BMW F 900 XR im Test: Hochbau, niederschwellig

Das komfortable Crossover lässt einen die großen Leistungsreserven spielerisch sicher einzusetzen. Auch dynamisch bewegt vermittelt es jederzeit viel Vertrauen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 18 Kommentare lesen

"Crossover" übersetzt sich bei der BMW F 900 XR in: famoses "Einfach-Nur-Fahren-Motorrad".

(Bild: Florian Pillau)

Lesezeit: 11 Min.
Inhaltsverzeichnis

BMW kann Kunden, denen die F 900 X zu nackt und wild erscheint, mit einem Ableger im unter gesetzteren Menschen beliebten SUV-Segment abholen. Das bedeutet mehr als das, wonach es auf den ersten Blick aussieht: Trotz ihres Hochbaus im Stil einer Reiseenduro bekommt die F 900 XR nicht nur einen anderen Lenker und niedrigere Rasten, sie bietet mit einem vergrößerten Gabeloffset mehr Nachlauf, eine geänderte Federbeinanlenkung und mehr Bodenfreiheit. Heraus kommt ein komfortabler Allround-Crossover mit großen Leistungsreserven und allem, was dazugehört, diese auch dynamisch und sicher umsetzen zu können. Ein famoses "Einfach-Nur-Fahren-Motorrad".

Die Kombination aus vorgerückter Sitzposition und einem vergleichsweise hohen, nahen Lenker (mit Handprotektoren aus dem Zubehörprogramm für Komfort im zünftigen SUV-Style) richtet den Oberkörper auf. Der Kniewinkel ist trotz der 45 mm nach unten und vorn gesetzten Rasten noch etwas spitzer als bei einigen ausgesprochenen Tourenmodellen. Gegen Aufpreis bietet eine dreistufige Fußrastenverstellung Abhilfe. Die Sitzposition entspannt den Rücken, doch fühlt sich so das Sitzfleisch bereits nach rund einer Stunde Schaumstoffblock-Kontakt gestresst. Eine etwas breitere Sitzmulde wäre möglicherweise ein Lösungsweg, aber dann wächst auch gleich die Schrittbogenlänge.

BMW F 900 XR I (6 Bilder)

Wiederaufsteiger werden mit diesem Konzept passgenau abgeholt.
(Bild: Florian Pillau)

BMW weiß das und bietet daher beim Kauf aufpreisfrei verschiedene Bank-Optionen mit Sitzhöhen zwischen 77,5 bis 87 Zentimetern, sogar auch eine Tieferlegung übers Fahrwerk an. Darunter bestimmt eine, auf der ich noch etwas besser säße. Wozu gesagt sei, dass ich den idealen Durchschnittskörper besitze (also jedenfalls, was die Maße angeht). Das offenbar unvermeidliche Minimal-Heck schützt den Fahrer kaum und den Beifahrer fast gar nicht vor hochgeschleuderter Nässe. Immerhin: bevor sie hinten durchdringt, ist man von vorn schon genug eingesaut.

Bereits ab 2500/min zieht der schön schmale Reihen-Twin, den man mit seinen 90 Grad Hubversatz und 270/450 Grad Zündabstand als Crossplane-Maschine (die Hubzapfen-Ebenen schneiden sich) bezeichnen kann, sauber durch. Ab 5500/min steigert er seinen Schub noch einmal spürbar. Ameisen steigen einem auch dank zweier Ausgleichswellen nicht in die Schuhe, auf Dauer ein bisschen in die Finger, wenn man länger die Drehzahl über 4000/min hält. Im Vergleich zu einer Triumph Triple oder Yamahas Dreier mit dem gleichen Hubraum fühlt er sich dank der größeren Einzelhubräume etwas unspektakulärer an: Früher mehr Kraft, nach oben raus dann etwas verhaltener.

Bei langsamer Fahrt dringt ein charakteristisch hohes, heiseres Geräusch – wohl vom Steuerkettenspanner – durch, das der Lenkkopf-Trichter im Tank-Verkleidungs-Spritzschutzplastik-Scheinwerfer-Verhau auf den Fahrerkopf fokussiert. Das ist aber nur bei offenem Visier im Stadtverkehr hörbar, davon abgesehen kannst Du Dir als phantasiebegabter Ex-Guzzist zur passenden Zündfolge sogar ein Ventilmechanik-Geräusch ähnlich einer V7 einbilden. Das ist schön für den, der es mag, weil es interessanter tönt als der Vorgängermotor, ein echter Paralleltwin. Am Endrohr jedoch sollte es für meinen Geschmack (den meiner Nachbarn und aller anderen Anwohner und ganz sicher der Erholungssuchenden im Gebirge) noch eine ganze Spur leiser zugehen. Technisch möglich wäre es.

Eine Hochschaltempfehlung erscheint oft erstaunlich früh als diskreter Pfeil an der Ganganzeige auf dem Display – was meist ganz gut passt. Keine Rückschaltempfehlung zu geben, finde ich trotz der fleischigen MitteTM des Motors dann aber selbstbewusst. Mir ist das aber äußerst egal, weil ich lieber nach Gefühl schalte. Das macht Spaß, denn die Schaltung ist auch an der 900er unverändert bemerkenswert exakt und leichtgängiger als die an mancher 125er, und angesichts der passend gleitend-gefühlvollen Kupplung fühlt sich der Schaltassistent bisweilen fast grob an, obwohl er die Motordrehzahl beim Runterschalten anpasst, was gern "Zwischengas" genannt wird.

BMW F 900 XR II (10 Bilder)

Die Reserven der Bremse halten - bei vernünftiger Nutzung - denen des Motors jederzeit stand. Sie ist ebenso problemlos dosierbar und erzeugt hohes Vertrauen.
(Bild: Florian Pillau)

Bei der aufrechten Sitzposition bin ich dankbar für das angesichts seiner Größe für den Oberkörper einigermaßen wirkungsvollen Windschild, der sich für schnellere Etappen ein Stück hochstellen lässt. Braun getönt verdeckt er seinen Halter, transparent kommt das Verstell-Parallelogramm zur verdienten Geltung. Dessen einhändige Bedienung funktioniert gut, doch neigte die Mechanik dazu, sich in meinen linken Handschuh zu verbeißen und ihn erst nach dem Zurückstellen wieder herzugeben. Wahrscheinlich soll man sie mit rechts bedienen, aber dann muss die Gashand ran. Eine Verkleidung ersetzt die zierliche Plastikscheibe natürlich nicht.

Das Fahrwerk verbindet satte Traktion in jede Richtung mit sehr harmonischem Einlenken. So schwingt Dich die XR rund dahin ohne Ecken in der Linie durch Aufstellkräfte bei Lastwechsel oder Bremsen. Nachjustieren ist fast nie nötig, das Krad geht so willig um Kurven wie es stabil geradeaus läuft – bei bester Handlichkeit. Das Fahrwerk ist mit seinen weiten Federwegen zudem noch hoch komfortabel und taucht dennoch kaum ein. Vorn sind es 170, hinten 172 mm und damit mehr als bei der BMW F 900 X mit ihren 135 und 142 mm, aber eben auch weniger als die bei Enduros üblichen rund 200 mm.

Dass die feinfühlig ansprechende Upside-Down-Gabel nicht einstellbar ist, fehlt mir nicht. Hinten ist es dank "dynamic ESA" zwar möglich, aber in meinen Augen unnötig. Oder mir fehlt es am Gespür oder der Fahrweise, um einen habhaften Unterschied genießen zu können. Mit den Michelin Road 5 GT findet das Fahrwerk die kongeniale Verbindung zum Asphalt, "Gelände" darfst Du aber nicht mal denken. Die Bremsen passen zum Konzept, sie sind ebenso effizient wie leicht dosierbar, nur die hintere quietschte bisweilen. Vielleicht war sie nach erst 1287 Kilometern auf der Uhr einfach noch nicht ganz eingefahren.

Ein Tacho zum fast immer drüberweg- und am Ortseingang mal kurz draufschauen würde mir ja völlig genügen. Welche Vorteile hat die Bildschirmdarstellung mit einem "Drehzahlband" als Skala? Schön, dass man sich auf dem Display wenigstens noch ein Runduhr-Instrument simulieren lassen kann, dann mit Schräglagen- und Beschleunigungsanzeigen-Spielkram. Nichts davon ist allerdings mehr sichtbar, sobald der schick matt polierte Tankverschluss im Flugzeug-Stil Sonne aus der "richtigen" Richtung bekommt und den Fahrer blendet.

Ist es dagegen dunkel, bringt das LED-Licht mit Kurvenfunktion großes Vertrauen. Es lenkt das Licht neigungswinkelgesteuert (über 10 km/h und mehr als 7 Grad Schräglage) dorthin, wo es gebraucht wird und lässt Dich so auf nächtlichen Passfahrten nicht mehr in Konkurrenz zur Geisterbahn ins Ungefähre zirkeln. Das passt genau ins Konzept eines möglichst unkomplizierten Fahrspaßgeräts, kostet freilich Aufpreis für die erweiterten Lichtfunktionen von "Headlight pro".

BMW F 900 XR Bedienung (11 Bilder)

Der Keyless-Funktion unterstelle ich mal ihre Übernahme aus dem Bürgerkäfig, um daran gewöhnte Wiederaufsteiger noch passgenauer abzuholen. Nett, aber entbehrlich.
(Bild: Florian Pillau)

Wo BMW das Navi montiert, widerspricht hingegen den Grundkenntnissen der Arbeitslehre. Auf der Gabelbrücke wird es von der Kinnpartie des Helms verdeckt und erfordert beim Ablesen ständige Gymnastik für Nacken- und Augenmuskulatur. Die häufige Blickabwendung ist ein Sicherheitsrisiko und darüber hinaus auch ermüdend. Es müsste den Platz wechseln: über den Tachobildschirm hinter den Windschild. Wunderlich bietet so eine Nachrüstlösung an, dabei wird der originale BMW-Halter verwendet. Der Zubehörhersteller gibt zu bedenken, dass die F 900 XR auch als Tourer positioniert ist. Ein Tankrucksack jedoch verkleinert unter Umständen mit Navi-Bildschirm den Lenkeinschlag.

Ausprobiert habe ich das zwar aber nicht, doch klingt das nach einem weiteren bedenkenswerten Argument für solche, die das Ding trotz allem noch haben wollen. Wer sich unter sie zählt, sei darauf hingewiesen, dass es in seinen Grundzügen über zehn Jahre alt ist. Bedienung und Graphik sind vorgestrig, wie auch seine Geschwindigkeit und die Anzahl seiner Optionen. Die Zieleingabe ist umständlich, als Routenoption bietet es immerhin "kurvig" und es sammelt einige Daten aus dem Zentralrechner der Maschine, etwa wie häufig ich welche Bremse nutze oder was die Sensoren als maximale und die durchschnittliche Schräglage ausgegeben haben.

Von solchen nebensächlichen Ungereimtheiten abgesehen F fährt in jeder Hinsicht unspektakulär. Vielleicht ist mein Eindruck auch deshalb so positiv, weil ich Motorräder dieser Leistungsklasse immer noch mit Nahtod-Grenzerfahrungen aus den 80er-Jahren assoziiere (Kawasaki 900). Doch Traumata sind langlebig und die Technik hat sich deutlich weiterentwickelt. Der große Hubraum ermöglicht in erster Linie eine vollfette Drehmomentkurve und damit einen unglaublich langen Atem beim Beschleunigen. Für die Leistung muss sich der Motor nicht abstrampeln, was die Souveränität steigert. Insofern ist dieser Antrieb viel gelassener und lässt einen ruhiger fahren als einer, der mit einem Bruchteil des Hubraums nur kurze Schubser ermöglicht und den Fahrer damit zum hektischen Dauerschalten für ausreichend Drehzahl nötigt.

BMW F 900 XR Koffer (5 Bilder)

Mit den Koffern gewinnt die BMW an Alltagstauglichkeit, vor allem, wenn man zu zweit keine zwei Rucksäcke transportieren kann.
(Bild: Florian Pillau)

Dass die BMW trotzdem einen etwas streberhaften Eindruck hinterlässt, liegt wohl vor allem daran, dass sie es uns so einfach macht, indem sie fahrdynamische Anforderungen in umstandslosem Perfektionismus exekutiert. Auf der Suche nach etwas mehr Charakterstärke wird man vielleicht bei der etwas schwächeren Triumph Tiger 900 (Test) oder der etwas kräftigeren Yamaha Tracer 9 GT fündig – und entdeckt bei ihnen sogar einen praktischen Vorteil: Den Verbrauch auf der Landstraße zeigt mir die BMW mit 3,9 bis 4,6 Liter an. Das ist nicht viel, bei 15,5 Litern Tankvolumen aber liegt ihre Reichweite dennoch unterhalb der Wettbewerbsmodelle mit ihren je rund 20 Litern.

Sie schaut fast zierlich aus, schlank und ein bisschen nach Reiseenduro, aber ohne deren Straßen-Kompromisse wie zu viel Fett, zu weite Federwege, zu wenig Windschutz. Dafür ist sie bemerkenswert handlich und trotz aller Leistung und ihrer zackigen Gestaltung fast schon zahm. Das Konzept wirkt stressentlastend und lustfördernd. Die XR macht Dich damit jünger, ohne Dich körperlich zu sehr zu fordern. Haken an die ergonomischen Bedürfnisse der Zielgruppe "gesetzter Wiederaufsteiger" – diese BMW ermöglicht Dir, einfach nur zu fahren.

Das beginnt günstigstenfalls bei 11.400 Euro, doch ganz ohne Zubehör wird sie wohl nur sehr selten bestellt werden. Fast alles davon kann man nehmen, das meiste ist sinnvoll, wie das "Headlight pro"-Kurvenlicht, manches nur als einstiegserleichternd gedachte Übernahme aus dem Bürgerkäfig verstehbar, wie etwa die Keyless-Funktion. Entbehrlich ist das Navi. Wer "einmal mit alles" ruft, landet Richtung 14.000 Euro.

Hersteller BMW
Modell F 900 XR
Motor und Antrieb
Motorart Otto
Zylinder 2
Ventile pro Zylinder 4
Hubraum in ccm 895
Bohrung x Hub 86 x 77
Leistung in kW (PS) 77 (105)
bei U/min 8500
Drehmoment in Nm 92
bei U/min 6500
Verdichtung 13,1:1
Antrieb Kette
Getriebe Sequenzielles Schaltgetriebe
Gänge 6
Fahrwerk
Rahmen Stahlbrückenrahmen
Radaufhängung vorn Upside-Down-Telegabel, 43 mm Standrohr
Radaufhängung hinten Aluminium-Zweiarmschwinge mit direkt angelenktem Federbein
Reifengröße vorn 120/70 ZR 17
Reifengröße hinten 180/55 ZR 17
Bremsen vorn Doppelscheibe, 320 mm, Vierkolben-Festsättel, radial montiert
Bremsen hinten Einzelscheibe, 265 mm, Einkolben-Schwimmsattel
Lenkkopfwinkel in Grad 60,5
Nachlauf in mm 105,2
Federweg in mm v/h 170/172
Maße und Gewichte
Radstand in mm 1521
Gewicht vollgetankt in kg 219
Zuladung in kg 219
Tankinhalt in Litern 15,5 (davon 3,5 Reserve)
Sitzhöhen in mm 825, 775, 795, 840, 845, 870
Fahrleistungen
Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in Sekunden 3,6
Höchstgeschwindigkeit in km/h > 200
Verbrauch
Verbrauch WMTC in Litern/100 km 4,2
Testverbrauch Minimum in Litern 3,9
Testverbrauch Maximum in Litern 5,5
Abgasnorm Euro 5
Daten Stand Juni 2021

(fpi)