Kontroverse um Game Awards: Der Begriff "Indie-Spiel" ist kaputt

Indie-Games gelten im Gegensatz zu AAA-Spielen als sympathisch und hip. Eine aktuelle Diskussion zeigt, dass der Begriff kaputt ist. Doch wen kümmert's?

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(Bild: Nexon)

Lesezeit: 5 Min.
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Ist "Dave the Diver" ein Indie-Spiel? Die Nominierung der Genre-Mischung in der Indie-Kategorie der Game Awards 2023 sorgt für Diskussionen in der Gaming-Community. "Dave the Diver" ist kreativ, eigenwillig, einzigartig. Aber es ist nunmal kein Indie-Spiel, argumentieren viele.

Entwickelt wurde "Dave the Diver" von Mintrocket, einer Tochtermarke des südkoreanischen Publishers Nexon, der im dritten Quartal 2023 über 700 Millionen Euro Umsatz gemacht hat. Das Nexon-Management selbst hat sich in einem früheren Interview davon distanziert, "Dave the Diver" als Indie-Spiel zu bezeichnen. Und dennoch hat sich eine Jury aus über 100 internationalen Medien dazu entschlossen, "Dave the Diver" bei der wichtigsten Spiele-Preisverleihung als bestes Indie-Spiel zu nominieren.

Auch heise online nannte "Dave the Diver" in einem Kurztest ein "Indie-Spiel" und adelte Mintrocket dabei sogar als "Indie-Studio", obwohl es von Nexon gegründet wurde und weiterhin komplett zum größten Publisher Südkoreas gehört. "Es ist klar, dass die Indie-Spiele auf Basis von Vibes und Pixel Art ausgewählt werden", kommentiert die Spielejournalistin Ash Parrish die Nominierung auf Twitter.

Es stimmt: Mit seiner Pixelgrafik, seinem ungewöhnlichen Spielkonzept und der offensichtlichen Liebe zum Detail passt "Dave the Diver" perfekt in die Indie-Schublade. Es sind Eigenschaften, die wir gelernt haben, mit dem Begriff "Indie" zu verbinden. Doch die eigentliche Definition lautet anders. "Indie" steht für "Independent". Indie sind also Spiele, die von unabhängigen Studios ohne Geld, Unterstützung und Einflussnahme großer Publisher entstanden sind. Spiele wie "Celeste", "Stardew Valley", "Papers Please" und "Baldur's Gate 3" also.

Moment, "Baldur's Gate 3"? Mit ihrem Millionen-Budget und 450 Mitarbeitern entsprechen die belgischen Larian Studios nicht unbedingt dem Indie-Ideal. Und doch ist "Baldur's Gate 3" unabhängig von einem großen Publisher entstanden und damit nach der strengen Begriffsauslegung "Indie". Das passt nicht ins Bild. Brauchen wir also eine neue Definition? Und wie könnte sie aussehen? Was ist eigentlich ein "großer Publisher"? So richtig weiß das alles niemand.

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Studios schmücken sich gerne als "Indie". Indie-Spiele sind sympathisch, hip, kreativ, ein Gegenentwurf zu den vermeintlich seelenlosen und geldgeilen Triple-A-Produktionen. Indie-Fans sehen sich als kultivierte Spiele-Genießer. Wer sein Spiel mit dem Indie-Label auf den Markt wirft, genießt Wohlwollen und darf bei Problemen auf mehr Nachsicht hoffen. Und es muss sich bei den Awards-Shows, die teilweise hoch dotiert sind, eben nicht wie "Baldur's Gate 3" mit "Spider-Man 2" und "The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom" messen, sondern mit "Cocoon", "Dredge" und "Viewfinder".

All das sind greifbare Vorteile, die der Indie-Aufkleber mit sich bringt. Der Begriff ist dabei weitgehend inhaltsleer geworden. Es geht vage um kleine Teams, um eingeschränkte Budgets, um mutige Spielideen. Die Realität ist aber, dass auch große Publisher regelmäßig Indie-ähnliche Spiele auf den Markt bringen: Microsoft etwa mit dem großartigen "Pentiment" oder "Ori and the Will of the Wisps", EA mit "Unravel", Ubisoft mit "Child of Light" – und Nexon mit "Dave the Diver". Unabhängige Studios haben kein Monopol auf kleine Teams und gute Ideen.

Selbst innerhalb unumstrittener Indie-Spiele ist der Begriff nur bedingt aussagekräftig: "Stardew Valley" und "Papers Please" wurden von Einzelpersonen entwickelt, "Hollow Knight"-Entwickler Team Cherry bestand im Kern aus drei Personen, das "Disco Elysium"-Studio ZA/UM aus bis zu 30 Festangestellten. Auch die Budgets von Indie-Games gehen weit auseinander, von kostenlosen Open-Source-Entwicklungen hin zu Produktionen mit Millionenausgaben.

Publisher wie Team17, Annapurna Interactive und Daedalic haben sich darauf spezialisiert, kleinen Teams finanziell unter die Arme zu greifen. Sie werden oft als "Indie-Publisher" bezeichnet – eigentlich ein Oxymoron. Der deutsche Spiele-Branchenverband game pocht derweil auf das Selbstverständnis der Entwickler: Wer sich selbst als Indie-Entwicklerstudio versteht, wird schon eines sein.

Obwohl der Begriff "Indie" schwer zu fassen ist, muss er nicht nutzlos sein. Seine praktische Bedeutung zieht das Wort "Indie" vor allem aus der Abgrenzung. Indie sind Spiele, die eben nicht Triple-A sind. Von Studios, die nicht nur auf Massentauglichkeit und Marktmaximierung achten, sondern auch mal etwas Neues ausprobieren (dürfen).

Fair ist das nicht. Es geht aber nicht um den Wettkampf oder die Bewertung der Leistung, nicht darum, wer mit wie viel Personal und Budget welche Errungenschaften vollbracht hat. Den Begriff "Indie-Game" verstehen wir intuitiv als Signal: Hier hat jemand freie Bahn bekommen, seiner echten Leidenschaft nachzugehen und kompromisslos seine eigenen Ideen zu verfolgen. Diese Vibes, schwer festzunagelnde Bauchgefühle und Ahnungen, bilden einen schwammigen Konsens, der für die Kommunikation dennoch hilfreich sein kann. Weil wir direkt eine Vorstellung im Kopf haben.

Aus diesem Blickwinkel sind auch "Pentiment", "It Takes Two" und "Dave the Diver" gefühlte Indie-Spiele – auch wenn es die eigentliche Definition beim besten Willen nicht hergibt.

(dahe)