Warum es bei Impfstoffen nicht immer so schnell geht wie bei Corona

Bei vielen Infekten kommt die Impfstoff-Forschung nur langsam voran. Weshalb ist es so schwierig, gegen HIV, Ebola oder Malaria zu impfen?

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Im November 2019 kam mit dem Ebola-Impfstoff von Janssen schon der zweite in der von Ebola gebeutelten kongolesischen Millionenstadt Goma zum Einsatz. Die Epidemie war im August 2018 ausgebrochen., Foto: AFP/Getty Images

Im November 2019 kam mit dem Ebola-Impfstoff von Janssen schon der zweite in der von Ebola gebeutelten kongolesischen Millionenstadt Goma zum Einsatz. Die Epidemie war im August 2018 ausgebrochen.

(Bild: AFP/Getty Images)

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Es hat Uganda getroffen: Seit Mitte Oktober 2022 hat das dortige Gesundheitsministerium 60 bestätigte Fälle von Ebola verzeichnet. Darunter 24 Genesene und 24 Todesfälle. Der jüngste, schwerwiegendste Ausbruch dieser gefährlichen Viruskrankheit ereignete sich zwischen 2013 und 2016. Damals infizierten sich 28.000 Menschen in Afrika, 11.000 starben. Doch nun kehrt das Virus leise zurück, wie Jo Schilling, Redakteurin von MIT Technology, bereits im vergangenen Jahr bemerkte.


Anlässlich des aktuellen Ebola-Ausbruchs in Uganda und der Frage der Wirksamkeit des Ebola-Impfstoffes veröffentlichen wir an dieser Stelle den Hintergrund-Artikel "Impfstoffe: Warum es nicht immer so schnell geht wie bei Corona" erneut. Der Text erschien erstmalig im gedruckten Heft von MIT Technology Review, Ausgabe 2/2022 (als pdf im heise shop bestellbar). Darin geben wir einen Einblick in die Schwierigkeiten bei der Impfstoff-Entwicklung.


Marylyn Addo scrollt konzentriert durch ihre Vorträge. Wie sich das in COVID-Zeiten gehört, treffen wir uns virtuell und sie hat ihren Bildschirm mit mir geteilt. "Ich halte zu viele Vorträge, ich muss mich wohl mal zurückziehen", kommentiert sie mit einem leichten Stirnrunzeln. Marylyn Addo ist Infektiologin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, behandelt als Ärztin Patienten mit schwersten Tropenkrankheiten. Gleichzeitig ist sie Forscherin und entwickelt Impfstoffe. Taucht irgendwo auf der Welt eine neue Infektionskrankheit auf, ist sie zur Stelle. Der kürzlich zugelassene Impfstoff gegen Ebola ist vor allem ihr und ihrem Team vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) zuzuschreiben. Einen Impfstoff gegen MERS hat sie ebenfalls mitentwickelt und auch an einem COVID-19 Impfstoff arbeitet sie derzeit mit Kolleginnen und Kollegen vom DZIF.

Laut WHO ist die Impfung die kosteneffizienteste Methode zur Vermeidung von Krankheiten. Sie verhindert derzeit zwei bis drei Millionen Todesfälle pro Jahr. Allerdings wären weitere 1,5 Millionen Tote vermeidbar, würden sich mehr Menschen impfen lassen.

"Impfmüdigkeit oder -verweigerung war schon lange vor COVID-19 ein Thema und wurde von der WHO als eine der bedeutendsten Bedrohungen für die Gesundheit der Weltbevölkerung in 2019 eingestuft", erzählt Addo. Bei den Masern beispielsweise sei die Zahl der Fälle weltweit um 30 Prozent gestiegen. Die Gründe, weshalb Menschen sich nicht impfen lassen, sind vielschichtig. Die WHO nennt Selbstzufriedenheit, Unannehmlichkeiten beim Zugang zu Impfstoffen und mangelndes Vertrauen als Hauptgründe. "Bei den neuen Impfstoffen kann ich eine gewisse Zurückhaltung nachvollziehen", sagt Addo, "nicht aber beim Masernimpfstoff. Den Impfstoff gibt es seit 1970, der ist so alt wie ich und Schutzwirkung und Sicherheitsprofil sind sehr gut etabliert. Ich finde es beschämend, dass in Deutschland Menschen an Masern sterben."

Marylyn Addo ist Ärztin und Forscherin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Bricht irgendwo auf der Welt ein neues Virus aus, arbeitet sie an einem Impfstoff dagegen.

(Bild: picture alliance/dpa)

Impfstoffe seien Opfer ihres Erfolgs geworden, ist die Forscherin überzeugt. Es erinnere sich niemand mehr daran, dass Frauen bei der Geburt früher regelmäßig an Tetanus gestorben sind. Niemand kenne heute noch jemanden mit Lähmungen durch Polio. Deshalb haben nur noch wenige eine Wertschätzung dafür, was Impfstoffe bedeuten und dass wir wegen der Impfstoffe, die es gebe, in Deutschland so leben können, wie wir leben. COVID-19 zeigt uns gerade wieder ihren besonderen Wert.

Mehr über Impfstoffe

Die ältesten und besten Impfstoffe schützen vor Viren. Den Anfang haben die Pocken gemacht und die Pocken sind auch die bislang größte Impf-Erfolgsgeschichte. Mit dem Pockenimpfstoff konnte die Welt von dem Virus befreit werden – ein bisher einmaliger Erfolg, den die WHO derzeit mit Polio zu wiederholen versucht. Aber die tief hängenden Impfstoff-Früchte sind geerntet. Gegen viele andere Krankheiten will es der Wissenschaft einfach nicht gelingen, einen Impfstoff zu entwickeln: "Wenn man sich ansieht, welche die wichtigsten infektiösen Killer in der Welt sind, kommt man an HIV, Tuberkulose und Malaria nicht vorbei", fasst Addo die Top Drei der am dringendsten benötigten Impfstoffe zusammen. Die "Großen Drei", wie sie in der Infektiologie gerne genannt werden, machen auch gleich klar, wie komplex das Geschäft mit den Krankheitserregern ist: HIV ist ein Virus, Malaria wird von einem Parasiten verursacht und Tuberkulose ist eine bakterielle Infektion. Sie sind untereinander nicht vergleichbar.

Zwar gibt es für diese Krankheiten inzwischen gute Behandlungen. Aber das Privileg, eine HIV-Therapie zu erhalten, erfolgreich gegen Malaria behandelt zu werden oder wirksame Antibiotika gegen eine ausgebrochene Tuberkulose zu bekommen, ist vor allem den Bewohnern wohlhabender Länder vorbehalten. Denn diese Behandlungen erfordern nicht nur eine intakte medizinische Infrastruktur, sondern auch viel Geld für die Medikamente. Und eine erfolgreiche Behandlung heißt bei HIV und Tuberkulose nicht Eliminierung des Krankheitserregers, sondern nur, dass der Ausbruch verhindert wird. Und bei Malaria bedeutet es nicht, dass die Betroffenen vor erneuter Infektion geschützt sind.