Autos der 60er-Jahre

In den 60er Jahren warfen die Autos die schwere Last der Nachkriegsjahre ab. Die Hersteller konnten nach vorne blicken und Trends gestalten.

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NSU Ro 80

(Bild: Hersteller)

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Christian Domke Seidel
Inhaltsverzeichnis

In diesem Jahrzehnt hat die Geschichte alles rausgefeuert, was der Köcher hergab. Vietnamkrieg und Kubakrise waren Geburtshelfer für die Friedensbewegung. Die wiederum riss in Form der Swinging Sixties auch Kunst, Kultur und Mode mit sich. In Person von Ken Kesey machte ein Hippie aus dem militärischen Chemie-Experiment LSD eine beinahe religiöse Party- und Friedensdroge (es sei "Electric Kool-Aid Acid Test" von Tom Wolfe ans Herz gelegt). Träume gab es auch – allen voran den vom All.

In Deutschland setzte 1962 eine Jahrhundert-Flut Hamburg unter Wasser, was Helmut Schmidt als Krisenmanager auf die bundesweite politische Landkarte spülen sollte. War gerade keine Krise, schauten alle Bonanza oder die ZDF-Hitparade und das ab 1967 sogar in Farbe. Der Zweite Weltkrieg schien Äonen her. Diese alles umfassende neue Lockerheit schlug sich auch im Automobilbau nieder. Die 60er-Jahre waren eher sportlich geprägt und selbst deutsche Hersteller versuchten sich (mit gebotenem Ernst) an etwas bella vita.

Allen voran natürlich Porsche. Die hatten sich mit dem 356er als veritabler Hersteller von Sportwagen etabliert und Fans wie Konkurrenz warteten auf den nächsten Wurf. Der landete im September 1963 auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt und hörte auf die Bezeichnung Porsche 901. Peugeot protestierte gegen die Modellbezeichnung, Porsche gab nach. Als Porsche 911 sollte dieser Wagen zum Inbegriff einer ganzen Marke und zum Urmeter für den Sportwagenbau werden. Lange bevor Porsche sich erst als SUV-Marke, dann als Hedgefonds, dann wieder als SUV-Marke etablieren sollte.

Porsche baute den Ur-911er von 1964 bis 1989. Natürlich nicht ohne diverse Anpassungen und Sondermodelle.

(Bild: Porsche)

Der 911er richtete sich gezielt an eine neue, wohlhabendere Kundschaft. Ferdinand Alexander Porsche und Erwin Komenda (Porsche 356) nahmen ein Set Golfschläger als Basis für den Kofferraum. Der lag vorne. Hinten gab ein neuer Zweiliter-Sechszylinder mit 130 PS die Dimensionen vor. Dazwischen liegt ein um elf Zentimeter verlängerter Radstand, was den Fahrkomfort enorm erhöhte. Doch nicht alles passte Porsche an den neuen Wohlstand an. Das Zündschloss blieb links, wie es sich für Sportwagen gehört. Stichwort: Le-Mans-Start.

Aktuell steht die achte Generation des 911er in den Showrooms. Im Jahr 2017 wurde der Millionste 911er gebaut.

(Bild: Porsche)

Der etwas jüngeren Generation sei gesagt: Ein Porsche 911er ist sowas wie ein tiefergelegter Cayenne.

(Bild: Porsche)

Auch andernorts in Baden-Württemberg zog ein neues Lebensgefühl ein. Mercedes zeigte auf dem Genfer Automobilsalon 1963 den W113. Auch SL oder "Pagode" genannt. Der letztgenannte Name erhielt der Wagen wegen des nach innen gewölbten Hardtops. Das Fahrzeug war der Versuch, den ebenfalls legendären Vorgänger – 300 SL – etwas maskuliner zu gestalten. Mercedes verstand darunter klare Kanten, gerade Linien, weniger Babyspeck. Chefdesigner Paul Bracq erfüllte die Anforderungen, trotzdem gilt das Fahrzeug sechzig Jahre später als "Schönheitskönigin", die durch "feminine Ausstrahlung" besticht. So ändern sich die Zeiten.

Das Wirtschaftswunder düngte die Konten der Deutschen und Mercedes stellte mit dem W113 das richtige Auto zur Verfügung.

(Bild: Mercedes)

Derart gestaltet sollte der Wagen den amerikanischen Markt erobern. Was auch gelang. Rund die Hälfte der gebauten Exemplare ging nach Übersee (vor allem nach Kalifornien). Das Motorenprogramm war in den 1960er-Jahren noch erfrischend übersichtlich. Es gab drei Varianten. Vom Start weg den 230 SL (1963 bis 1967 – 150 PS), den 250 SL (1967 – 150 PS, aber mehr Hubraum) und den 280 SL (1968 bis 1971 – 170 PS). Auf die Verwendung des 6,3-Liter V8 verzichtete Mercedes.

Der Sechszylinder verlangt eigentlich nach dem Fünfgang-Schaltgetriebe. Das war aber aufpreispflichtig.

(Bild: Mercedes)

Rund 49.000 Mercedes W113 rollten zwischen 1963 und 1971 vom Band. Die Hälfte davon wurde in die USA exportiert.

(Bild: Mercedes)

BMW hat ein neues Auto nicht gereicht, die haben gleich eine neue Zeitrechnung auf den Markt gebracht. Im Jahr 1959 waren die Münchner nahezu pleite. Mercedes galt als aussichtsreicher Interessent. Dann schoss Herbert Quandt Geld in die Firma und das Entwicklerteam, samt Designer Wilhelm Hofmeister, konnte sich an die Arbeit machen. Das Ergebnis war im Jahr 1961 die "Neue Klasse". Fahrzeugmodelle, die oberhalb der Nachkriegskleinwagen positioniert waren (Isetta, 700), aber unterhalb der Oberklasse (502). Zur Einordnung: Im Jahr 1972 wurde der BMW 5er der Nachfolger.

Die Automobilrevue urteilte über den BMW 2000 CS nach der IAA 1965: "Gar nichts Bayerisches trägt das neue, auch technisch hochwertige BMW-Coupé 2000 CS zur Schau." Es war als Lob gemeint.

(Bild: BMW)

Erkennungsmerkmal der Neuen Klasse war der Hofmeister-Knick. Ein Designelement, das fortan typisch für BMW werden sollte und nicht einmal von Chris Bangle abgeschafft werden konnte. Das vielleicht auffälligste Auto der Neuen Klasse ist der BMW 2000 CS mit dem vorne postierten Außenspiegel auf der Fahrerseite. Das Geschäftsjahr 1963 – also das erste volle Jahr der Neuen Klasse – brachte ein Umsatzwachstum von 47 Prozent und den ersten Gewinn seit zwei Jahrzehnten.

In den 1960er Jahren waren große Fensterflächen für bessere Rundumsicht noch Standard. Erst die Moderne brachte die Schießscharten-Fenster.

(Bild: BMW)

Die Gebrauchtwagenpreise beim BMW 2000 variieren enorm. Entsprechend gibt es für begabte Bastler noch Schnäppchen zu schießen. Außer es muss ein Coupé sein. Dann nicht.

(Bild: BMW)

Pierre Dreyfus, seit 1955 Chef der halbstaatlichen Renault S.A., las Ende der 1950er-Jahre Zeitung. Darin stand, dass die Welt vor einer demografischen Herausforderung stand. Es würde immer mehr Familien geben, die eher wenig Geld zur Verfügung haben werden. Also schickte er seine Ingenieure los, einen billigen und robusten Wagen oberhalb der Citroën 2CV zu entwerfen. Heckmotor und -antrieb seien zu vermeiden. Heraus kam der Renault 4, den Dreyfus im Jahr 1961 der Öffentlichkeit präsentierte. Allerdings nicht auf einer Messe. Er ließ einfach 200 Stück rund um den Eiffelturm fahren.

Junge Familien mit wenig Geld wollen auch Auto fahren. Eine Erkenntnis, die Renault viel Geld gebracht hat.

(Bild: Renault )

Renault griff beim R4 auf eine Plattformstrategie zurück. Das drückte die Preise. Die nichttragende Karosserie des R4 ist außerdem mit dem Rahmen nur verschraubt. So ließen sich schnell neue Karosserievarianten entwickeln. Ein Hit. 8,1 Millionen Stück bauten die Franzosen zwischen 1961 und 1992 (!) und verkauften die Autos in rund hundert Länder.

Der Kofferraum fasste 250 Liter. Mit umgeklappten Sitzen sogar 950 Liter. Dank ebenem Wagenboden waren aber auch Umbauten kein Problem.

(Bild: Renault)

Der Renault 4 verfügte über eine Revolverschaltung. So ist mittig kein Schaltknüppel im Weg und Beifahrer können leicht auf der Fahrerseite aussteigen.

(Bild: Renault)