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Missing Link: Die Blockchain-Illusion – Chris Dixons Web3-Vision hinterfragt

Molly White

(Bild: wortwolken.com)

Der prominente Krypto-Risikokapitalgeber Chris Dixon liefert mit "Read Write Own" eine wenig überzeugende Bibel für Prediger von Blockchain-Lösungen.

heise online veröffentlicht diese Übersetzung des englischen Originals [1] mit freundlicher Genehmigung der Autorin Molly White.

Wie viele andere Web3-Evangelisten hat auch Chris Dixon, General Partner von Andreessen Horowitz (a16z), einige Probleme mit dem Web ausgemacht. Er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel Read Write Own.

In den vergangenen Jahren wurde das Web zunehmend von einer kleinen Gruppe mächtiger Unternehmen monopolisiert, die als "Big Tech" bekannt geworden sind. Ich werde ihm in diesem Punkt nicht widersprechen, obwohl die Rolle, die sein eigenes Unternehmen [2] bei diesem Wandel gespielt hat, ein großer und völlig unerwähnter Elefant im Raum ist, der sich durch das ganze Buch zieht, in dem er immer wieder diese "Machtmakler" und "kapriziösen Torwächter" anprangert, die "Konkurrenten unterdrücken" und "unser Leben im Würgegriff halten …".

Alle Versuche, Alternativen zu schaffen, seien gescheitert, sagt er, bevor er einige Projekte beschreibt, die immer noch in Gebrauch sind, wie die Protokolle RSS und ActivityPub oder föderierte soziale Medienprojekte wie Mastodon. RSS ist tot, wiederholt er im Laufe des Buches immer wieder.

Es ist zutiefst seltsam, den Nachruf auf RSS als jemand zu lesen, die mehrmals täglich ihren Feed-Reader überprüft, um alles von Kryptowährungsnachrichten bis hin zu Ideen für das Abendessen zu erhalten, und die nur selten auf eine Website trifft, die keinen funktionierenden Feed anbietet.

[Zufälligerweise verfügt Dixons eigene Website über einen funktionierenden RSS-Feed. Vielleicht ist ihm das gar nicht bewusst, denn RSS ist so allgegenwärtig [3], dass viele Website- und Blog-Softwareprodukte es entweder standardmäßig einbauen oder mit einfachen Plug-ins leicht hinzufügen können.]

Und weiß Dixon irgendwie nicht, dass ein großer Teil der florierenden Podcasting-Industrie auf RSS aufbaut, oder viele andere Anwendungen und Websites Funktionen auf RSS aufbauen, ohne dass ihre Nutzer es je erfahren?

[In einem dieser RSS-Podcasts [4] hörte ich kürzlich Eric Silver über mächtige Technikunternehmen sprechen, die gegen RSS wettern, weil es nicht in das von ihnen angestrebte extraktive Geldmachermodell passt: "Sie sind so sauer, dass der RSS-Feed keine Daten sammelt! Sie hassen es!" Ich vermute, dass dies der wahre Grund ist, warum Dixon RSS in seinem Buch als "tot", "gescheitert", "verpufft", "dem Untergang geweiht" und "gefallen" bezeichnet.]

Eine Buchrezension von Molly White

Molly White

(Bild: 

Molly White

)

Molly White beboachtet die Kryptowährungsszene, Web3 und Technik im Allgemeinen kritisch. Sie betreibt die Webseite Web3 is Going Just Great, wo sie Beispiele sammelt, wie Kryptowährungen und Web3 an ihren eigenen Versprechen scheitern. Außerdem publiziert White den Newsletter Citation Needed.

Wie auch immer, fürchtet Euch nicht, sagt Dixon, denn er hat die Lösung für die Big-Tech-Krankheit des Internet gefunden: Blockchains [5]. "Während viele Leute ihr Potenzial erkennen – mich eingeschlossen – werden sie vom Establishment größtenteils ignoriert", beklagt sich ein Teilhaber einer der mächtigsten Wagniskapitalfirmen im Internetbereich. Wenn wir nun alle so freundlich wären, die letzten 15 Jahre seit der Einführung von Blockchains zu ignorieren – in denen unzählige Unternehmen herumgeirrt sind und versucht haben, irgendeinen möglichen Anwendungsfall jenseits manischer Spekulation, die einige Wenige auf Kosten Vieler bereichert hat, zu finden – hat er uns eine Idee zu verkaufen.

Und das meine ich wortwörtlich: Das Buch ist gespickt mit glühenden Verweisen auf Unternehmen, die a16z unterstützt hat, enthält aber keinerlei Offenlegungen.

Dixon schreibt, dass Blockchains die Grundlage für neue Plattformen bilden können, die nicht nur die Big-Tech-Monopole der gegenwärtigen Web-Ära verdrängen, sondern auch immun gegen die Anziehungskraft dessen sind, was er als "Attract-Extract-Cycle" bezeichnet: ein Muster bei Big-Tech-Unternehmen, bei dem sie die Nutzer zunächst mit großzügigen Angeboten anlocken und dann die Regeln ändern, um maximale Gewinne zu erzielen, sobald die Nutzer gebunden sind. [Ich bevorzuge den von Cory Doctorow geprägten Begriff "Enshittification".]

Diese Immunität, sagt Dixon in seinem Buch, wird eingebaut, weil Blockchains "zum ersten Mal unantastbare Regeln in Software etablieren können". Im gesamten Buch bezieht er sich auf "software-erzwungene", "starke Verpflichtungen" von Blockchains, wonach sie niemals Aspekte des Codes unter der Nase ihrer Nutzer ändern werden. Das Problem bei diesem Argument ist, dass es die Tatsache übersieht, dass Blockchains ihren Code ändern können [6] und dies auch regelmäßig tun – etwas, das Dixon selbst an anderer Stelle einräumt, wenn er sich auf den Konsens der Gemeinschaft bezieht, um Softwareänderungen umzusetzen. Vielleicht glaubt er, dass der "Community-Konsens" irgendwie immer die Wünsche der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft widerspiegelt und dieser Governance-Mechanismus nie missbraucht werden kann oder wird, aber ein kurzer Blick auf einige von der Gemeinschaft verwaltete Blockchain-Projekte in den letzten Jahren sollte ausreichen, um jeden von diesem Irrtum zu befreien.

Dies ist nur einer von vielen Selbstwidersprüchen, an denen Dixon fröhlich vorbeigeht, während er die Tugenden jener Technik preist, von der er beschlossen hat, das Web zu "reparieren".

Buchdeckel "Read Write Own", Untertitel "Building the Next Era of the Internet" von Chris Dixon

Chris Dixons Buch Read Write Own hat 320 Seiten und ist im Verlag Random House erschienen. Die gebundene Ausgabe kostet in den USA 31 US-Dollar netto. Dixon ist Teilhaber des Wagniskapitalgebers Andreessen Horowitz (a16z) und hat dort unter anderem in Coinbase investiert.

(Bild: Penguin Random House)

Nach drei Kapiteln, in denen Dixon eine (ziemlich revidierte) Geschichte des Webs bis heute liefert, die Funktionsweise von Blockchains erklärt, und jene Arten von Dingen erläutert, die man theoretisch mit einer Blockchain machen könnte, folgen "Teil Vier: Hier und Jetzt" und dann der abschließende "Teil Fünf": Was kommt als Nächstes". Der Name des vierten Teils suggeriert, dass er vielleicht eine Liste von Blockchain-Projekten vorlegen wird, die derzeit erfolgreich reale Probleme lösen.

Dies mag der Grund dafür sein, dass der vierte Teil genau viereinhalb Seiten lang ist. Und anstatt erfolgreiche Projekte zu nennen, verbringt Dixon seine wenigen Seiten damit, die "Casino"-Projekte zu kritisieren, die seiner Meinung nach Kryptowährungen einen schlechten Ruf eingebracht und behördliche Prüfungen ausgelöst haben, welche "ethische Unternehmer ... davor zurückschrecken lassen, in den Vereinigten Staaten Produkte herzustellen".

[Dixon spricht davon, dass in den frühen Tagen von "web1" oder der "Lese-Ära" (ein Zeitraum, den er als 1990-2005 definiert) "jeder ein paar Worte in einen Webbrowser eingeben und über fast jedes Thema online lesen konnte". Das ignoriert völlig, dass nur wenige Menschen – kaum "jeder" – in dieser Zeit Zugang zu einem Computer, geschweige denn zu einem Computer mit Internetzugang, hatten. Im Jahr 2005 waren weltweit nur etwa 16 Prozent der Menschen online [7].]

[Die "Casino"-Sache ist a16zs Version von No True Scotsman, die ich bereits erwähnt habe [8]. Alle guten Projekte, die sie mögen, sind "Krypto-Computer"; alle gescheiterten, peinlichen Krypto-Projekte erhalten das Etikett "Casino" und sind keine "echten" Krypto-Projekte. Als Beispiel für US-scheue Krypto-Firmen nennt er Coinbase und Paxos, die beide mit der Drohung "Wenn Ihr uns keine freundlichen, maßgeschneiderten Vorschriften schreibt, sind wir gezwungen, unser Geschäft woanders hin zu verlagern!" als Lobbying-Taktik eingesetzt haben.]

In der Tat gelingt es Dixon im gesamten Buch nicht, ein einziges Blockchain-Projekt zu identifizieren, das erfolgreich einen nicht-spekulativen Dienst in irgendeiner Größenordnung angeboten hat. Dem kommt er am nächsten, wenn er davon spricht, dass "Technologen seit Jahrzehnten davon geträumt haben, einen Internetzugangsanbieter für die Bevölkerung zu schaffen". Er beschreibt ein Projekt, das "weiter gekommen ist als alle anderen": Helium. Er hat Recht, solange man die Tatsache ignoriert, dass Helium keine Internetverbindung, sondern LoRaWAN bereitstellte, dass die Helium-Hotspots [9] zu dem Zeitpunkt, als er sein Buch schrieb, längst die Phase hinter sich hatten, in der sie ihren Betreibern genug Token einbringen konnten, um gerade noch die Gewinnschwelle zu erreichen, und dass das Netzwerk monatlich etwa 1.150 US-Dollar an Nutzungsgebühren einbrachte, obwohl das Unternehmen mit 1,2 Milliarden Dollar bewertet wurde. Oh, und dass das Unternehmen die Öffentlichkeit über seine vermeintlich namhaften Kunden belogen [10] hat, und dass seine Führungskräfte beschuldigt wurden, die Tokens des Projekts zu horten [11], um sich selbst zu bereichern. Aber hey, a16z hat Millionen in Helium gesteckt [12] (eine Tatsache, die Dixon nie erwähnt), also kann man genauso gut versuchen, neues Interesse zu wecken!

[LoRaWAN ist ein Netzwerkprotokoll mit geringem Stromverbrauch, das hauptsächlich von Sensorgeräten verwendet wird. Im August 2022 begann Helium damit zu werben, dass es "5G" anbieten würde, eine Behauptung, die Dixon in seinem Buch ohne Vorbehalt wiederholt, obwohl Heliums "5G"... nicht wirklich 5G ist und nur in sehr geringem Umfang eingesetzt wurde.]

Im fünften Kapitel skizziert Dixon einige Anwendungsfälle, die seiner Meinung nach reif für Blockchainifizierung sind: Soziale Netzwerke, Videospiele und das Metaverse, NFTs für Musik und andere Kunst, kollaboratives Geschichtenerzählen, digitaler Geldtransfer, Sicherstellung der Entlohnung von Urhebern, wenn mit ihren Werken KI-Modelle trainiert werden, und Verhinderung von Fehlinformationen durch Deepfakes oder andere Fälschungen. Er führt ein paar schwache Argumente dafür an, warum eine Blockchain bei jedem dieser Anwendungsfälle helfen könnte, versäumt es aber, eines der vielen Blockchain-basierten Projekte zu erwähnen, die bereits versucht haben, diese Dinge zu tun, und bestenfalls nie Fuß gefasst haben, wenn sie nicht spektakulär gescheitert sind. An keiner Stelle geht er auf die vielen Probleme in diesen Bereichen ein, die nicht nur mit einer Blockchain gelöst werden können, oder auf Probleme, die in manchen Fällen durch Verwendung einer Blockchain noch verschlimmert werden.

Er geht auch nicht auf Kritik ein, wonach Blockchains noch keine tragfähigen Projekte hervorgebracht haben, obwohl sie kaum eine neue Erfindung sind. Das Fehlen dieser Erörterung ist besonders amüsant, wenn er erklärt, warum er glaubt, dass Blockchains notwendig sind, um das Internet zu reparieren:

"Es gibt nur zwei bekannte Netzwerkarchitekturen, die den demokratischen und egalitären Geist des frühen Internets bewahren: Protokollnetzwerke und Blockchain-Netzwerke. Wenn neue Protokollnetzwerke erfolgreich sein könnten, wäre ich die Erste, die sie unterstützt. Aber nach Jahrzehnten der Enttäuschung bin ich skeptisch."

[Im Sprachgebrauch von Dixon sind "Protokollnetze" Dinge wie E-Mail, das Web, RSS oder XMPP: offene und weitgehend frei nutzbare Systeme, die Protokolle bereitstellen, auf denen Entwickler Clients und andere Software aufbauen können.]

Blockchains hingegen enttäuschen erst 15 Jahre lang.

In einem Teil des Buches deutet er das Thema kurz an, indem er schreibt: "Es kann Jahre, ja sogar Jahrzehnte dauern, bis neue Computerplattformen vom Prototyp zur allgemeinen Akzeptanz gelangen. Das gilt für hardwarebasierte Computer wie PCs, Mobiltelefone und VR-Headsets, aber auch für softwarebasierte virtuelle Computer wie Blockchains und KI-Systeme. Nach Jahren der Fehlstarts bringt jemand ein bahnbrechendes Produkt auf den Markt, das eine Periode exponentiellen Wachstums auslöst." Er hat recht, dass neue Hardwareprodukte oft eine Weile brauchen, um sich durchzusetzen – oft sind Fortschritte bei Hardware notwerndig, um diese Produkte klein genug, billig genug oder funktional genug für die breite Masse zu machen. Sein einziges anderes Software-Beispiel ist "KI", ein vager und weit gefasster Begriff, der viele Techniken umfasst, die schon seit Jahren weit verbreitet sind, obwohl Dixon behauptet, dass sie erst jetzt, "achtzig Jahre nach ihren Anfängen, zum Mainstream werden". Er bezieht sich dabei natürlich nur auf große Sprachmodelle (eine kleine Teilmenge jener Techniken, die allgemein als "KI" bezeichnet werden), die in letzter Zeit dank der Fortschritte bei Hardware (GPUs) tatsächlich einen Durchbruch erzielt haben. Blockchains haben keine solchen Hardware-Hürden zu überwinden, und Dixon bietet keine Erklärung dafür, worauf genau sie warten oder warum es so lange dauert.

Dies zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch: Dixon setzt sich nur selten mit der Kritik an Blockchains auseinander, obwohl er in regelmäßigen Abständen einräumt, dass es davon eine Menge gibt. Wenn er sich mit einer Kritik auseinandersetzt, sagt er einfach "das ist nicht wahr", ohne dies zu untermauern, zum Beispiel wenn er sagt, dass die Leute "fälschlicherweise" glauben, dass Blockchains gut für illegales Verhalten geeignet sind, was er einfach als "völlig falsch" bezeichnet. Nun gut, wenn Sie das sagen.

In den meisten Fällen, in denen er Kritik erwähnt, geht er jedoch nicht darauf ein und schlägt stattdessen auf die Kritiker selbst ein, für die er ganz offensichtlich brodelnden Hass hegt. Kritiker, so spottet er, sind oft nur Big-Tech-Mitarbeiter, die befürchten, dass Blockchains "ihre Autorität untergraben". Journalisten, die über betrügerische Krypto-Token schreiben, üben eine "unaufrichtige Form der Kritik" aus, die sich "auf das Schlechte konzentriert und das Gute ignoriert". Die Kritiker haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Technik zu verstehen, sagt Dixon, und wirft ihnen vor, sich nicht die Mühe zu machen, sich das Design von Blockchains wie Ethereum anzusehen.

[Ethereum ist schlimmstenfalls die zweitbeliebteste Blockchain (je nachdem, wie man misst). Jeder einzelne Blockchain-Kritiker, der mir einfällt, weiß genau, wie sie funktioniert.]

Es ist Dixon anzurechnen, dass er gelegentlich einige überzeugende, wenn auch kaum neue Argumente dafür anführt, wie sich das Internet zu einer kommerzialisierten, kapitalistischen Höllenlandschaft entwickelt hat, die von relativ wenigen riesigen Unternehmen kontrolliert wird.

[Dieses Thema habe ich z.B. in einem Vortrag im November 2022 [13] beschrieben, in dem ich auch die Vorliebe von a16z für die Kritik am "web2"-Internet erwähnte, ohne dass sie ihre eigene Rolle bei dessen Entstehung anerkennen.]

Und an einigen Stellen bringt er glaubwürdige Argumente für Dinge vor, die meiner Meinung nach dazu beitragen könnten, dieses Modell zurückzudrängen, darunter mehr Investitionen in Open-Source-Software oder in Protokolle, die die Grundlage für neue Plattformen bilden können. Manchmal scheint er sogar nahe daran zu sein, anzudeuten, dass wir vielleicht – nur vielleicht – die Art und Weise, wie Webprojekte finanziert werden, neu bewerten sollten, da die derzeitigen Modelle Unternehmen oft dazu veranlassen, wie er es ausdrückt, "Reichtum und Macht in den Händen einer kleinen Gruppe zu konsolidieren: Investoren, Gründer, einige Mitarbeiter. Die Beute geht an einige wenige Glückliche". Dann wendet er sich kurzerhand vom Thema ab, um sich nicht auf gefährliches Terrain für einen Wagniskapitalgeber zu begeben.

[Eine kohärentere Diskussion zu diesem Thema, die nicht die ganze Idee verwirft, um Sie davon zu überzeugen, dass Blockchains ihren Aufwand wert sind, finden Sie in Mike Masnicks maßgeblichem Buch "Protocols not Platforms" [14].]

Aber diese kleinen Lichtblicke sind rar gesät und reichen vielleicht für einen lesenswerten Blogeintrag, aber sicher nicht für ein Buch von über 300 Seiten. Alternativen zu Blockchains werden in dem Buch kaum in Betracht gezogen, bevor Dixon sie aus Gründen, die weitaus leichter zu überwinden sind als die unerwähnten Blockchain-Hürden, für nicht praktikabel erklärt.

Ich blieb verwundert zurück: Für wen ist dieses Buch gedacht? Es wurde sicher nicht geschrieben, um die Skeptiker zu überzeugen, für die Dixon seine Verachtung ganz klar zum Ausdruck bringt. Und der Mangel an Zitaten oder auch nur kurzen Argumenten zur Untermauerung der vielen kühnen Behauptungen, die Dixon aufstellt, als seien sie Tatsachen, lässt vermuten, dass es nicht für die Zaungäste gedacht ist, die bereit sind, Dixons Aussagen für bare Münze zu nehmen – oder höchstens für die unkritischsten unter ihnen. Mir scheint, dass Dixons Zielgruppe nur die Gläubigen sind: Jene Leute, die bereits überzeugt sind und nicht viel mehr wollen als ein Buch zum Mitnicken.

Obwohl im Text keine Fußnoten angegeben sind, war ich kurzzeitig erfreut, am Ende des Buches einen Abschnitt für Anmerkungen zu finden, in dem Dixon eine kleine Auswahl verschiedener Quellen zitiert, meist Nachrichtenartikel und viele aus Krypto-Medien. Meine Erleichterung darüber, dass ich die lange Liste fragwürdiger Behauptungen, die ich mir notiert hatte, leicht überprüfen könnte, verflog jedoch schnell, als ich entdeckte, dass die Zitate dazu dienten, Dinge wie seine Aussage, dass "die Leute den nervigen Außerirdischen Jar Jar Binks hassten", zu verifizieren, und nicht die weitaus gewagteren Behauptungen, die er durchgehend aufstellt. Viele Behauptungen sind völlig unbegründet, und in einem Unterkapitel – dem über "Blockchain-Netzwerke" – wird nur eine einzige Quelle (für das Epigraf) genannt.

Mir ist klar, dass meine Vorliebe für explizite Referenzen vielleicht etwas stärker ist als die des Durchschnittsmenschen, und dass ein Großteil der nicht-akademischen Literatur nicht dem akademischen Zitierstil folgt, aber es ist seltsam, Zitate für ziemlich belanglose Details zu liefern, ohne die wichtigeren Behauptungen zu belegen.

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Auch ohne gründliche Überprüfung der von ihm angegebenen Zitate habe ich zwei Fälle gefunden, in denen die angegebenen Zitate die von ihm aufgestellten Behauptungen nicht wirklich unterstützen.

Im ersten Fall schreibt Dixon, dass Menschen begonnen haben, den Zugang zu Inhalten, die sie im Internet veröffentlichen, beschränken, um KI-Unternehmen daran zu hindern, ihre Modelle ohne Erlaubnis zu trainieren. "Vielleicht könnten KI-Systeme die Lücken füllen, indem sie ihre eigenen Inhalte finanzieren", schreibt er. "Dies geschieht bereits heute mit 'Content-Farmen' – Gebäude voller Arbeiter, die angewiesen sind, bestimmte Inhalte zu erstellen, um die KI-Trainingsdaten zu ergänzen."

Ich kenne zwar Content-Farmen, die (oft mithilfe von KI) minderwertige Texte erstellen, um Suchmaschinen zu manipulieren und Werbeeinnahmen anzulocken, aber ich hatte noch nie davon gehört, dass KI-Unternehmen solche Dienste nutzen, um speziell Material für ihre Trainingsdaten zu erstellen. Falls doch, wird diese Praxis in keiner der beiden Quellen erwähnt. Die erste Quelle, ein Artikel der New York Times aus dem Jahr 2023 [16], beschreibt das von ihm erwähnte Content Gating, und verweist schräg auf eine Aussage von OpenAI, wonach sie ihre Modelle mit Inhalten trainieren, die "von menschlichen KI-Trainern erstellt wurden" – ohne dabei Content-Farmen zu erwähnen. Die zweite Quelle, ein Artikel der MIT Technology Review aus dem Jahr 2023, spricht von KI-generierten Content-Farmen [17], die Website-Inhalte ausspucken, um Werbeeinnahmen zu erzielen, beschreibt aber nicht, dass Content-Farm-Material zum Trainieren von KI-Modellen verwendet wird.

[KI-Trainer übernehmen in der Regel eine Vielzahl von Aufgaben, darunter das Formatieren von Datensätzen, das Kommentieren von Daten, das Bewerten von Antworten, das Testen von Gesprächsabläufen usw.]

Der zweite Fehler, der mir auffiel, war die Behauptung Dixons, dass "physische Waren" wie T-Shirts, die von Musikern verkauft werden, durch den Verkauf "virtueller Waren" wie Premium-Outfits oder Tanzanimationen für Videospielfiguren in den Schatten gestellt werden: "Die Musikbranche verkaufte 2018 Merchandise im Wert von 3,5 Milliarden Dollar, während die Videospielindustrie im selben Jahr virtuelle Güter im Wert von 36 Milliarden Dollar verkaufte – eine Zahl, die sich für Videospiele seitdem fast verdoppelt hat." Für die Zahl von 36 Milliarden Dollar zitiert er eine Pressemitteilung der Entertainment Software Association aus dem Jahr 2019 [18], die sich wiederum auf Daten von The NPD Group und Sensor Tower beruft. Diese Daten zeigen, dass sich die Zahl von 36 Milliarden Dollar auf alle Einnahmen aus Videospielen ausgenommen Hardware und Peripheriegeräte bezieht, also Dinge wie die Spiele selbst und Abonnements für Spiele einschließt – nicht nur den Verkauf "virtueller Gütern". Andererseits bezieht sich die Zahl von 3,5 Milliarden Dollar nur auf Merchandising-Artikel – Musikaufnahmen brachten weitere 19,1 Milliarden Dollar [19] ein, und Tourneen und andere Einnahmequellen würden die Zahl noch weiter erhöhen. (ds [20])


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[1] https://www.citationneeded.news/review-read-write-own-by-chris-dixon/
[2] https://www.citationneeded.news/andreessen-horowitzs-state-of-crypto/#web-vs-web-platform-revenue-share
[3] https://www.heise.de/news-extern/news.html
[4] https://techwontsave.us/episode/204_how_spotify_tried_to_take_over_podcasting_w_eric_silver
[5] https://www.heise.de/thema/Blockchain
[6] https://www.heise.de/news/Bitcoin-Programmierer-muessen-vielleicht-die-Blockchain-manipulieren-7489900.html
[7] https://www.itu.int/itu-d/reports/statistics/2023/10/10/ff23-internet-use/
[8] https://twitter.com/molly0xFFF/status/1645827128829591552
[9] https://www.heise.de/news/Mexiko-Privater-WLAN-Hotspot-mit-Blockchain-soll-Einnahmen-bescheren-9612449.html
[10] https://mashable.com/article/helium-lime-web3-crypto
[11] https://www.forbes.com/sites/sarahemerson/2022/09/23/helium-crypto-tokens-peoples-network/?sh=1d13ef327316
[12] https://www.bloomberg.com/news/articles/2021-08-10/andreessen-backed-5g-blockchain-firm-helium-raises-111-million
[13] https://www.youtube.com/watch?v=AGsllEF7w_g
[14] https://knightcolumbia.org/content/protocols-not-platforms-a-technological-approach-to-free-speech
[15] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[16] https://www.nytimes.com/2023/07/15/technology/artificial-intelligence-models-chat-data.html
[17] https://www.technologyreview.com/2023/06/26/1075504/junk-websites-filled-with-ai-generated-text-are-pulling-in-money-from-programmatic-ads/
[18] https://www.theesa.com/news/u-s-video-game-sales-reach-record-breaking-43-4-billion-in-2018/
[19] https://www.ifpi.org/ifpi-global-music-report-2019/
[20] mailto:ds@heise.de