Weihnachten auf dem Mars

Weihnachten 2003 ist das Fest der Beagle 2 der Mars-Express-Mission - Aber vorher muss die Mission noch einige heikle Manöver meistern, wie etwa die heutige Abtrennung des Landers von der Muttersonde

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Wenn sich heute die kleine Beagle-2-Landekapsel vom Mars-Express-Orbiter trennt, nähert sich die bis dato aufregendste und aufwändigste Mission der europäischen Raumfahrt langsam aber sicher ihrem Höhepunkt. Während der Orbiter in der Umlaufbahn bleibt, landet Beagle-2 am ersten Weihnachtstag auf dem Mars, um nach Leben zu graben. Damit es überhaupt dazu kommen kann, muss zunächst einmal die Abtrennung des Landers von der Muttersonde gelingen. Scheitert dieses Manöver, scheitert die Mars-Express-Mission.

Beagle beim Eintritt in die Mars-Atmosphäre

Weihnachten - Donnerstag, 25. Dezember 2003 - 3.00 Uhr MEZ. Im Darmstädter ESOC-Kontrollzentrum der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) ist die Spannung schier unerträglich. Gebannt starren Ingenieure und Wissenschaftler auf die Kontrollmonitore. Der wohl bis dato ungewöhnlichste und aufregendste Weihnachtsabend in der Geschichte der Raumfahrt nähert sich unaufhaltsam seinem Höhepunkt. Alles fokussiert sich auf das Geschehen, das sich 56 Millionen Kilometer fernab der Erde abspielt. Nur noch wenige Minuten - dann entscheidet sich, ob eine 60 Kilogramm schwere und 60 Zentimeter große fremdartig aussehende kleine büchsenähnliche Kapsel alsbald Raumfahrtgeschichte schreiben oder als irdischer Weltraumschrott auf dem Mars enden wird.

Alles sieht gut aus. Der vor der enormen Reibungshitze schützende Hitzeschild hält. Der Stabilisierungsfallschirm öffnet sich wunschgemäß und bremst das Landegefährt ab, bis schließlich der Hitzeschild abfällt und der 10 Meter Durchmesser große Hauptfallschirm in Aktion tritt. Erst kurz vor dem Aufprall - in 250 Meter Höhe - entfalten sich drei große mit Ammoniak gefüllte Airbags. Mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h prallt Beagle 2 auf dem harten Mars-Untergrund auf und vollzieht einem Gummiball gleich einige prachtvolle Hüpfer: der erste über 100 Meter hoch, der zweite nur noch 80 Meter, bis nach zwei Kilometern und etlichen Sprüngen die Sonde auf dem rotfarbenen Marsboden in der Nähe des Marsäquators zum Stehen kommt.

Erste erste erfolgreiche ESA-Landung

Sollte am ersten Weihnachtstag das in Anlehnung an das legendäre Forschungsschiff von Charles Darwin benannte ESA-Raumschiff Beagle 2 der Mars-Express-Mission auf dem erdnahen Planeten derart bilderbuchmäßig aufsetzen, wäre es nach den beiden Viking-Robotern (1976) und dem spektakulären Pathfinder/Sojourner-Tandem (1997) bereits die insgesamt vierte, zugleich aber erst die erste erfolgreiche europäische Landung eines Roboters auf dem Roten Planeten. Obgleich sich von den seit 1960 Richtung Mars gestarteten 31 unbemannten Raumschiffen im letzten Jahrhundert über die Hälfte im Wüstensand oder im Marsorbit etc. verirrten, scheint das ambitionierteste und aufwändigste Raumfahrtprojekt in der Geschichte der ESA bislang unter einem guten Stern zu fliegen.

Seit seinem eleganten Start am 2. Juni dieses Jahres vom kasachischen Raumfahrtbahnhof Baikonur mit einer russischen Sojus-Fregat-Trägerrakete hat 'Mars Express' mehr als 400 Millionen Kilometer ohne größere Blessuren zurückgelegt. Derweil sieht alles bestens aus, wie Missionsmanager Rudolf Schmidt bestätigt: "Alle Bordsysteme von Mars Express arbeiten derzeit normal". Das war beileibe nicht immer so. Bereits im Sommer stellten sich bei 'Mars-Express' die ersten Probleme ein: "Die schweren Sonnenstürme im Sommer sowie im Herbst führten zu einem vorübergehenden Ausfall der Startracker, also jener Sensoren, die für die Navigation der Sonde notwendig sind. Sie waren einfach zu empfindlich", erläutert Rudolf Schmidt. Ein anderes Problem entstand durch ein schadhaftes Kabel. "Dadurch stehen uns jetzt nur etwa 70 Prozent der normalen Leistung bei der Stromversorgung zur Verfügung. Beide Probleme gefährden aber nicht den Erfolg der Mission".

Dennoch hätten die ESA-Verantwortlichen für die Mission keinen besseren Zeitpunkt wählen können, war doch Mars Ende August "nur" 55.758.006 Kilometer von der Erde entfernt - so nah wie zuletzt vor 73.000 Jahren, als noch Neandertaler auf Erden wandelten. Momentan sieht alles danach aus, als könnte das 330 Millionen EURO schwere Unternehmen seinem Hauptziel gerecht werden und den Mars in bisher unerreichter Auflösung kartografieren und in der lebensfeindlichen Ödnis nach Wasser und Relikten von vergangenem Leben in Gestalt von Mikroben oder DNA-ähnlichen Strukturen suchen

Gezielte Spurensuche

Wenn die unbemannte in Großbritannien entwickelte Forschungskapsel (Kostenpunkt: 40 Millionen Euro) im Süden des alten Einschlagsbeckens Isidis Planitia niedergeht, beginnt eine maximal sechs Monate währende Oberflächenmission. Während der Orbiter den Roten Planeten mindestens ein volles Marsjahr (687 Erdtage) aus der Umlaufbahn analysiert, muss Beagle 2 auf der Marsoberfläche ein wahres Mammutprogramm absolvieren. Neben wertvollen neuen Daten zur Geologie, Mineralogie und Marsatmosphäre versprechen sich die Forscher von Beagle 2 eine erfolgreiche Spurensuche nach ehemaligem marsianen Leben und Wasser. Dabei kommen eine Reihe ausgeklügelter Instrumente zum Einsatz, die sowohl auf dem Orbiter als auch dem Lander installiert wurden.

Ein Highlight dürfte fraglos der vom DLR entwickelte Probennehmer PLUTO (Planetary Underground Tool) sein: ein drahtgesteuerter Miniroboter, der Proben des sand- und staubähnlichen Bodenmaterials aus bis zu anderthalb Metern Tiefe aufnehmen und dabei gezielt nach 12 C-Isotopen Ausschau halten kann. Sollte es auf dem Mars in der Vergangenheit einmal Leben gegeben haben, müsste dieses chemische Spuren im Marsgestein oder im Bodenmaterial hinterlassen haben - entweder in Form von Zerfallsprodukten oder bestimmten Verhältnissen der Kohlenstoffisotope. "Das Vorkommen solcher Isotope - Kohlenstoffatome mit unterschiedlicher Neutronenzahl also - hängt eng mit der Existenz von Leben zusammen", erklärt der Beagle-2-Projektwissenschaftler Dr. Lutz Richter vom Institut für Raumsimulation.

Jegliche irdische Lebensform, ob Pflanze oder Tier, bevorzugt bei seinem Stoffwechsel den leichteren Kohlenstoff-12 gegenüber Kohlenstoff-13. Ein entsprechend hoher Anteil an Kohlenstoff-12 lässt daher auf Leben schließen.

Die Separation - durchaus heikles Manöver

Bevor Beagle-2 mit der Suche nach Lebensspuren beginnen kann, muss Mars-Express zunächst einmal einige höchst heikle Manöver meistern, wozu die heutige anstehende Separation der Beagle-2 von der Muttersonde zweifelsfrei zählt. Denn wenn heute um 9.31 Uhr MEZ (08.31 Uhr GMT) das Bodenkontrollteam der ESA in Darmstadt den Befehl zur Abtrennung von Beagle 2 gibt, wird das Landegerät erstmals ganz auf sich alleine gestellt sein, vorausgesetzt, dass die Sprengvorrichtung wie vorgesehen eine gespannte Feder aktiviert, die das Landegerät sanft von der Muttersonde wegschiebt. Inwiefern die Abtrennung erfolgreich verlaufen ist, können die ESA-Ingenieure anhand der Positions- und Geschwindigkeitsdaten des Raumfahrzeugs feststellen. Live-Bilder den Landevorgang selbst, die ohnehin mit einer Verzögerung von 10 bis 15 Minuten eintrudeln würden, gibt es natürlich nicht. Immerhin soll die Bordüberwachungskamera (VMC) der Muttersonde ein Bild des sich langsam entfernenden Landegeräts liefern. Diese Aufnahme dürfte am Nachmittag über ESOC verfügbar sein.

Mars-Express im Mars-Orbit

Nach einer Reihe sehr komplizierter und heikler Manöver in der Nacht vom 24. zum 25. Dezember wird der Orbiter dann in eine polnahe elliptische Umlaufbahn um den Roten Planeten einschwenken, während das Landegerät Beagle 2 auf der Marsoberfläche aufsetzen soll. Für den Fall, dass der erste Abtrennungsversuch fehlschlägt, hat das Mars-Express-Kontrollteam im Vorfeld eine Reihe von Verfahren für einen erfolgreichen Abschluss des Vorgangs binnen der folgenden 40 Stunden ausgearbeitet und mehrfach durchgespielt.

Aber hierzu wird es nach Ansicht des renommierten Münchner Astrophysikers Prof. Harald Lesch, der in seinem neuen lesenswerten Buch Big Bang: Zweiter Akt (Harald Lesch, Jörn Müller Big Bang, zweiter Akt - Auf den Spuren des Lebens im All, C. Bertelsmann 2003) u. a. auch über die Möglichkeit von Leben auf dem Mars räsoniert, erst gar nicht kommen:

Ich bin guter Dinge, dass Beagle 2 sicher landen und seine Mission erfüllen wird. Da die Sonde sich bis zu einem 1,5 Meter in den Marsboden bohren kann, besteht auch eine reelle Chance, C-12-Isotope zu entdecken. Allein dies wäre schon sensationell genug.

Wohl deshalb ist zu hoffen, dass im Darmstädter ESOC-Kontrollzentrum hoffentlich alsbald der erlösende Satz "Beagle has landed!", der übrigens vor über 34 Jahren bereits in einer leicht veränderten Version die größte Zäsur der bemannten Raumfahrt markierte, erklingt. Denn dann hätte sich die Europäische Raumfahrt selbst mit dem wohl bislang "himmlischsten" Weihnachtsgeschenk beschert. Irgendwie wäre es auch das erste "außerirdische" Weihnachtspräsent überhaupt.

Näheres zur Hard- und Software der Beagle 2 siehe aktuelle c't-Ausgabe, (Nr. 26, 15.12.03, S. 48f.)