Standardisierung: EU-Kommission beansprucht Führungsrolle Europas bei Normen

Laut einer neuen Strategie sollen EU-Akteure über europäische Normen entscheiden und aktiver auf globaler Ebene Standards setzen. Zuvor kam Druck aus China.

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Binnenmarktkommissar Thierry Breton stellt die Normungs-Strategie der Kommission vor.

(Bild: EU/Claudio Centonze)

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Die EU-Kommission hat am Mittwoch eine neue Normungsstrategie vorgelegt. "Wir wollen unsere Standards sichtbarer machen und damit auch auf die globale Entwicklung stärker Einfluss nehmen", erklärte Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Europa sei lange führend gewesen in internationalen Normierungsorganisationen wie der ISO oder der ITU. Vielfach definierten inzwischen aber chinesische und US-Unternehmen die Standards. Zugleich wolle die Kommission sicherstellen, dass Normen den digitalen und grünen Wandel unterstützen.

Ein Punkt der neuen Strategie ist, dass künftig EU-Akteure über europäische Normen entscheiden sollen, die die Politik und die Rechtsvorschriften der EU umsetzen. Eine Reform der Verordnung über die Normung soll sicherstellen, dass bei Normungsaufträgen der Kommission europäische Interessen ausreichend berücksichtigt werden. Dies beträfe das Europäische Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI), das Europäische Komitee für Normung (CEN) und das Europäische Komitee für elektrotechnische Normung (Cenelec).

Damit will die Kommission "unangemessene Einflussnahme von Akteuren aus Ländern außerhalb der EU und des EWR auf die Entscheidungsprozesse bei der Entwicklung von Normen" etwa für Schlüsselbereiche wie Cybersicherheit oder Wasserstoff ausschließen. Breton begründete das Vorhaben etwa mit einer Entscheidung des ETSI von 2020 zur Kompatibilität von Smartphones mit dem europäischen Satellitensystem Galileo. Damals sei das Standardisierungsersuchen der Kommission auf Druck nicht-europäischer Akteure zurückgewiesen worden.

Trotz der neuen Auflage werde das europäische System "offen, transparent, inklusiv und unparteiisch bleiben", betont die Kommission. Es gehe nicht um Protektionismus. Die europäische Zivilgesellschaft, kleine und mittlere Unternehmen und Nutzer sollten stärker einbezogen werden als bisher. Breton kritisierte, dass in europäischen Normungsgremien "teils 50 Prozent der Stimmrechte bei außereuropäischen Firmen liegen".

Zugleich strebt die Kommission eine "stärkere Führungsrolle Europas bei globalen Normen" an. Sie will dazu ein "Hochrangiges Forum" schaffen, um mit den EU-Ländern und den nationalen Normungsinstitutionen Informationen auszutauschen und den europäischen Ansatz für die internationale Standardisierung zu koordinieren. Auch mit "gleich gesinnten Partnern" werde man stärker zusammenarbeiten, heißt es in Brüssel. Die EU werde dazu Normungsprojekte in afrikanischen Staaten und in Nachbarschaftsländern finanzieren.

Weitere Schwerpunkte der Strategie sind, Forschung und Standardisierung stärker zu verknüpfen, neue Experten für den Bereich Normung auszubilden und so einen "Generationenwechsel bei den Sachverständigen" einzuleiten. In "strategischen Bereichen" will die Kommission den Standardisierungsbedarf zudem "antizipieren, priorisieren" und zeitnaher bewältigen. Sie zielt damit etwa auf die Produktion von Covid-19-Impfstoffen und -Arzneimitteln, das Recycling kritischer Rohstoffe, die Wertschöpfungskette für sauberen Wasserstoff, CO₂-armen Zement sowie die Zertifizierung von Chips und Datenstandards.

Ab diesem Jahr sollen solche Normungsprioritäten etwa über das geplante Forum klar festgelegt werden. Vorgesehen ist auch ein "Leitender Normungsbeauftragter", der in der gesamten Kommission auf hoher Ebene Leitlinien für Normungstätigkeiten vorgibt und von einem EU-Exzellenzzentrum für Normen unterstützt wird, das sich aus Kommissionsvertretern zusammensetzt.

Mit dem Vorhaben reagiert die Kommission vor allem auf die zunehmende Beteiligung chinesischer Kräfte an der internationalen Standardisierung, die etablierte Normungsmächte herausfordert. Mit entsprechenden Vorschlägen könne die kommunistische Regierung in Peking versuchen, "Normung als Instrument zur Förderung von Technologien zu missbrauchen, die demokratische Werte und Menschenrechte in Frage stellen", warnten im Dezember mehrere europäische Stiftungen. Sie verwiesen etwa auf den Vorschlag des Netzausrüsters Huawei für ein neues Internet-Protokoll unter dem Titel "New IP".

Erst am Dienstag drängte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die EU zu mehr internationalem Machtbewusstsein bei Normen und Standards. Insbesondere bei Zukunftstechniken laufe Europa hier Gefahr, von China abgehängt zu werden. Europa und Deutschland hätten in den letzten Jahren "in der internationalen Normung an Boden verloren", sagte auch Bitkom-Chef Achim Berg und bezeichnete die Strategie daher als überfällig. Als "wichtiges Zeichen" bezeichnete der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) die EU-Initiative. Der schwindende Einfluss von deutschen und europäischen Unternehmen sei "ein Risiko für die europäische und deutsche Exportwirtschaft."

(vbr)