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Französische Härte

Im Test: Renault Talisman Grandtour TCe 200

Fahrberichte Martin Franz
Renault

Der Renault Talisman ist ein gutes Auto geworden, wie ein Test zeigt. Die Käufer sollten allerdings bei den Sonderausstattungen achtsam sein, denn mit einem Paket wird mehr Agilität versprochen und der Komfort beschnitten

München, 2.November 2016 – Angesichts eines weltweiten SUV-Trends scheint ein Kombi mitunter ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein. Gleiches wurde vor rund 15 Jahren schon einmal behauptet, damals hieß der Konkurrent Van. Doch im Vergleich mit diesen beiden Modeerscheinungen zeigt ein guter Kombi wie der Renault Talisman Grandtour, dass er nach wie vor seine Berechtigung hat. Entgegen der ersten Annahmen unterscheidet er sich trotz zahlreicher optischer Anleihen deutlich vom Renault Espace, wie dieser Test mit dem stärksten Benziner zeigt.

Leise und stark

Sonderlich erfolgreich war Renault mit den stärksten Motoren für den Talisman-Vorgänger Laguna nie. Der erste war ein schrecklich versoffener Dreiliter-V6, der trotz 167 PS nicht sonderlich flott war und die Limousine auch noch ziemlich kopflastig machte. Diese Zeiten sind lange vorbei: Heute steht an der Spitze ein 1,6-Liter-Benziner mit 200 PS und 260 Nm. Für sich betrachtet macht der seine Sache gar nicht schlecht. Er ist drehfreudig, hat mehr als genug Kraft und arbeitet auch mit dem alternativlosen Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe gut zusammen. Dabei bleibt er fast immer angenehm leise und röhrt nur im Sport-Modus verhalten, was mir ganz gut gefällt – auch deshalb, weil es abstellbar ist. Angesichts dessen fallen freilich Abroll- und Windgeräusche auf. Lästige Töne von nicht einwandfrei verarbeiteten Kunststoffteilen verkniff sich der Testwagen mit einer Laufleistung von 7000 Kilometern.

Verglichen mit der ähnlich starken, deutschen Konkurrenz in Form von Audi A4 2.0 TFSI, BMW 320i und Mercedes C200 fehlt dem Renault allerdings ein wenig Schwung. Die drei, obwohl bis zu 16 PS schwächer, haben mehr Hubraum und Drehmoment, was sie noch ein wenig souveräner wirken lässt. Davon abgesehen: Der Talisman ist mit dieser Maschine natürlich trotzdem bestens bestückt. Überholmanöver auf der Landstraße sind mit einer Leichtigkeit absolviert, auf die wohl viele Autofahrer gern zurückgreifen würden.

Optimistischer Rechner

Wer ihr oft nachgibt, muss mit Verbrauchswerten oberhalb von zehn Liter rechnen, maximal waren es 10,3. Auf einer zurückhaltenden Runde über das leicht hüglige Hinterland im Osten von München waren es am Ende 6,7 Liter. Alles in allem sind wir auf einen Verbrauch von 7,7 Litern gekommen. Auffällig ist dabei allerdings, wie weit der Bordcomputer im Testwagen daneben lag. Ich war eine Woche lang jeden Tag tanken, weil ich es nicht glauben wollte, aber der Rechner zeigte stets zwischen 0,8 und 1,1 Liter weniger an, als die Rechnung der nachgetankten Menge ergab.

Die kraftvolle Maschine offenbart einen weiteren Schwachpunkt des Talismans. Der Testwagen hatte das „Multi-Sense 4Control-Paket“ eingebaut – in der mittleren von drei Ausstattungslinien immerhin 1700 Euro teuer. Enthalten sind darin ein adaptives Fahrwerk, 19-Zoll-Felgen und eine Allradlenkung. Genau das alles hatte auch der Espace, den wir im März 2016 in der Redaktion hatten. Allerdings wirkt die Umsetzung im Talisman anders: Er ist zwar vom einst sprichwörtlichen Federungskomfort französischer Autos weit entfernt, doch ganz so unnachgiebig wie der Espace [1] ist er nicht. Trotzdem wirkt er handlicher, was natürlich auch mit der tieferen Sitzposition zusammenhängt.

Die Bandbreite des adaptiven Fahrwerks scheint hier etwas größer zu sein, auf jeden Fall ist der Unterschied zwischen Comfort und Sport deutlicher zu spüren als im Van. Der Talisman bleibt straff, was sicher auch an der extrem geringen Flankenhöhe der optionalen Bereifung liegt. Mit den serienmäßigen Pneus der Basis und der mittleren Version dürfte der Kombi verträglicher sein.

Mäßige Traktion

Trotz der straffen Abstimmung und der üppigen Bereifung hat der Talisman mit dem stärksten Benziner mitunter Mühe, seine Leistung auch auf die Straße zu bringen. Beim flotten Einsortieren aus dem Stand ist der Traktionsverlust manches Mal so heftig, dass man den Antriebswellen und vor allem deren Gelenken bei solch ruppiger Fahrweise kein allzu langes Leben zutraut. Auch beim Beschleunigen aus dem Kreisverkehr braucht es etwas Zurückhaltung, die beispielsweise in einem BMW 430d Gran Coupé [2] unnötig scheint. Dazu kommen deutlich spürbare Antriebseinflüsse in der Lenkung – ein Fluch einer an sich guten Tat, denn sie ist angenehm direkt.

Der Talisman kann also ein komfortables Auto sein, sofern der Kunde weder bei der teuersten Ausstattungslinie noch beim erwähnten Paket zuschlägt, die beide serienmäßig 19-Zoll-Felgen haben. Die Sitze sind bequem, könnten allerdings noch ein paar Zentimeter Verstellbereich nach hinten vertragen – zugegebenermaßen ist der Autor dieser Zeilen hinsichtlich dieses Punktes auch recht anspruchsvoll. Die Kopfstützen reichen weit nach oben, warum Renault jedoch eine Neigungsverstellung für sie einbaut, wird nicht so recht klar. Schon bei geringem Druck geht diese in ihre Ausgangsposition zurück. Die Kopfstützen hinten lassen sich um 90 Grad kippen, was der Übersichtlichkeit zugute kommt, die insgesamt eher mäßig ist. Im Testwagen war eine Rückfahrkamera eingebaut, die allerdings schnell verschmutzt.

Ohne Zugluft

Sehr gut hat mir die Klimaautomatik gefallen, die fast ohne störende Zugluft arbeitet und Menschen mit einem gewissen Spieltrieb einige Eingriffsmöglichkeiten bietet. Die immerhin 1100 Euro teure Soundanlage von Bose bietet dagegen kaum etwas zum Regeln. Etwas mehr als ein Bass- und Höhenregler dürfte es für unseren Geschmack für diesen Aufpreis schon sein, zumal der Klang insgesamt auch nur durchschnittlich ist. Dazu passt dann leider auch der bescheidene UKW-Empfang im Testwagen.

Die Sitzheizung spricht schnell an, die Massagefunktion lässt sich weitreichend dem eigenen Geschmack anpassen. Kleinigkeiten, gewiss, doch sie machen den Alltag mit dem Talisman angenehm. Dazu kommt eine recht ordentliche Verarbeitung und feine Materialien – zumindest im sichtbaren Bereich.

Was nicht etwa heißen soll, im täglichen Miteinander von Auto und Fahrer hätte Renault eine nicht mehr zu verbessernde Perfektion erreicht. Damit sind weniger kleine Eigenheiten wie der Tempomat gemeint, dessen Einschaltknopf zwischen den Sitzen angebracht ist, oder die Lenkradheizung, die große Teile des Steuerrades kalt lässt. Auch an die versteckte Radiofernbedienung hinter dem Lenkrad gewöhnt man sich mit der Zeit. Immerhin lässt sich damit rasch die Lautstärke ändern. Neben dem Bildschirm gibt es berührungssensitive Tasten, mit denen das auch geht – nur ohne Blickkontakt sind die kaum zu finden, geschweige denn zu ertasten. Dennoch: Der Talisman wirkt in diesem Bereich ungleich moderner als der Peugeot 508 [3].

Flotter Touchscreen, verschachtelte Bedienung

Der Touchscreen selbst reagiert flott auf Eingaben, allerdings ist die Menü-Struktur teilweise etwas verschachtelt. Ein schönes Beispiel dafür ist die Aktivierung der Massagefunktion. Dafür gibt es unten links an der Sitzkonsole einen Knopf, der nicht etwa den Masseur aktiviert, sondern ein Menü auf dem Bildschirm. Nach zwei weiteren Klicks läuft die Massage an. Es gibt sogar noch verschiedene Programme, die sich in Tempo und Intensität fein anpassen lassen. Ich fand das sehr angenehm, wobei die Sitze auch ohne Knet-Funktion sehr bequem sind.

Die elektrische Handbremse agiert automatisch, allerdings manchmal etwas verzögert. Doch das alles nervt weit weniger als andere Kleinigkeiten: Der Scheibenwischer auf der Fahrerseite lässt links einen recht breiten Rand. Die Verkleidung hinter dem Rückspiegel ist so voluminös, dass sich der Fahrer immer etwas strecken muss, um an der Ampel die Grünphase nicht zu verpassen. Schon verrückt: Opel hat den ersten Kadett unter anderem damit beworben, dass die Ampel stets bequem zu sehen ist. Früher war nicht mal in Autos alles schlechter.

Assistenten: Das geht besser

Handlungsbedarf besteht nach meiner Auffassung jedoch vor allem bei den Assistenten. Woran der Regensensor merkt, wann er die Wischer losschicken sollte, wird auch nach längerem Gebrauch nicht so recht klar – mit dem Wasser auf der Scheibe scheint es wenig zu tun zu haben. Die Schildererkennung nutzt hoffentlich niemand zum Erhalt seines Führerscheins – der wäre dann nämlich akut in Gefahr. Ihre Trefferquote liegt gefühlt bei unter 50 Prozent. Besondere Probleme hatte das System mit Zusatzschildern: Auf meinem Arbeitsweg gibt es neuerdings eine Tempo-40-Zone, die allerdings nur gilt, wenn man von der Land- auf eine Nebenstraße abbiegt. Der Talisman hält dann die nächsten Kilometer unerschütterlich an einer 40-km/h-Empfehlung fest. Manch einer mag da ins Grübeln kommen, wie die Hersteller in wenigen Jahren zumindest teilautonom fahrende Autos anbieten wollen, wenn heute noch nicht einmal die simple Erfassung von Verkehrsschildern zuverlässig klappt.

Der Abstandstempomat lässt sich sehr einfach bedienen, agiert aber mitunter ähnlich ruppig wie im BMW X1 [4]. Das bekommen andere in dieser Klasse besser, sprich unauffälliger hin. Dazu serviert Renault eine Kombination aus Spurverlassens- und Müdigkeitswarner – vermutlich unbeabsichtigt. Gerät das Auto auch nur minimal an einen Fahrbahnrand, ertönt aus den Lautsprecher der entsprechenden Seite ein Ton, der sich anhört wie ein Summer von einem Radiowecker mit defekter Sicke am Lautsprecher. Ist der Ton ausreichend laut eingestellt, wird der Fahrer nach dem Ertönen erst einmal wieder wach sein. Positiv: Die Warnung, dass das Auto aus der Spur ist, funktioniert hier viel zuverlässiger als beispielsweise im Opel Karl [5]. Mit eigenwilligen Geräuschen kann auch das Head-up-Display dienen. Es fährt mit einem Ton aus seiner Versenkung, an dem definitiv kein Sounddesigner beteiligt war.

Preis und Leistung

Nun mag manch einer einwerfen, dass der Talisman die von deutschen Konkurrenten in dieser Klasse angestrebte Perfektion nicht erreicht. Für sich betrachtet macht ihn das aber keineswegs zu einem schlechten Auto. Er ist leise, spurtstark, hat Platz und bequeme Sitze – und ist ganz nebenbei ein wirklich sehr faires Angebot. Schon das Basismodell „Life“ bietet mit Klimaautomatik, 17-Zoll-Alufelgen, Navigationssystem, Digitalradio (DAB+), Soundsystem, schlüssellosem Zugang, Tachodisplay und Tempomat vieles, was anderswo auch in gehobenen Ausstattungsvarianten zusätzlich bezahlt werden muss.

Leider lässt sich diese Version nicht mit dem von uns gefahrenen 200-PS-Benziner kombinieren. Der wird erst ab mittleren von drei Linien angeboten und bringt unter anderem noch 18-Zoll-Räder, Sitzheizung und LED-Scheinwerfer mit. Für 34.950 Euro bekommt man bei der Konkurrenz kaum ein Auto mit dieser Kombination aus Größe, Leistung und Ausstattung. Ganz nebenbei gewährt Renault insgesamt noch fünf Jahre Garantie, wobei drei davon auf die Neuwagengarantie entfallen, zwei weitere auf eine Anschlussgarantie, die bis 100.000 km gilt. Zum Vergleich: Ein ähnlicher Umfang kostet für den VW Passat [6] 1300 Euro.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Bleibt-alles-anders-3128928.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Das-BMW-430d-xDrive-Gran-Coupe-im-Fahrbericht-3065610.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Im-Test-Peugeot-508-BlueHDi-120-3209448.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Im-Test-BMW-X1-xDrive-20d-3130148.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-Opel-Karl-im-Generationenvergleich-2835954.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Unterwegs-im-VW-Passat-2-0-TDI-mit-150-PS-2688252.html