Überwachungsgesetze: EU-Gerichtshof verurteilt Schweden und Großbritannien

Zehn Jahre nach der Snowden-Enthüllung: Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof erklärt britische und schwedische Geheimdienstgesetze für weitgehend illegal.

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(Bild: Marian Weyo/Shutterstock.com)

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Von
  • Monika Ermert
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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat den britischen und den schwedischen Gesetzgeber wegen ihrer Überwachungsgesetze verurteilt. In beiden Fällen erkannten die Richter eine Verletzung der Grundrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Allerdings erklärte eine Mehrheit der Richter es für rechtens, dass die Briten Daten von befreundeten Geheimdiensten erhalten.

Die 2000 im Gesetz über die Regulation of Investigatory Powers Act (RIPA) regulierte massenhafte Ausspähung von Kommunikationsdaten verletzen das Grundrecht auf Familienleben und Privatsphäre (Artikel 8 EMRK), entschieden die Richter. Das Gesetz erlaubte etwa das Abgreifen der Datenströme an den Seekabeln und wurde durch die Enthüllungen Edward Snowdens als Tempora-Programm bekannt. Ebenso verurteilten die Richter den Erwerb von Daten über Internet-Provider. Außerdem würden durch RIPA, das 2016 durch den Investigatory Powers Act (IPA) abgelöst wurde, die in Artikel 10 der Konvention garantierten Rechte einer freien Presse beschnitten.

Zwar sei das präventive Abhören durch die Geheimdienste nicht per se grundrechtlich problematisch, schreiben die Richter in dem nach jahrelangen Auseinandersetzungen ergangenen Urteil. Doch fehlten entscheidende Kontrollmaßnahmen. Die Grundrechtseingriffe erforderten eine Art "Ende-zu-Ende-Aufsicht", heißt es im Urteil. Eine von der Exekutive unabhängige Stelle habe vorab das Anzapfen der Daten über die Maßnahme zu entscheiden, ferner seien Suchbegriffe, die sogenannten Selektoren zu prüfen und es müsse eine effektive Nachkontrolle stattfinden.

Geklagt hatten im britischen Verfahren die Londoner Organisation Privacy International zusammen mit Bürgerrechts- und Journalistenorganisationen aus drei Kontinenten. Eine der Klägerinnen ist CCC-Sprecherin Constanze Kurz.

Privacy International sieht sich durch das Urteil vom Dienstag bestätigt. Vor allem die geforderten Anforderungen an die Aufsicht über die Geheimdienstaktivitäten seien im Vergleich zum ersten Urteil des Gerichts ausgeweitet, schreibt die Organisation. Die Forderung nach der "Ende-zu-Ende-Aufsicht" bei der geheimdienstlichen Überwachung ist laut Privacy International von entscheidender Bedeutung, nicht nur für den britischen Gesetzgeber. Auch gegen das Nachfolgegesetze IPA klagt die Organisation.

Nicht gefolgt ist die Mehrheit der Richter allerdings dem Ansinnen der Bürgerrechtler, auch die zwischen den Five-Eye-Staaten (die Geheimdienstallianz von USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland) und darüber hinaus üblichen Abkommen als Verletzung der Grundrechte zu sehen. Hier entschied die Kammer mit 12 gegen 5 Stimmen, dass ausreichend klare Regeln für die Übernahme von Daten von anderen Diensten bestehen. Die Richter hoben dabei unter anderem die Rolle des Interception of Communications Commissioner und des Investigatory Powers Tribual hervor. 12 der 17 Richter waren überzeugt, dass missbräuchliche Anfragen und die Umgehung eigener Gesetze so vermieden werden können.

Fünf Kammermitglieder widersprachen in einem Sondervotum immerhin und mahnten, die Festlegung von Regeln allein sei nicht ausreichend, auch hier bedürfe es klarer Mechanismen zur Kontrolle des möglichen Mißbrauchs.

Noch länger als die britischen Kläger und ihre internationalen Partner hatte das schwedische Centrum für Rättvisa auf das Urteil in seinem Fall warten müssen. Die Bürgerrechtsorganisation legte ihre Klage gegen den Signals Intelligence Act bereits am 14. Juli 2008 direkt in Straßburg ein.

Auch im Fall des schwedischen Signal Intelligence Act bemängelten die Richter vor allem das Fehlen einer effektiven Kontrolle der durch die Überwachungsmaßnahmen entstehenden massiven Grundrechtseingriffe. Nicht nur die Technik der Überwacher, auch die Mittel der Aufsicht müssen den durch neue Technologie entstehenden Möglichkeiten angepasst werden, mahnten sie.

Im Kern fehle es an Löschroutinen für die abgefischten Massendaten sowie an Kontrollen für die Weitergabe der Daten durch den schwedischen Geheimdienst FRA an ausländische Dienste. Auch die nachlaufende generelle Kontrolle der Überwachung ist laut dem Urteil Grundrechts-widrig. Das Centrum für Rättvisa erklärte, das in über einem Jahrzehnt erstrittene Urteil sei ein Signal nicht nur für den eigenen Gesetzgeber, sondern auch für die Anforderungen an die Geheimdienstkontrolle in ganz Europa. Zu spät kommt das Signal für den deutschen Gesetzgeber, der gerade die vom Verfassungsgericht gekippte BND-Kontrolle neu geregelt hat, unzureichend, wie viele Kritiker urteilen.

(bme)