CERN: Hinweise auf bisher unbekannte physikalische Kraft erhärten sich

Spezielle Elementarteilchen zerfallen vielleicht häufiger in Elektronen als in ihre schwereren Geschwisterteilchen. Liegt das an einer bisher unbekannten Kraft?

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(Bild: Peter Ginter / CERN)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Jan Oliver Löfken

Eine neue fünfte Kraft wäre nach der Entdeckung des Higgs-Teilchens eine Sensation in der Physik. Denn damit wäre die bisher beste Beschreibung des Mikrokosmos – das Standardmodell – in seiner jetzigen Formulierung hinfällig. Erste Hinweise darauf führten bereits im Frühjahr zu großer Aufregung in der Schar der Teilchenphysiker. Nun stützt eine weitere Studie der großen Gruppe an Forschenden des LHCb-Experiments am 27 Kilometer langen "Large Hadron Collider“ (LHC-Teilchenbeschleuniger) am CERN bei Genf diese Aussicht auf neue Physik.

Prinzipiell wäre schon eine erweiterte Neufassung des Standardmodells selbst eine Sensation. Doch ein besseres Verständnis des Mikrokosmos, vielleicht mit einer fünften Kraft, könnte auch zur Klärung der noch offenen Rätsel um die Dunkle Materie, mikroskopisch kleinen schwarzen Löchern oder bisher nicht entdeckte, verborgene Dimensionen über die drei Raum und die Zeitdimension hinaus führen.

All diese Hoffnung gründet auf ein ungewöhnliches asymmetrisches Verhalten von sogenannten B-Mesonen. Diese Teilchen enthalten zwei Quarks – das relativ schwere bottom-Quark und ein leichteres up-Quark. Stabil sind B-Mesonen nur für gut einen billionstel Bruchteil einer Sekunde. Dann verwandeln sie sich und senden dabei zu exakt gleichen Teilen ein Elektron und das physikalisch identische, nur 200 mal schwerere Schwesterteilchen, ein Myon, aus. Diese Symmetrie schreibt das Standardmodell vor. Doch die im Frühjahr veröffentlichten Daten zeigten, dass rechnerisch auf hundert Elektronen nur 85 Myonen entstanden. Um diese Asymmetrie erklären zu können, schlagen die Physikerinnen und Physiker eine neue, fünfte Kraft zusätzlich zu den vier bekannten Fundamentalkräften – Schwerkraft, elektromagnetische Kraft, starke und schwache Kernkraft – vor.

Die bislang vorliegenden Daten belegen dieses asymmetrische Zerfallsverhalten allerdings nicht mit Sicherheit. Die bisher im haushohen Teilchendetektor LHCb beobachteten Ereignisse sind jedoch mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von einem Zehntel Prozent behaftet. So bleibt noch eine zu große Chance, dass die Anomalie auf eine zufällige Häufung von Ereignissen zurückgeht. Die Physiker nennen diesen Grad der Wahrscheinlichkeit "3 Sigma", ein Wert für die statistische Standardabweichung. Um jedoch sicher zu sein, dass die asymmetrische Erzeugung von Elektronen und Myonen keine zufällige Häufung der Ereignisse ist, ist eine Standardabweichung von "5 Sigma" nötig. Das entspricht einer extrem geringen Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,00003 Prozent.

Eine Klärung dieses Phänomens erwarten die Wissenschaftler eigentlich erst nach einem Upgrade des LHCb-Detektors, das im kommenden Jahr abgeschlossen werden soll. Dann könnten deutlich mehr B-Mesonen-Zerfälle beobachtet werden und eine bessere Statistik erreicht werden. Einige Teilchenphysiker der LHCb-Gruppe – insgesamt rund 1400 Forschende – wollten so lange nicht warten. Sie durchforsteten die bereits gesammelten Daten auf weitere Hinweise für die Asymmetrie. Dabei konzentrierten sie sich auf B-Mesonen aus einem bottom-Quark und einem down-Quark. Auch diese Analyse ergab, dass bei der Umwandlung der kurzlebigen B-Mesonen mehr Elektronen als Myonen entstanden, und das sogar mit einem Verhältnis von Eins zu 0,7. Allerdings standen für diese Analyse insgesamt weniger gemessene Ereignisse zur Verfügung. So erreichten sie lediglich eine Standardabweichung von "2 Sigma". Das entspricht einer noch höheren Irrtumswahrscheinlichkeit von zwei Prozent.

Dennoch nähren diese neuen Auswertungen weiter die Hoffnung auf eine fünfte Kraft, um das asymmetrische Verhalten erklären zu können. Doch um wirklich sicher zu sein, müssen sich die Physikerinnen und Physiker wohl doch noch in Geduld fassen und das Upgrade ihres LHCb-Detektors abwarten. "Doch es ist aufregend, dass sich in einigen Monaten oder Jahren ein neues Fenster auf die fundamentalsten Zutaten unseres Universums öffnen könnte", sagt LHCb-Teilchenphysiker Harry Cliff von der University of Cambridge.

(bsc)