Russische Medienauflagen: Netflix muss Putins Propaganda zeigen

In Russland unterliegt Netflix künftig einer Reihe neuer Pflichten der Aufsicht Roskomnadsor, die den US-Konzern in ein spezielles Register aufgenommen hat.

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(Bild: Brandon Clark, ABImages/Netflix)

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Netflix muss in Russland vom 1. März an auch Inhalte von Kreml-nahen Sendern übertragen. Der Streaming-Anbieter unterliegt ab Dienstag einer Reihe neuer Auflagen, nachdem die russische Kommunikations- und Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor den US-Konzern im vergangenen Jahr in einen Katalog "audiovisueller Dienste" eingetragen hatte.

Das Register gilt für Streaming-Dienste auf dem russischen Markt mit mindestens 100.000 Nutzern pro Tag. Mit der Aufnahme ist die Pflicht verknüpft, Streams von 20 staatlichen Fernsehsendern aus Russland zu übertragen. Dazu gehören laut einem Bericht der Moscow Times, deren Webseite momentan aufgrund der Cyberunruhen in Folge des bewaffneten russischen Angriffs auf die Ukraine nicht erreichbar ist, unter anderem der Erste Kanal (Perwy kanal), NTV und der von der russisch-orthodoxen Kirche betriebene Sender Spas.

Der Erste Kanal ist landesweit der Sender mit der größten Reichweite. Er gilt als besonders eng mit dem Kreml verwoben. Eine Reihe engsten politischen Verbündeten von Präsident Wladimir Putins sitzen im Vorstand. Dazu gehören Sergei Naryschkin, Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, und Alexei Gromow, Vize-Stabschef der russischen Präsidialverwaltung. Letzterer ist auch für die Produktion von Staatspropaganda und Moskaus umfassendes Zensurprogramm zuständig. Er war früher Putins Pressesekretär.

Während der ersten Phase des Ukraine-Kriegs strahlte Perwy Kanal schon im Juli 2014 in den Abendnachrichten als frei erfunden geltende Behauptungen aus, wonach ukrainische Soldaten in Slowjansk Frauen, Kinder und Alte zusammengetrieben und einen dreijährigen Jungen gekreuzigt hätten. Hierzulande sorgte der Sender auch 2016 für Schlagzeilen aufgrund von Falschmeldungen über den Fall Lisa: Er behauptete, ein 13-jähriges Mädchen mit russischen Wurzeln sei in Berlin von Flüchtlingen vergewaltigt, der Vorgang von den deutschen Behörden vertuscht worden.

Netflix hat in Russland aktuell geschätzt knapp eine Million Abonnenten. Dies geht aus Zahlen einer Firma hervor, die das Unternehmen vor Ort vertritt. Gegenüber dem Online-Magazin Politico wollte sich Netflix Ende der Woche nicht dazu äußern, ob es die neuen Regeln befolgen werde.

Experten halten es laut dem Portal aus kommerzieller Sicht aber für sehr unwahrscheinlich, dass sich der Streaming-Konzern vom russischen Markt zurückzieht. Netflix habe vor Ort bereits mehrere Partnerschaften etwa mit der staatsnahen Medienholding Nationale Mediengruppe (NMG) geschlossen, erklärte die Brüsseler Medienforscherin Catalina Iordache gegenüber Politico. Das Unternehmen habe zudem vergleichsweise hohe Summen in die Produktion russischer Inhalte wie der Dramaserie "Anna K." gesteckt hat.

Die Kooperation mit NMG kündigte Netflix 2020 an. Die Anwaltskanzlei Hogan Lovells hatte sie vermittelt und lobte den Deal damals als einen Paradigmenwechsel, der "neue Standards für ausländische Streaming-Dienste in Russland setzen" werde. NMG hält fast 20 Prozent der Anteile am Perwy kanal. Generell ist Russland Iordache zufolge ein "großer Abonnentenmarkt", der sich für Netflix als sehr profitabel erweisen könnte.

Die neuen Vorgaben kommen für das US-Unternehmen zur Unzeit. Im Westen wächst aktuell massiv die Sorge darüber, wie Moskau Medien nutzt, um im Krieg gegen die Ukraine Desinformation zu verbreiten und Verwirrung zu stiften. Andererseits droht dem Anbieter in Russland bereits eine Geldstrafe von bis zu einer Million Rubel und eine Sperre, nachdem er dort "Propaganda über nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen" mit Serien über LGBT-Themen (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) verbreitet haben soll.

Die staatliche ukrainische Telekommunikationsagentur gab derweil am Samstag nach Angaben des "Kyiv Independent" bekannt, dass sechs russische Regierungswebseiten nicht erreichbar seien. Dazu sollen die Auftritte des Kremls und der Roskomnadsor gehören. Hacker hätten russische Fernsehsender ferner dazu gebracht, ukrainische Musik zu spielen. Nach Facebook kündigte unterdessen auch YouTube an, das russische Auslandsfernsehprogramm RT sowie weitere Staatsmedien von Werbeeinnahmen abzuschneiden.

(tiw)