re:publica: Alexander Gerst will mehr Frauen im All

"Gerade ihr Mädels seid genauso gute Astronauten wie wir Männer", warb Astro-Alex in Berlin auch für weiblichen Nachwuchs. "Diverse Teams" seien wichtig.

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re:publica: Alexander Gerst will mehr Frauen im All

Der ehemalige ISS-Kommandant Alexander Gerst (re.) warb auf der re:publica für mehr Frauen in der Raumfahrt.

(Bild: Stefan Krempl)

Lesezeit: 6 Min.
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Es war ein "Homecoming" der besonderen Art: Zum Abschluss der re:publica sorgte Alexander Gerst am Mittwoch noch einmal für großen Zulauf in Saal 1 auf der Digitalkonferenz in Berlin. Für den Weltraumbummler war es bereits der zweite Auftritt vor seinen Fans und Followern, die sonst seinen Bildern und Weisheiten aus dem Weltall auf Twitter folgen. Nach seiner re:publica-Premiere 2015 konnte Astro-Alex diesmal von seinen Erlebnissen als Kommandeur der Internationalen Raumstation ISS berichten. Von seiner zweiten dortigen Mission war er kurz vor Weihnachten zurückgekommen.

Seine gute halbe Stunde vor einem vergleichsweise jungen Publikum nutzte der Astronaut auch, um Nachwuchs zu akquirieren. Sein Ziel sei erreicht, wenn die Konferenzbesucher sähen, "das ist kein Superheld" da vorn. Ihm sei lieb, wenn andere sich sagten: "Was der kann, kann ich schon lange" und Kurs auf die Raumfahrt nähmen. "Gerade ihr Mädels seid genauso gute Astronauten wie wir Männer", sprach Gerst die weiblichen Zuhörer direkt an. Jeder habe das Recht und die Pflicht, "seinem Traum eine Chance zu geben".

Ganz so schnell gehe es damit aber nicht, räumte der Geophysiker ein: Interessenten müssten jeweils warten, bis die Europäische Weltraumbehörde ESA wieder Astronauten suche. Er selbst habe seinen Browser in jüngeren Jahren so programmiert, dass er einen Hinweis erhalten habe, wenn sich die entsprechende Seite der Agentur änderte. Als er die Zusage bekommen habe, "dachte ich an einen Fehler: die haben meine Dokumente verwechselt".

Die ISS bezeichnete er als die "komplexeste Maschine, die die Menschheit je gebaut hat". Besonders bewundernswert sei, dass sie im Orbit zusammengesteckt worden sei. Da habe keiner "noch mal zu Obi oder Bauhaus" rennen können. 107 Länder hätten in den letzten 20 Jahren Experimente auf der Station durchgeführt, sodass viele etwas zu verlieren hätten, wenn dieses Modell aufgegeben würde. Die ruhigen Zeiten mit der ISS seien aber vorbei.

Keine Nation könne so eine Initiative alleine stemmen, warb der deutsche Rekord-Raumfahrer trotzdem für weitere internationale Zusammenarbeit. An Verständigung mangele es dort oben nicht: "Wir arbeiten divers, das ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Kooperation." Verschiedene Typen brächten verschiedene Problemlösungsansätze hervor. Dazu gekommen sei diesmal der Roboter Cimon, der dank Künstlicher Intelligenz (KI) selbst navigiere. "Der übernimmt dann auch die Tweet-Funktion", scherzte der Social-Media-Erprobte. Ohne solche maschinellen Assistenten wäre es nicht möglich gewesen, binnen eines halben Jahres rund 300 Experimente durchzuführen.

An Bord herrsche eine "gefühlte Demokratie", gewährte Gerst Einblicke in die ISS-Sozialstrukturen. Als Kommandeur habe man eigentlich nur im Notfall die Aufgabe, Befehle zu geben. Ansonsten gelte es, den Kollegen die Grundlagen dafür zu bieten, "dass sie ihre Arbeit machen können". Dazu gehöre es, Kommunikation zu ermöglichen, "wenn es irgendwo klemmt".

Bei den Tests im Kolumbus-Labor geht es Gerst zufolge darum, "das Leben zu verstehen". So würden beispielsweise die Auslöser von Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Krebs untersucht. Einschlägige Kristalle ließen sich auf der Erde "nicht groß genug züchten, ohne Schwere funktioniert das viel besser". Die Erzeugnisse "bringen wir dann wieder runter und versuchen, Gegenmittel zu finden".

Zudem erforschten die Missionsteilnehmer etwa den Klimawandel mit Erdbeobachtungssensoren und züchteten zugleich beispielsweise resistente Nutzpflanzen, deren Wurzeln schneller in wasserspeichernde Tiefen kommen könnten. Dazu kämen Untersuchungen zu besseren Werkstoffen, etwa für den Flugzeugantrieb. Selbst Vulkanausbrüche könnten aus dem Orbit besser vorhergesagt werden, da Satelliten von dort aus Erhebungen des gesamten Vulkangebäudes messen und so Abweichungen vor einer Eruption wahrnehmbar seien. An Details zu den groß gezogenen Pflanzen konnte sich der 43-Jährige nicht mehr erinnern, aber Salat sei dabei gewesen. Der mit den größten Blättern habe sich dabei leider als der bitterste entpuppt.

Als sein Lieblingsbild zeigte er den Saturn aus Perspektive der Erde aufgenommen, auf dem der blaue Planet nur einen winzigen Punkt darstellt, "fast zu übersehen". Für ihn werde damit deutlich, dass die Menschheit "vermutlich gar keine Bedeutung im Universum" habe.

Gleichzeitig verrate der Blick von oben, "wie wertvoll, wie zerbrechlich" die Erde sei, berichtete Gerst. Als sein traurigstes Bild bezeichnet er eins, auf denen man Raketen fliegen sieht. Aber nicht ins All, sondern auf Ziele unten in einer kriegerischen Auseinandersetzung. Ob Außerirdische die Menschen angesichts solcher Aktionen "als intelligente Lebewesen einstufen würden", ist ihm alles andere als klar.

Alexander Gerst (re.) erklärte das geplante Orion-Gateway zum Mond.

(Bild: Stefan Krempl)

Auch auf die Gefahren der Raumfahrt angesichts des missglückten Starts einer russischen Sojus-Rakete auf dem Weg zur ISS verwies der Insider. Zum Glück sei alles halbwegs glimpflich verlaufen. Mit auf dem Weg gewesen sei sein Bundesverdienstkreuz, das ihm ein Freund habe schicken wollen. Dieses sei nun "in ein paar Teile zerbrochen". Die Tage ohne die erwarteten Kollegen habe die Mannschaft genutzt, um mal aufzuräumen. Dabei seien sie auf die ersten, auf Floppy-Disks an Bord gebrachten persönlichen Daten gestoßen, unter denen auch ein Werkzeugset mit Norton Utilities 1994 gewesen sei.

Auch auf die nächste internationale Weltraumkooperation in Form einer "astronautischen Station in der Nähe des Mondes" gab Gerst einen Ausblick. Damit solle der Erdtrabant "nachhaltig" erforscht werden auch mithilfe eines "robotischen Zugangs". Die Hälfte wichtiger Module für das vorgesehene Orion-Raumschiff sei in Deutschland gebaut worden, sagte er stolz: "Wenn wir das Teil nicht liefern, ist das Projekt tot." Ob er selbst auf dem Trip zu dem als "8. Kontinent" ausgelegten Gateway dabei sein werde, blieb weiter offen.

ESA-Generaldirektor Jan Wörner unterstrich, dass die neue Station nur auf Laborzwecke ausgerichtet sei und nicht die Bevölkerung dort hinverpflanzt werden solle. Die Luft der Erdatmosphäre sei aber "verdammt dünn", sodass "wir sie besser schützen sollten". Die ESA führe dazu "viele Daten aus verschiedenen Quellen zusammen". Forschungsergebnisse und weitere zugehörige Informationen seien im Rahmen der hauseigenen Open-Data-Richtlinie kostenfrei verfügbar. Nur wenn eine Firma ein Experiment komplett bezahle, gingen die Resultate nur an diese.

Alexander Gerst zum zweiten Mal auf der ISS (20 Bilder)

Gerst und seine beiden Kollegen zurück auf der Erde
(Bild: NASA/Bill Ingalls)

Mit Alexander Gerst um die Welt (12 Bilder)

Ein Canyon östlich von Salt Lake City
(Bild: Alexander Gerst - ESA/NASA)

(olb)