Trend zu Sicherheits- und Präventionsgesetzen bemängelt

Wenige Tage vor dem 60. Geburtstag des Grundgesetzes rügte Winfried Hassemer, Ex-Vizepräsident des Verfassungsgerichts, bei der Vorstellung des Grundrechte-Reports 2009 Politik und Verwaltung: Zu häufig werde zu Lasten bürgerlicher Freiheiten entschieden.

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Winfried Hassemer, früherer Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, hat im Rahmen der Vorstellung des "Grundrechte-Reports 2009" in Karlsruhe am heutigen Montag zu einem sorgsameren Umgang mit den Bürgerrechten aufgerufen. "Wir beobachten in Gesetzgebung und Verwaltung einen allgemeinen Trend hin zu mehr Sicherheit und Prävention, der häufig zu Lasten der klassischen bürgerlichen Freiheiten geht", sagte der Rechtsexperte. Als Beispiele werden in dem 272 Seiten starken Band unter anderem "polizeiliche Datennetze", Überwachung durch Geheimdienste, der "grenzenlose Datenverkehr in der EU", die oft restriktive Anwendung des Informationsfreiheitsgesetzes und die zunehmende Beschränkung der Demonstrationsfreiheit thematisiert.

Generell zog Hassemer wenige Tage vor dem 60. Jubiläum des Grundgesetzes ein kritisches, aber auch positives Fazit der deutschen Verfassungswirklichkeit: "Insbesondere im Bereich des Datenschutzes erleben wir, dass ein schon fast tot geglaubtes Grundrecht neu an Bedeutung gewinnt, weil die Bürger durch die Überwachungsskandale in großen Unternehmen aufgeschreckt werden". Eine entsprechende Abhandlung in dem "alternativen Verfassungsschutzbericht" trägt den Titel "Im Griff der Datenkraken" und konstatiert die "Aushöhlung des Datenschutzes durch die Privatwirtschaft". Die Bürgerrechtsvereinigung Humanistische Union (HU), die den Report gemeinsam mit acht anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen herausgibt, monierte vorab: "Deutsche Bahn, Telekom, Lidl – ein großes deutsches Unternehmen nach dem anderen muss einräumen, in rechtswidriger Weise die Privatsphäre von Mitarbeitern und Dritten verletzt zu haben."

Darin sehen die Bürgerrechtler letztlich aber nur einen "Vollzug" der Linie, die der Staat der Wirtschaft seit Jahren vorgemacht habe. Auch der umstrittenen Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) widmet sich so ein eigener Artikel. Am Beispiel der Debatte um heimliche Online-Durchsuchungen wird dabei eine ständige Ausweitungsspirale von Befugnissen der Sicherheitsbehörden aufgezeigt. "Kaum hatte im vergangenen Jahr das Bundesverfassungsgericht den Begehrlichkeiten von Polizei und Geheimdiensten Grenzen gesetzt, wurden Forderungen der Politik laut, dann eben das Grundgesetz zu ändern, um das grenzenlose Ausspähen privater PCs zu ermöglichen", bemängelt die HU. Das herausgekommene Gesetz verstoße gegen den Schutz des Kernbereichs der Menschenwürde. Zudem hätten die BKA-Ermittler ein Bündel von fragwürdigen Eingriffsermächtigungen vom Belauschen von Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten und Journalisten bis zur "schon tot geglaubten Rasterfahndung" erhalten.

Der ehemalige HU-Bundesvorsitzende Till Müller-Heidelberg attestierte der Politik so einen "abnehmenden Respekt gegenüber dem Grundgesetz". Zugleich rügte er die "Rechtsblindheit" von Ermittlungsbehörden und sogar Gerichten, die immer wieder gegen die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa zur Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 Grundgesetz verstoßen würden. Weiter machte er eine gefährliche Ausdehnung geheimer Befugnisse der Polizei aus und forderte, dass der Rechtsstaat "transparent" sein müsse.

Siehe zu dem Thema auch:

(Stefan Krempl) / (jk)