ESA-Weltraumteleskop Euclid: "Wir werden 60 Millionen Galaxien bestimmen"

Am Wochenende soll Euclid starten. Im Interview spricht Peter Schneider von der Uni Bonn über das ESA-Weltraumteleskop und dessen große Ziele.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
Euclid vor dem Sternenhimmel

Künstlerische Darstellung von Euclid

(Bild: ESA)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Peter Michael Schneider
Inhaltsverzeichnis

Am frühen Samstagabend soll das ESA-Weltraumteleskop Euclid an Bord einer Falcon 9 starten. Im Interview mit heise online erklärt der Astrophysiker Peter Schneider von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, was das Instrument so besonders macht.

Was soll das neue Weltraumteleskop Euclid machen?

Euclid ist eine Kosmologie-Mission. Es geht hauptsächlich darum, die Eigenschaften der Dunklen Materie und der Dunklen Energie zu untersuchen. Zu diesem Hauptaspekt kommt dazu, dass Euclid einen Datensatz abliefern wird, der die nächsten Jahrzehnte für die Astronomie eine unglaubliche Ressource darstellt, nämlich eine tiefe Himmelsdurchmusterung bei vier Wellenlängen mit hoher Winkelauflösung. Dieses "Nebenprodukt" der Mission ist langfristig vielleicht sogar noch wertvoller als das eigentliche Ziel der Mission.

Das Teleskop soll dafür ein 3D-Modell des Universums aufzeichnen. Wie macht es das?

Das 3D-Modell wird aufgezeichnet, indem wir die Rotverschiebung von Galaxien spektroskopisch vermessen.

Die meisten Punkte des Himmels sind leer. Aber an Orten, an denen sich eine Galaxie befindet, wird das Licht spektral zerteilt. So können wir für ungefähr 30 bis 60 Millionen Galaxien die Rotverschiebungen bestimmen, und damit ihre Entfernung. Aus diesen Daten versuchen wir die dreidimensionale Galaxienverteilung des Universums darzustellen.

Euclid hat ein 1,2 Meter-Teleskop. Ist das groß oder klein?

Wenn es auf der Erde stehen würde, dann würde ein professioneller Astronom das wahrscheinlich nicht anrühren. Aber im Weltall ist es super.

Warum sind nur auf einer Seite des Teleskops Solarpanelen angebracht?

Es ist immer nur eine Seite der Sonne zugewandt, damit die Sonde Strom bekommt. Außerdem schützt es die Instrumente vor der Sonne. Die Detektoren müssen kalt sein, auch weil wir im Infraroten arbeiten. Die Sonde ist passiv gekühlt, hat also keinen "Kühlschrank" an Bord. Deswegen muss das Teleskop von Euclid immer innerhalb von drei bis fünf Grad senkrecht zur Sonne stehen.

Was kann Euclid, was andere Teleskope nicht können, beispielsweise das James Webb? Das untersucht auch im Infrarot-Bereich, und auch am L2.

Euclid ist ein Survey-Teleskop, also eine Mission zur Himmelsdurchmusterung. Um ein Drittel des Himmels aufzunehmen, braucht es ein sehr großes Gesichtsfeld. Das Gesichtsfeld in der Fokalebene von Euclid beträgt ein halbes Quadratgrad, etwa 40 mal 40 Bogenminuten, das ist gut das Doppelte der Vollmondscheibe. Das ist riesig für ein Weltraumteleskop. Der größte Detektor von Hubble war im Infraroten gerade mal 2 mal 2 Bogenminuten. Das heißt, mit Hubble hätten Sie keinen Survey machen können. Der größte Survey, den Hubble von der Fläche her gemacht hat, war der Kosmos-Survey. Der war zwei Quadratgrad groß, während Euclid 15.000 Quadratgrad aufnehmen wird

Und was ist der Unterschied zu Plato, ein Teleskop, das auch einen Survey machen wird, allerdings für Exoplaneten?

Plato schaut über eine lange Zeit in bestimmte Richtungen und beobachtet, ob Sterne ihre Helligkeit verändern. Es spielt also in einer völlig anderen Liga. Plato guckt sich helle Sterne an, das aber sehr genau.

Wie soll Euclid Dunkle Materie erkennen?

Die Instrumente des Teleskops machen aus kosmologischer Sicht zwei Dinge. Zum einen betrachtet es den schwachen Gravitationslinseneffekt. Wir schauen uns dabei an, wie die Formen sehr weit entfernter Galaxien aussehen, die durch gravitative Lichtablenkung beeinflusst werden. Aus der Statistik der Formen dieser Hintergrundgalaxien werden wir die Materieverteilung im Universum und die Expansionsgeschichte im Universum erschließen. Die zweite Methode ist die Korrelation von Galaxien. Da schauen wir, wie Galaxien sich quasi untereinander zusammenklumpen. Da gibt es eine besondere Eigenschaft, die baryonischen, akustischen Oszillationen, die wir in der kosmischen Hintergrundstrahlung sehen. Diese Oszillationen sind damals eingefroren, und daher auch im heutigen Universum noch vorhanden. Sie können wir bei verschiedenen Rotverschiebungen vermessen. Daraus wiederum bestimmen wir die Relation zwischen der kosmischen Entfernung und der Rotverschiebung, die von der Expansionsgeschichte des Universums abhängt. Damit können wir also die Expansionsgeschichte des Universums rekonstruieren.

Sie müssen also sehr viele Galaxien aufnehmen, um mit dem Gravitationslinseneffekt ein Ergebnis zu erzielen?

Ja. Die Anzahl der aufgenommenen Galaxien ergibt sich aus der Tiefe und der Himmelsfläche. Wir müssen also viel Himmelsfläche fotografieren, um eine gute Statistik zu bekommen. Die Tiefe brauchen wir, damit die Galaxien die notwendige Entfernung haben. Denn je weiter die Galaxien entfernt sind, umso schwächer scheinen sie natürlich im Mittel. Deswegen gehen wir bis zu einer Grenzhelligkeit von ungefähr 24,5 Magnituden – das ist etwa 100 Millionen Mal schwächer als die schwächsten Sterne, die man mit bloßem Auge erkennen kann! - und schauen uns das beste Drittel des Himmels an.

Und was ist das beste Drittel?

Das ist der Teil des Himmels, der möglichst weit weg ist von der galaktischen Scheibe. Die helle Scheibe der Milchstraße ist für die Kosmologie nur Vordergrund, die stört nur. Wir vermeiden ebenfalls die Ekliptik, also die Scheibenebene des Sonnensystems, in der sich die Planeten befinden.