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Testfahrt im Wasserstoffzug: Siemens zeigt seinen Mireo Plus H

Andreas Sebayang

(Bild: Andreas Sebayang / heise online)

Siemens lud ins Eisenbahntestzentrum, um den neuen Wasserstoffzug zu demonstrieren. Heise online ist mitgefahren und hat technische Details erfahren.

Mit dem Mireo Plus H (Baureihe 563, PDF-Datenblatt [1]) bietet auch Siemens einen Wasserstoffzug an, den das Unternehmen nun bei Testfahrten der Presse vorstellte. Der Zug wurde nicht nur von außen gezeigt. Auch eine Mitfahrt im Innern des vollständig wirkenden Zugs wurde angeboten. In den regulären Betrieb darf er allerdings noch nicht, bevor die Testkampagne abgeschlossen ist.

Das rund 47 Meter lange und zweiteilige Triebfahrzeug gehört zur Mireo-Familie, die es als elektrifizierte Version, als Akkuversion (Mireo Plus B) und nun auch als Wasserstoffversion gibt. Innerhalb der Familie selbst sind bis zu siebenteilige Fahrzeuge vorgesehen, die auch in Mehrfachtraktion oder im Mischbetrieb mit einem Desiro HC fahren können. Beim Wasserstoffmodell ist jedoch zunächst nur der Bau von Zweiteilern vorgesehen.

Auf Nachfrage erklärte Siemens, dass größere Zuggarnituren auch mit Wasserstoff als Energieträger herstellbar sind. Doch dafür muss der Markt diese erst einmal anfordern. Züge werden nicht am Fließband hergestellt, stattdessen ist hier viel Handarbeit angesagt.

Gezeigt wurde der Mireo Plus H im Prüf- und Testcenter in Wegberg-Wildenrath [2] unweit von Düsseldorf. Dort hat Siemens eine große Anlage (siehe Openrailwaymap [3]) bestehend aus zwei Testringen und unzähligen weiteren Gleisen für Tests, darunter auch Dreischienengleise, um etwa Schmalspurbahnen zu testen. Selbst unterschiedliche Stromsysteme gibt es und es muss nicht immer eine Oberleitung sein.

Wasserstoffzug Siemens Mireo Plus H (0 Bilder) [4]

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Die brauchte der Mireo Plus H allerdings nicht. Das Fahrzeug soll nicht-elektrifizierte Strecken bedienen und steht damit in Konkurrenz zu Alstoms Coradia iLint. Doch während Alstom mit diesem Modell seit wenigen Wochen Fahrgäste außerhalb eines Testbetriebs mit Wasserstoff befördert [6], muss Siemens noch erste Runden drehen, bevor der vorgestellte Zug Anfang 2024 in Baden-Württemberg in den Regelbetrieb geht. Ende 2024 soll zudem die Heidekrautbahn nahe Berlin mit den Zügen betrieben werden.

Eine Besonderheit von Wasserstoffzügen ist die komplette Unabhängigkeit vom Stromnetz. Akkuzüge, wie der Mireo Plus B, haben hingegen weiterhin einen Stromabnehmer. Das ist praktisch, wenn nur Teilabschnitte nicht elektrifiziert wurden. Eine Kombination aus Wasserstoff und Oberleitung ist derzeit nicht vorgesehen. Das ist auch bei Dieselzügen eher ungewöhnlich, auch wenn sich hier in letzter Zeit einiges getan hat (Eurodual von Stadler und Vectron Dual Mode von Siemens).

Der Regionaltriebzug Mireo Plus H ist also ein weiteres Angebot, um Strecken nicht elektrifizieren zu müssen, denn das ist oft mit vielen Hürden verbunden. Von baulichen Schwierigkeiten über Nutzen-Kosten-Analysen bis zu besorgten Anwohnern, die aufgrund der höheren Leistungsfähigkeit elektrifizierter Strecken mehr Verkehr befürchten. Bei rund 40 Prozent noch nicht elektrifizierten Strecken ist noch einiges zu tun. Die Anschaffung alternativer Antriebe geht schneller.

Im Vergleich zu reinen Akkuzügen spricht zudem die höhere Reichweite für Wasserstoff. Der für Dänemark geplante Mireo Plus B schafft etwa nur 80 Kilometer ohne Netz. Beim Mireo Plus H ist das Zehnfache geplant. Er ist damit auch in von der Stromversorgung isolierten Gleisnetzen verwendbar und kann die letzte Domäne der Dieselzüge ablösen.

Die Wasserstoffzüge sollen zudem besonders leise im Betrieb sein. Auf dem Testring gelang das bei der Demonstration allerdings nicht ganz so gut. Zugegebenermaßen hatte das aber technische Gründe. Tatsächlich war von den Elektromotoren fast nichts zu hören.

Der Zug durfte allerdings noch nicht seine volle Geschwindigkeit fahren. Zum einen war das Fahrzeug auf dem inneren Testring unterwegs, der ohnehin keine hohen Geschwindigkeiten erlaubt, und zum anderen durfte er auch dort nur mit Tempo 50 seine drei Demorunden mit Journalisten drehen. Mehr ist noch nicht erlaubt, so Siemens. Eigentlich sind auf dem 2.485 Meter langen Testoval T2 mit einem Mindestradius von 300 Metern 100 km/h möglich.

Aufgrund der hohen Gleisüberhöhung in den "Steilkurven" gab es dann, während ein Siemens-Sprecher den besonders leisen Zug beschrieb, hin und wieder Berührungen der Spurkränze mit den Gleisen, was doch einiges an Geräuschen produziert. Zumal der Zug auch sehr gemächlich in Gang gesetzt wurde. Im normalen Betrieb ist so etwas natürlich nicht zu erwarten.

Denn eigentlich ist der Zug ziemlich leistungsfähig. Die Antriebsleistung des Zuges beträgt 1.700 Kilowatt in der Spitze, die insbesondere bei Beschleunigung des Zuges abgerufen werden können. Die Energie kommt allerdings nicht direkt aus der Brennstoffzelle. Der Mireo Plus H hat pro Wagenteil eine Brennstoffzelle mit jeweils 200 Kilowatt. Die Brennstoffzelle betreibt daher nicht direkt die Antriebsleistung, sondern versorgt laut Siemens kontinuierlich den Akku mit Strom. Alstoms iLint arbeitet ebenfalls mit Batterieunterstützung bei der Beschleunigung.

Wie groß der Akku ist, wollte Siemens auf Nachfrage von heise online nicht beantworten, den Wert will man noch geheim halten. Zu anderen Daten war man offener. Mit den 1.700 Kilowatt, die vom Akku in die beiden angetriebenen Drehgestelle vorn und hinten gehen, kann der 93 Tonnen wiegende Zug mit maximal 1,1 m/s2 beschleunigen. Das ist für einen Regionalzug auf einer Dieselstrecke äußerst sprintstark und fast auf dem Niveau einer U-Bahn und wenigen S-Bahn-Baureihen [7].

Zum Vergleich: Ein 115 Meter langer und 185 Tonnen schwerer U-Bahnzug in München der Baureihe C2 [8] hat eine Antriebsleistung von 3.360 Kilowatt und schafft 1,3 m/s2.

Mit der Antriebsleistung hält der Wasserstoffzug andere Züge nicht auf. Der Mischverkehr zwischen Diesel- und Elektrofahrzeugen ist aufgrund sehr unterschiedlicher Leistungswerte oft problematisch. Das ist auch ein Vorteil des Mireo Plus H verglichen mit dem Coradia iLint (PDF-Datenblatt [9])

Die Höchstgeschwindigkeit der Garnitur liegt bei 140 km/h. Die Deutsche Bahn spricht in ihrer Pressemitteilung zwar von 160 km/h, doch dafür fehlt dem Mireo Plus H eine dritte Magnetschienenbremse. Eine Geschwindigkeit von 140 km/h ist für den typischen Einsatzzweck allerdings ausreichend. Denn Strecken, auf denen mit Dieseltriebwagen gefahren wird, werden selten mit 160 km/h befahren. Das ist eher typisch für elektrifizierte Strecken, auf denen – geeignete Zugsicherungssysteme vorausgesetzt – auch noch schneller gefahren werden kann.

Details nannte Siemens auch zur Betankung, die mit Hilfe einer mobilen Tankstelle der Deutschen Bahn demonstriert wurde. Dem Testring fehlt eine entsprechende Tankstelle noch. Für die Betankung des Zuges hat jeder Teil des Triebzuges eigene Tankstutzen auf beiden Seiten des Zuges.

Die Erstbetankung dauert insgesamt 15 Minuten und soll damit vergleichbar mit der Betankung eines Dieseltriebzugs sein. Die Zugteile selbst sind nur elektrisch miteinander verbunden. Eine entsprechende Leitung für den Wasserstoff zwischen den Zugteilen gibt es noch nicht, so Siemens. Dementsprechend muss jeder Zugteil betankt werden.

Die Infrastruktur ist denn auch der größte Nachteil des Systems. Tankstellen müssen erst gebaut und der Wasserstoff idealerweise mit erneuerbaren Energien erzeugt werden, sollte er nicht als Nebenprodukt anfallen [10].

Mit insgesamt 160 Kilogramm Wasserstoff erreicht der Zug eine Reichweite von maximal 800 Kilometern. Das entspricht laut Siemens etwa 0,2 Kilogramm je Kilometer. Wer nun nachrechnet, der merkt, dass hier etwas nicht stimmt. Zwei Faktoren spielen bei der Reichweite eine weitere Rolle. Zum einen können laut Siemens nur 140 bis 150 Kilogramm effektiv genutzt werden, ein gewisser Grunddruck im Tank ist weiterhin nötig, und zum anderen ist die Rekuperation hier nicht eingerechnet. Auf Rekuperation war Siemens bei der Veranstaltung besonders stolz, da man davon ausgeht, dass ein sehr hoher Teil der Bremsenergie aufgefangen werden kann. Siemens sprach von 2.000 Kilowatt, die in den Akku zurückgespeist werden können.

Verglichen mit dem Coradia iLint ist das ungefähr dieselbe Reichweite. Alstom will aber – passend zur kommenden Innotrans in Berlin – am 15. September eine Rekordfahrt durchführen, um eine höhere Reichweite zu demonstrieren [11].

Im Innenraum ist von der besonderen Ausstattung fast nichts erkennbar. Der Zug sieht wie ein normaler, moderner Regionalzug aus. Die Ausrüstung ist augenscheinlich zudem komplett, bis hin zu speziellen Scheiben, die auch Funksignale durchlassen. Einzige technische Auffälligkeit in den ansonsten laut Siemens technisch identischen Fahrzeugteilen ist der Technikraum mit dem Tanksystem, der hinter dem Universal-WC positioniert ist. Dieser dürfte ungefähr drei Sitzplätze kosten.

Der Zug selbst bietet 120 Sitzplätze und soll seinen Fahrgästen auch WLAN bieten. Ein Multifunktionsabteil gibt es in beiden Zughälften. Aufgrund der niedrigen Einstiegshöhe ist der Zug nicht vollständig barrierefrei. Die vorgestellte Variante ist mit 600 Millimetern Einstiegshöhe konzipiert.

Zu den Plätzen über den Drehgestellen muss eine Treppe überwunden werden. Zudem ist das Universal-WC nur auf einer Fahrzeugseite barrierefrei erreichbar, da der Raum über dem Jakobsdrehgestell, also der Wagenübergang, ebenfalls höher liegt. Laut Siemens kann der Zug auch mit höherem Einstieg (800 mm und damit stufenlos an typischen 760-mm-Bahnsteigen) geordert werden, sofern die Bahnsteige entsprechend tauglich sind. Der Wagenübergang ist dann allerdings auch nicht stufenlos, sodass mobilitätseingeschränkte Personen in den richtigen Zugteil einsteigen müssen.

Das ist allerdings ein allgemeines Problem im Regionalverkehr. Die Bahnsteige sind niedriger als etwa bei weitestgehend separaten S-Bahn-Systemen wie Berlin, Hamburg und München (960 mm Bahnsteighöhe). Damit bleibt im Regionalverkehr weniger Platz unter den Wagen für die technische Ausrüstung, insbesondere, wenn die Achsen angetrieben sind. Lokbespannte Züge, wie der kommende ICE L, haben hier Vorteile, müssen allerdings Kompromisse eingehen.

(tiw [12])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7259945

Links in diesem Artikel:
[1] https://assets.new.siemens.com/siemens/assets/api/uuid:f186839a-effd-4cef-a85b-00d84b0871fd/siemens-mobility-mireo-plus-b-mireo-plus-h-de.pdf
[2] https://www.mobility.siemens.com/global/en/portfolio/rail/services/qualification-services/certified-test-and-validation.html
[3] https://www.openrailwaymap.org/?style=maxspeed&lat=51.111147370330464&lon=6.2268877029418945&zoom=14
[4] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_7259986.html?back=7259945;back=7259945
[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_7259986.html?back=7259945;back=7259945
[6] https://www.heise.de/news/Weltweit-erstes-Netz-mit-Wasserstoff-Zuegen-in-Betrieb-7241865.html
[7] https://www.bahninfo-forum.de/read.php?9%2C211262
[8] http://www.bahnaktuell.net/gallery/main.php?g2_itemId=14066
[9] https://www.fahma-rheinmain.de/projekte/wasserstoffzuege/technische-daten/
[10] https://www.heise.de/hintergrund/Tankstelle-fuer-Wasserstoff-Bahn-entsteht-im-Industriepark-Frankfurt-Hoechst-4939352.html
[11] https://www.alstom.com/alstom-coradia-ilint-distance-record
[12] mailto:tiw@heise.de