitere 4.000 pro Monat geben demnach an, keinen Rundfunkempfänger mehr zu besitzen.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Bisher unterliegen Computer mit Internetanschluss in Österreich nicht automatisch den Rundfunkgebühren, und damit auch nicht den ORF-Gebühren ("Programmentgelt" respektive "Radioentgelt"). Nur Haushalte mit Rundfunkempfangsgeräten müssen zahlen. Das ist verfassungswidrig, wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) des Landes in einem überraschenden Erkenntnis (Az. G 226/2021-12) feststellt.

Demnach verstößt es gegen den Gleichheitsgrundsatz der österreichischen Verfassung, Rundfunk-Haushalte und -Unternehmen zu ORF-Gebühren zu verpflichten, andere Haushalte und -Unternehmen mit Internetzugang aber nicht, obwohl sie online Zugang zu ORF-Programmen haben. Der Gesetzgeber hat jetzt bis Ende 2023 Zeit für ein neues Gesetz. Ab 2024 werden fernsehfreie Haushalte und Unternehmen mit Internetzugang deutlich mehr zahlen müssen. Für Zweitwohnsitze könnten dann ebenfalls ORF- und Rundfunkgebühren fällig werden.

Der ORF (Österreichischer Rundfunk) finanziert sich zu zwei Dritteln aus den Zwangsgebühren, Tendenz steigend. Seit jeher sind die ORF-Gebühren an die Rundfunkgebühren gekoppelt, die der Bund sowie alle Bundesländer außer Oberösterreich und Vorarlberg von Haushalten sowie Unternehmen verlangen, die in einem Gebäude Rundfunkgeräte zum Empfang bereithalten. Ob tatsächlich ORF-Programme in Anspruch genommen werden, spielt keine Rolle.

Für das Inkasso ist die ORF-Tochter GIS zuständig, das Pendant zur deutschen GEZ. Österreichische Haushalte mit Fernseher zahlen je nach Bundesland 22,45 bis 28,65 Euro monatlich, wovon 18,59 Euro an den ORF gehen. Gibt es nur Radio- aber keine Fernsehempfänger, sind die Gebühren deutlich geringer. Gibt es weder noch, ist nichts zu zahlen – was sich nun ändern soll.

Seit Jahren übt die GIS auf rundfunkfreie Haushalte und Unternehmen systematisch Druck aus. Sind Internetzugang und Computer vorhanden, sollten zumindest Radiogebühren bezahlt werden. Das Argument der GIS: Weil der ORF seine Radioprogramme fast zur Gänze online streamt, können Computerhaushalte ohne Radio trotzdem Radio hören und sollen zahlen. Inzwischen streamt der ORF auch erhebliche Teile seiner Fernsehprogramme online.

Schon 2008 hat Österreichs GEZ-Pendant erstmals TV-Gebühren für Computer verlangt. Dieses Verfahren hat die GIS verloren, ein Wiener Internetnutzer musste keine Rundfunkgebühren zahlen. Ab etwa 2013 erließ die GIS erneut Bescheide, mit denen rundfunkfreie Haushalte zur Zahlung gezwungen werden sollten. In einem Fall prozessierte die GIS bis zum Höchstgericht Verwaltungsgerichtshof (VwGH) und verlor. Der VwGH erkannte 2015, dass Internetstreams nach österreichischer Rechtslage kein Rundfunk sind, selbst wenn derselbe Inhalt übertragen wird. Daher würden keine Rundfunkgebühren für Computer fällig, mithin auch keine ORF-Gebühren.

Der Unterschied ist technischer Natur: Rundfunk ist eine Punkt-zu-Multipunkt-Übertragung, wobei die Zahl der gleichzeitig versorgbaren Empfänger praktisch unendlich ist. Das Internet-Pendant wäre Multicast; die ORF-Streams sind allerdings in der Regel Unicast, was die Zahl der Zuschauer technisch beschränkt. (Der Netzbetreiber A1 nutzt bei A1-Xplore-Streams Multicast, was wohl Rundfunkgebührenpflicht begründen würde, aber nicht ausjudiziert ist, Anmerkung.)

Doch nun ist es dem ORF gelungen, jene Passage des ORF-Gesetzes als verfassungswidrig aufheben zu lassen, die die ORF-Gebühren an die staatlichen Rundfunkgebühren koppelt. Laut Erkenntnis verstößt es gegen den Gleichheitsgrundsatz der österreichischen Verfassung, reine Streaming-Haushalte von den ORF-Gebühren freizustellen, obwohl sie online Zugang zu ORF-Programmen haben.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Umfrage (Opinary GmbH) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Opinary GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Der VfGH ließ schon durch die sehr selten gewährte Annahme der Individualbeschwerde des ORF aufhorchen. Noch überraschender die Entscheidung: Obwohl laut ORF 98 Prozent der österreichischen Haushalte mindestens einen Fernseher haben und somit sowieso den Höchstbetrag zahlen müssen, erkannten die Verfassungsrichter in der Befreiung reiner Streaming-Haushalte einen ausreichend schwerwiegenden Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, um einen Teil des ORF-Gesetzes aufzuheben.

Österreich hat ein eigenes Verfassungsgesetz zur Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks. Dieses hebe "die demokratische und kulturelle Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" und des durch ihn geförderten öffentlichen Diskurses hervor, schreiben die Richter. Die Finanzierung durch alle potenziellen ORF-Nutzer habe "einen die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit sichernden Aspekt." Dafür sei "wesentlich, dass grundsätzlich alle, die Rundfunk (...) potentiell empfangen und damit über Rundfunk am öffentlichen Diskurs (…) teilhaben können, in die gesetzliche Finanzierung des ORF einbezogen werden, und nicht eine wesentliche Gruppe aus Gründen der Nutzung eines bestimmten, nach dem Stand der Technik gängigen Verbreitungsweges ausgenommen wird."

Dass der ORF auch ohne Gebühren von Streaming-Haushalten um keinen Cent umfällt, spielt für den VfGH keine Rolle. Laut Gesetz muss der ORF seine Gebühren spätestens alle fünf Jahre so festsetzen, dass er sich sparsam und zweckmäßig finanzieren kann. Haushalte und Unternehmen mit Rundfunkgeräten müssen also geringfügig mehr zahlen, wenn die wenigen Prozent ohne Rundfunkgerät aber mit Internetzugang nicht zahlen. Weil das nur wenige sind, wird sich die große Mehrheit ab 2024 kaum etwas ersparen. Im Gegenteil: Aus den Argumenten des ORF geht bereits hervor, dass die Gebühren für alle steigen werden, weil die Werbeeinnahmen sinken.

Immerhin sollte der Gesetzgeber es reinen Streaming-Haushalten etwas günstiger geben, zumal der ORF nicht alles streamt – aber gratis ist unzulässig. Der VfGH formuliert das so: "Zwar ist der Gesetzgeber bei einer Finanzierung des ORF über Programmentgelt gehalten, die Verpflichtung zur Leistung des Programmentgeltes im Hinblick auf einen Empfang von Rundfunkprogrammen des ORF über das Internet näher und differenziert auszugestalten. Die gänzliche Ausnahme maßgeblich möglicher kommunikativer Teilhabe an den Programmen des ORF ist aber mit einem teilhabeorientierten Finanzierungssystem (…) nicht vereinbar."

(ds)