Urheberrecht: Peter Maffay, Helene Fischer & Co. gegen 15-Sekunden-Regel​

1145 Künstler wollen die bereits gestutzte Bagatellklausel für freie Inhalte-Schnipsel in der geplanten Urheberrechtsreform komplett zu Fall bringen.​

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(Bild: Blackboard/Shutterstock.com)

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Kreative laufen weiter Sturm gegen die im Gesetzentwurf zur Urheberrechtsnovelle vorgesehenen Bagatellausnahmen, die Nutzern unter anderem erlauben, kleine Inhalte-Schnipsel auf Plattformen wie Facebook und YouTube hochzuladen, um sich selbst damit künstlerisch auseinanderzusetzen. In einem offenen Brandbrief an die Bundestagsabgeordneten mit dem Titel "Das Entsetzen hat kein Ende" fordern sie: "Spielt das Urheberrecht nicht gegen uns aus."

Bereits im November 2020 waren zahlreiche Musiker gegen die damals vom Bundesjustizministerium noch geplante Freigabe von bis zu 20 Sekunden eines Songs auf die Barrikaden gegangen. Mit einem Teilerfolg: Inzwischen sieht der Entwurf der Bundesregierung statt einer klaren Schranke für die Exklusivrechte der Verwerter nur noch ein gestutztes Konzept von "mutmaßlich erlaubten Nutzungen" mit 15 Sekunden vor.

Trotz der Korrekturen richtet sich die Kritik der Künstler nun vor allem gegen diese Regel. Ihr Protest "verschwand in den Schubladen und der geforderte Respekt für unsere künstlerische Arbeit blieb aus", heißt es in dem Brief. Stattdessen gebe es Anhörungen mit vermeintlichen Netzexperten. "Aus ihrem ideologischen Elfenbeinturm heraus spinnen sie realitätsferne Zensurszenarien und erwecken den Eindruck, das Netz sei aktuell 'frei' und erst mit der Umsetzung" der EU-Urheberrechtsrichtlinie "stünde die Sintflut der Upload-Filter bevor.

Zu den Unterzeichnern gehören die Abstürzenden Brieftauben, Alexander Klaws, Annemarie Eilfeld, Bernhard Brink, David Garrett, Die Ärzte, Die Prinzen, Die Toten Hosen, Ella Endlich, Frida Gold, Heinz-Rudolf Kunze, Helene Fischer, Herbert Grönemeyer, Howard Carpendale, Ireen Sheer, Jeanette Biedermann, Klaas, Knorkator, Konstantin Wecker, Leslie Mandoki, Maite Kelly, Marianne Rosenberg, Nico Santos, Paul van Dyk, Peter Maffay, Stefan Mross, Tim Bendzko, Udo Lindenberg und das extra aufgeführte Panikorchester sowie Wolfgang Niedecken (BAP).

Aus dem Bereich Schauspiel, TV und Kino sind etwa Dieter Hallervorden, Désirée Nick und Inka Bause dazugekommen. Auffällig ist, dass viele Bandmitglieder einzeln dazugeschrieben worden sind. Das Gros der langen Liste an Namen dürfte dem breiten Publikum nichts sagen. Den Brief veröffentlicht haben neben der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) etwa die Kommunikationsagentur Allendorf, die Künstler wie Peter Maffay und Stefan Raab vertritt, sowie eine Anwaltskanzlei.

Die Beteiligten werten es als "Schlag ins Gesicht", wenn Netzaktivisten "mit Schlagworten das Freiheitsnarrativ kapern" und "damit mehr Gehör finden". Der Regierungsentwurf sei "weitgehend praxisuntauglich". Sie erkennen darin "die Absicht, individuelle urheberrechtliche Ansprüche sowie echte Lizenzverträge auf Augenhöhe zu vereiteln. Anstatt ein Level-Playing-Field für unseren bestehenden Lizenzmarkt zu schaffen, schränkt der deutsche Sonderweg diesen ausgerechnet mit dem Argument der Freiheit maximal ein." Geschäftsmodelle globaler Plattformen würden "zum Zweck maximaler Verfügbarkeit unserer Werke geschützt, während unsere Vertriebswege mit Achselzucken torpediert werden".

"Die willkürlichen und ironischerweise als 'Bagatellnutzung' bezeichneten Vermutungsregeln zu 'gesetzlich erlaubten Nutzungen' nichtlizenzierter (!) Werke sind ein Einfallstor für systematische Urheberrechtsverletzungen, insbesondere unseres Rechtes auf alleinige Verwertungshoheit, aber auch unserer Urheberpersönlichkeitsrechte", schreiben die Künstler. Filter seien nur dort nötig, "wo Werke ausdrücklich nicht lizenziert wurden". Es sei zumutbar, "dass in diesen Fällen das Vorliegen einer Schrankennutzung im Zweifel geprüft werden muss". Nur der Bundesrat habe bislang Verständnis für die Belange der Künstler gezeigt.

Das Bündnis fordert die Rücknahme der Bagatellausnahmen und "den Beibehalt des seit Jahrzehnten im Urheberrechtsgesetz verankerten Schutzes von Melodien", unabhängig von deren Länge. Das EU-rechtlich vorgeschriebene Nutzerrecht auf Pastiche müsse "eine selbstverständliche Subsumierbarkeit von Remixen und Sampling" ausschließen. Der enthaltene Abwicklungszwang für Leistungsschutzrechte über Verwertungsgesellschaften sollte ebenfalls gestrichen werden. Es dürfe keine "Einschränkungen direkter Lizenzierung" durch mittelbare Rechteinhaber geben.

"Für uns und unsere berufliche Zukunft" sei die Abstimmung über den Gesetzentwurf die maßgebliche Entscheidung im Wahljahr 2021, unterstreichen die Künstler. Der Bundestag dürfe "nicht weiter in unser verfassungsrechtlich geschütztes geistiges Eigentum" eingreifen. Zuvor hatte Maffay in einem Meinungsartikel in der SZ und auf Facebook betont: "Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen." Darin enthaltene "Zitate" aus dem Bundesratsantrag musste die Zeitung korrigieren, da die erwähnte Passage im Plenum keine Mehrheit gefunden hatte.

Befürworter der Vermutungsregel für erlaubte Nutzungen betonten wiederholt, dass die Bagatellgrenzen schon während des bisherigen Gesetzgebungsprozesses immer weiter zusammengestrichen und an zusätzliche Bedingungen geknüpft worden seien. So werde vor allem die für die Internetkultur wichtige Ausnahme für Pastiche mit vielen Voraussetzungen versehen, die im EU-Recht nicht vorgesehen seien. Vom Anspruch der Regierung, Upload-Filter möglichst unnötig zu machen, bleibe wenig übrig.

(vbr)