AfD: Warum dieser Rechtsruck?

Mehr Angst vor "Überfremdung" als vor der Klimakatastrophe: Darauf setzt die AfD. Bild: Oxfordian Kissuth / CC-BY-SA-3.0

German Angst statt Klima-Angst: Was macht die ultrarechte Partei attraktiv? Erklärungen wie "aggressives Selbstmitleid" von Ostdeutschen reichen wohl nicht.

Erst Umfrage-Schocks, dazu der Wahlhammer von Sonneberg und dann wird in der Stadt Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt erstmals in Deutschland ein AfD-Kandidat hauptamtlicher Bürgermeister. Kein Zweifel: Die AfD ist im Aufwind und liegt bei der Wählergunst im Trend.

Wie kann das sein, wenn doch mit der aktuellen Bundesregierung ein weites Feld des politischen Willens reklamiert wird und mit der CDU/CSU eine Opposition dagegen steht, die traditionell konservative Strömungen an sich binden sollte? Da dürfte nicht viel Spielraum bleiben für radikale Kräfte. Eigentlich!

Aber einiges scheint nicht mehr nach den Regeln zu funktionieren, die wir aus unserer nunmehr 74 Jahre zählenden Erfahrung mit demokratischen Gepflogenheiten zu kennen glaubten.

33 Jahre nach dem abrupten Zuwachs von 17 Millionen Bürger:innen, die bis zum Frühjahr 1990 eben nicht in einer bürgerlichen Demokratie gelebt haben, stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang. Die zunehmende AfD-Begeisterung ist damit keinesfalls erschöpfend zu erklären – aber dies ist ein Faktum, das zählt.

Die Anfälligkeit für Rechtspopulismus in den neuen Bundesländern ist seit der Wiedervereinigung ein Dauerthema des politischen Diskurses. Auch die aktuellen Trend-Barometer melden Spitzenwerte für die AfD, insbesondere aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt.

Der 1976 aus der DDR ausgebürgerte Liedermacher Wolf Biermann hat den Ostdeutschen in der Debatte über ihr Demokratieverständnis sogar chronische Seelenschäden bescheinigt. "Die Ostdeutschen sind nach zwei Diktaturen hintereinander doppelt geprägt. Kaputte Häuser und Straßen kann man in 30 Jahren wieder aufbauen, kaputte Menschen dauern etwas länger". Er spricht von "aggressivem Selbstmitleid".

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel befand er: "Wir alle gehen nicht nur kaputt an den Schlägen, die wir einstecken, sondern auch an den Schlägen, die wir nicht austeilen". So gesehen haben die AfD-Wähler in Sonneberg "ausgeteilt".

Um der aktuell sehr dynamischen Situation journalistisch gerecht zu werden, sollte man sich aber vergegenwärtigen, dass die AfD auch in den alten Bundesländern an Umfragewerten zulegt – nicht so eindeutig wie auf ehemaligem DDR-Terrain, aber signifikant.

Zwei Fragen stehen bei einer Einschätzung der atmosphärischen Lage voran: Warum kann die AfD seit der Bundestagswahl, bei der sie nach einhelliger Analyse nicht so stark abgeschnitten hat, wie von manchen befürchtet, jetzt doch weiter an Zuspruch und Bedeutung gewinnen? Und was kann man, können Parteien, Verbände, NGOs etc. tun, um diesen Trend zu stoppen?

Mögliche Gründe für den Aufschwung der AfD

Laut den Umfragen liegt die AfD mittlerweile bei – auf die gesamte Republik bezogen – 19 bis 20 Prozent, im Wahljahr 2021 waren es 10,3 Prozent. Was ist also mit den dazugekommenen neun Prozent? Wie ticken die? Alles neue Faschisten, die sich vorher nicht geoutet hatten?

Selbst wenn man davon ausgeht, dass das Gros der AfD-Wähler von 2021 im Kern faschistoid ist, muss es da noch etliche geben, die aus anderen Gründen immer häufiger mit dem Gedanken spielen, bald AfD zu wählen.

Denn die Partei steht laut eigenen offiziellen Statements oder am Programm gemessen nicht offen für Ausländerfeindlichkeit und Diktatur der Starken, sondern gibt sich freiheitlich-demokratisch. Das normative Etikett, das noch am ehesten auf Faschismus zeigt, ist das nationalistische Bekenntnis - "für Deutschland" oder im Trumpschen Jargon: Germany first!

Auf diversen Veranstaltungen und Kundgebungen ihrer Anhänger hört sich das schon anders an und dass eine antidemokratische Bewegung, wie sie von der AfD verkörpert wird, oft erst, nachdem sie durch demokratische Mechanismen an die Macht gekommen ist, ihr wahres Potenzial offenbart, kennen wir aus unserer Geschichte.

Das stört augenscheinlich eine wachsende Zahl von Wähler:innen nicht auf ihrer Suche nach einer politischen Heimat. Und deshalb ist es durchaus angebracht, jenen Wünschen und Bedürfnissen auf den Grund zu gehen, die der AfD die Anhänger zutreiben, ohne per se faschistisch zu sein.

Das betrifft vor allem die Sorge um den eigenen sozialen Status und die Sicherung der Existenz. Hier spielen Ängste eine Schlüsselrolle. In der Tat gibt es zwei Entwicklungen, die nicht nur AfD-Anhängern, sondern uns allen mehr oder weniger Angst machen: Klimawandel und Ukraine-Krieg. Die Klimakrise wirkt schon länger, nimmt aber an Intensität zu, für mache schleichend, für andere rasend.

Dabei sollte man vorsichtig mit der Einschätzung sein, AfD-Anhänger würden den Klimawandel generell leugnen. Sie gehen nur anders damit um, indem sie die Rationalisierung der Gefahr abwehren. Oder sie können/wollen die auf lange Sicht perspektivierte Bedrohung nicht nachvollziehen. Dazu muss man abstrakter denken.