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Auf kleinen Sohlen: Indian FTR S im Test

Ingo Gach
Indian FTR S

Die neue Räderdimension behebt das störrische Kurvenverhalten. Nun machen die Serienreifen die überarbeitete Indian FTR S unnötig unruhig. Ansonsten ist sie ein gutes Bike für recht viel Geld.

(Bild: iga)

Amerikaner denken gerne in großen Dimensionen, doch bisweilen entpuppt sich das als nachteilig. Deshalb rollt die Indian FTR seit 2021 auf kleineren Rädern.

Die Indian FTR 1200 kam 2019 im Stil eines Flat Trackers mit 19-Zoll-Vorder- und 18-Zoll-Hinterrad auf den Markt. Das entsprach den Raddimensionen der in den USA sehr populären Flat-Track-Rennen, bei denen die Race-Bikes, die übrigens keine Vorderradbremse besitzen, in wilden Drifts über die Ovalkurse gescheucht werden. Passenderweise gewann Indian im Debutjahr der FTR 1200 die US-Meisterschaft. Auch wenn die eingesetzte Rennmaschine Scout FTR 750 [1] so gut wie nichts mit der FTR 1200 zu tun hatte, war der Sieg gegen den Erzrivalen Harley-Davidsons XG750R [2] für das Marketing unbezahlbar.

Doch so attraktiv die FTR 1200 auch aussah, fuhr sie sich aufgrund der Räder etwas störrisch. Jetzt haben die Entwickler in Amerika ein Einsehen und montieren kurvenwilligere 17-Zoll-Gussfelgen an die FTR und ziehen Reifen der gängigen Größe 120/70-17 und 180/55-17 auf. Außerdem reduzieren sie die Federwege vorne und hinten von je 150 auf 120 Millimeter. Das macht natürlich neugierig auf einen Test.

Indian strich für 2021 die Zusatzbezeichnung "1200" aus dem Modellnamen, so dass sie jetzt nur noch FTR heißt. Es gibt sie in gleich vier Varianten: die Basis-Version FTR (13.990 Euro), die besser ausgestattete Variante FTR S (16.490 Euro), das Top-Modell FTR R Carbon mit besonders edlen Komponenten (18.490 Euro) und die FTR Rally (14.990 Euro), die als Einzige weiterhin auf 19- und 18-Zoll-Drahtspeichenrädern und Enduroreifen steht. Motor und Rahmen sind in allen Modellen identisch. Wir bekamen für unseren Test eine FTR S in Maroon Metallic. Sie zeichnet sich im Vergleich zur Basis, die es nur in mattschwarz gibt, durch zwei Farboptionen, einen Akrapovic-Endschalldämpfer aus Titan, ein TFT-Display mit Touchscreen und zusätzliche elektronische Assistenzsysteme aus.

Die Optik der FTR S mit dem Gitterrohrrahmen, der Schwinge aus Stahlrohren, dem kompakten Tank, einem kurzen Heck und Doppelrohrauspuff zieht die Blicke auf sich, wie ich während des Tests immer wieder feststelle – der Auftritt ist gelungen. Auch die Sitzposition kann überzeugen, ich fühle mich auf Anhieb wohl, der Abstand zum Lenker passt perfekt. Die gut konturierte Sitzbank umschmeichelt mich auf nur 780 mm Höhe, dennoch erweist sich der Kniewinkel als nicht zu eng. In den gezackten Fußrasten befinden sich Gummieinlagen gegen die Vibrationen – so etwas findet sich sonst nur bei Enduros. Indian will hier wohl dem Flat-Track-Spirit huldigen.

Indian FTR S (0 Bilder) [3]

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Als erfreulich kommod erweist sich die FTR S auch auf längeren Distanzen. Nur wer gerne zu zweit fährt, sollte sich nach einem anderen Modell umsehen, denn selbst zierliche Staturen steigen schon nach kurzer Zeit unter heftigem Protest von der schmalen Sitzfläche und den viel zu hoch angebrachten Soziusfußrasten ab.

Im Cockpit versorgt mich ein 4,3 Zoll großes TFT-Display samt Touchscreen mit Informationen. Die Anzeigen sind übersichtlich angeordnet: Mittig ist die Geschwindigkeitsanzeige, darum im Kreis der Drehzahlmesser und darunter die Ganganzeige. In jeder Ecke gibt es noch eine Zusatzinfo, unter anderem Tankanzeige, Kilometerstand und Temperatur. Nur die Anzeige unten rechts trägt zur Erheiterung bei: ein Kompass! Soll der ein Navi ersetzen? Links am Lenker befindet sich ein kleiner Joystick mit dem das Menu angesteuert werden kann. Die Anzeigen im Display lassen sich variieren, aber ich bleibe erst einmal bei der schön übersichtlichen Version. Mittels Bluetooth lässt sich eine Verbindung zum Smartphone für diverse Funktionen herstellen.

Beim Rangieren im Stand machen sich die 233 Kilogramm Leergewicht bemerkbar, ein Fliegengewicht ist die FTR S nicht. Ein Druck auf den Knopf für den E-Starter und der 1203-Kubikzentimeter-V2 bollert gleichmäßig vor sich hin. Auch wenn die Indian beeindruckend dicke Krümmer und zwei armdicke Schalldämpfer besitzt, hält sich der Geräuschpegel in Grenzen.

Den ersten Minuspunkt gibt es, weil der Kupplungshebel nicht einstellbar ist – das sollte in der Preisklasse nicht passieren. Mit einem deutlichen Klacken rastet der erste Gang ein und der Drive-By-Wire-Gasgriff bietet schon im Standard-Modus eine erfreulich direkte Übersetzung. Bereits auf den ersten Kilometern überzeugt mich der Motor. Er hat ungeheuer viel Druck, das maximale Drehmoment von satten 120 Nm liegt bereits bei 6000/min an. Selbst im sechsten Gang kann ich auf einer Drehmomentwoge durch die City cruisen. Doch das ist nur eine Seite des V2-Kraftpakets, jenseits der Stadtgrenze dreht der Motor trotz der beiden dicken Kolben erstaunlich flott hoch. Der Drehzahlmesser stürmt im Handumdrehen bis 9000/min, wo die maximalen 123 PS anliegen. Bis Tempo 100 braucht die Indian keine Sprintduelle zu scheuen. Dabei läuft der große V2 dank einer Ausgleichswelle angenehm weich, erst oberhalb von 4000/min schleichen sich minimale Vibrationen in die Fußrasten und Lenkerenden ein, die aber nie unangenehm werden.

Die 17-Zoll-Räder machen sich positiv bemerkbar, im Vergleich zur Vorgängerin lenkt die Indian williger ein. Jedoch harmoniert der Metzeler Sportec M9 RR – sonst eigentlich ein sehr guter Reifen – nicht so recht mit der FTR. Je mehr Schräglage, desto kippeliger wirkt sie und muss häufig nachkorrigiert werden. Auch ist die Indian mit einem langen Radstand von 1525 Millimetern kein Ausbund an Handlichkeit, da hilft auch der steile Lenkkopfwinkel von 64,7 Grad nicht viel. Die ganz schnelle Kurvenhatz wird auf der FTR zur Fleißarbeit, obwohl sie sich mittels des breiten Lenkers leicht abkippen lässt und auch große Schräglagenfreiheit beweist. Also lasse ich es lieber etwas entspannter angehen und genieße den bärigen Durchzug im hohen Gang. Es macht Riesenspaß, die FTR zwischen 3000 und 4000/min rollen zu lassen und sich am Kurvenausgang mit einem kleinen Dreh am Gasgriff nach vorne zu katapultieren.

Für 2021 hat Indian dem großen V2-Motor eine verbesserte Drosselklappensteuerung spendiert, wodurch sich eine weichere Gasannahme ergibt. Die Unterschiede zwischen den Fahrmodi Standard oder Sport sind zwar vorhanden, aber nicht sonderlich groß, im letzteren reagiert die FTR S etwas spontaner auf Gasbefehle, bietet aber nicht mehr Leistung. Im Rain-Modus geht der V2 hingegen deutlich sanfter ans Gas, was bei dem brachialen Drehmoment im Nassen auch sehr begrüßenswert ist. In der FTR S stehen reichlich elektronische Hilfen bereit, um die Leistung im Zaum zu halten: Kurven-ABS, Stabilitäts-, Schlupfregelung und Wheeliekontrolle. Außerdem hat die FTR S serienmäßig einen Tempomat und eine USB-Ladebuchse an Bord, so ganz kann sie ihre amerikanische Herkunft halt nicht leugnen.

Die Federelemente von ZF Sachs sind voll einstallbar und arbeiten sehr gut. Sie mildern selbst deftige Schläge der Fahrbahn überzeugend ab und bieten dennoch eine ausreichende Straffheit für die sportliche Gangart. Die beiden radial montierten Brembo-Vierkolbenbremszangen mit 320-mm-Bremsscheiben am Vorderrad haben keinerlei Probleme, die Fuhre jederzeit souverän einzufangen. Selbst heftige Vollbremsungen bringen die FTR S nicht in Verlegenheit und das ABS regelt dabei feinfühlig und unauffällig.

Indian FTR S Details (8 Bilder) [5]

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Der bärige 1,2-Liter-V2 stemmt satte 120 Nm Drehmoment bei 6000/min auf die Kurbelwelle. Prägnant ist der Indianerkopf und das Gründungsjahr der Firma Indian Motorcycle auf dem Kurbelwellengehäuse.

Auf der Autobahn rennt die FTR S bei angezeigten 216 km/h in den elektronischen Begrenzer, mehr wollten ihr die Entwickler offensichtlich nicht zutrauen. Tatsächlich fühlt sich die Indian bei dem Tempo auch schon leicht unruhig an – nicht besorgniserregend, aber auffallend. Dem Vorwärtsdrang des Vorgängermodells wurde übrigens schon bei 190 km/h künstlich Einhalt geboten.

Neben dem Euro-5-Update vermeldet Indian zwei Neuerungen für 2021 am FTR-Motor: Ein optimiertes Motormanagement sorgt für ein verbessertes Startverhalten bei kalten Temperaturen und beim Anhalten wird der hintere Zylinder abgeschaltet. Das spart nicht nur Sprit, sondern reduziert auch die Abwärme, was Motor und Fahrer zugutekommt. Spritsparen hat die FTR S dringend nötig, denn der Tank fasst nur 13 Liter Benzin. Mit einem Durchschnittsverbrauch von 5,8 Litern kommt die Indian rund 220 Kilometer weit, wenn der Tank denn voll war. Denn das Auftanken erweist sich als mühsame Prozedur, es dauert lange, bis durch den weit hinten angebrachten Einfüllstutzen der Spritbehälter auch wirklich bis zum Rand befüllt ist.

Die FTR S bildet die vermeintlich goldene Mitte, könnte aber die am wenigsten bestellte unter den drei Varianten mit 17-Zoll-Rädern werden. Sie kostet 16.490 Euro und das ist viel Geld für ein 123-PS-Motorrad. Der Motor, der Rahmen, die Federelemente, die Bremsen und die LED-Beleuchtung sind an der Basis-Version identisch und der Käufer erlebt somit den gleichen Fahrspaß, spart aber satte 2500 Euro. Die FTR S bewegt sich bereits in Preisdimensionen, wo die meisten Interessenten ohnehin nicht auf jeden Cent gucken und dann vermutlich lieber gleich für 2000 Euro mehr die FTR R Carbon ordern, um den pompösen Auftritt mit viel Kohlefaserlaminat-Teilen und das Fahrerlebnis mit dem kompletten Öhlins-Fahrwerk zu genießen.

Die Indian FTR S zehrt von ihrem legendären Markennamen, dem kraftvollen Motor und der außergewöhnlichen Optik als Flat Tracker. Mit den 17-Zoll-Rädern hat sich die Handlichkeit deutlich verbessert. Lediglich die Serienbereifung steht dem ganz großen Fahrvergnügen im Weg, aber das Problem lässt sich einfach beheben.

Hersteller Indian Motorcycles
Modell FTR
Motor und Antrieb
Motorart Ottomotor
Zylinder 2
Ventile pro Zylinder 4
Hubraum in ccm 1203
Bohrung x Hub 102,0 x 73,6
Leistung in kW (PS) 91 (123)
bei U/min 8250
Drehmoment in Nm 120
bei U/min 6000
Verdichtung 12,5:1
Antrieb Dichtringkette
Getriebe Sequenzielles Schaltgetriebe
Gänge 6
Fahrwerk
Rahmen Stahl-Gitterrohr
Radaufhängung vorn Upside-Down-Telegabel
Radaufhängung hinten Einarmschwinge mit Feder-Dämpferbein
Federweg in mm v/h 120/120
Reifengröße vorn 120/70-17
Reifengröße hinten 180/55-17
Bremsen vorn Doppelscheibe, 320 mm, Vierkolben-Festsättel
Bremsen hinten Einzelscheibe, 260 mm, Doppelkolbenfestsattel
Lenkkopfwinkel in Grad 64,7
Nachlauf in mm 100
Maße und Gewichte
Radstand in mm 1525
Gewicht trocken / mit Kraftstoff in kg 217 / 232
Tankinhalt in Litern 13
Sitzhöhe in mm 780
Abgasnorm Euro 5
Daten Stand Mai 2021

(fpi [7])


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