Grüner Wasserstoff in der Energiewende: Fokussierter Einsatz unverzichtbar

Seite 2: Theoretisch vielfältige Einsatzmöglichkeiten

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Grundsätzlich ist die Nutzung von grünem Wasserstoff oder auf ihm basierenden Syntheseprodukten in praktisch allen Anwendungsbereichen denkbar, in denen gegenwärtig fossile Energieträger eingesetzt werden. In diversen Studien zur künftigen Entwicklung des Energiesystems spielen Wasserstoff und E-Fuels demnach auch eine erhebliche Rolle, wobei es große Unterschiede zwischen verschiedenen Szenarien gibt. Einer aktuellen, vom Wasserstoffrat beauftragten Metastudie zufolge geht nur eine einzige Studie im Jahr 2050 von einem Wasserstoffbedarf deutlich über 300 TWh aus. Gemeinsam mit dem Bedarf an wasserstoffbasierten Syntheseprodukten steigt dieser Wert auf 400 bis 800 TWh an. Der tatsächliche Wasserstoffbedarf könnte allerdings noch höher liegen, da nicht alle Studien von dem Ziel einer vollständigen Treibhausgasneutralität in Deutschland und der EU bis 2050 ausgehen. Stattdessen werden teilweise nur Emissionsreduktionen von 95 Prozent in Deutschland sowie 90 Prozent in der EU berücksichtigt. Zudem werden der internationale Luft- und Schiffsverkehr sowie die stoffliche Nutzung von Wasserstoff in der Stahl- und Chemieindustrie in den Studien teilweise nicht oder nur unvollständig abgebildet.

Nachfrage nach Wasserstoff und PtX-Syntheseprodukten in verschiedenen aktuellen Energieszenarien. Die Nachfrage im Jahr 2030 ist noch gering und kommt überwiegend aus der Industrie. Bis 2050 steigt sie stark an, wobei sich die sektoralen Anteile in den Studien stark unterscheiden. Dabei spielen PtX-Produkte teils eine größere Rolle als Wasserstoff.

(Bild: Wietschel, M. et al. (2021): Metastudie Wasserstoff – Auswertung von Energiesystemstudien. Studie im Auftrag des Nationalen Wasserstoffrats. Karlsruhe, Freiburg, Cottbus: Fraunhofer ISI, Fraunhofer ISE, Fraunhofer IEG (Hrsg.). )

Ein viel diskutierter Einsatzbereich, der auch im Fokus dieser Artikelreihe steht, ist der Verkehrssektor mit dem Straßen-, Bahn-, Schiffs- und Flugverkehr. Auch für den Raumwärmebereich wurde vorgeschlagen den vorherrschenden Energieträger Erdgas durch Wasserstoff oder E-Fuels zu ersetzen. In diversen Industrieprozessen kann Wasserstoff als Energieträger eingesetzt werden, in einigen ist auch die stoffliche Nutzung von Wasserstoff bzw. synthetischen Kohlenwasserstoffen möglich. Im Fokus stehen hier unter anderem die Produktion von Eisen und Stahl, die Zementherstellung sowie die chemische Industrie.

Im Stromsektor erscheint Wasserstoff derzeit als aussichtsreiche Option für die Realisierung von Langfrist-Stromspeichern. Diese werden in Szenarien mit steigenden Anteilen fluktuierender erneuerbarer Energien zunehmend erforderlich, um saisonale Schwankungen von Windkraft und Solarenergie mit der Stromnachfrage in Einklang zu bringen. Die Rückverstromung von Wasserstoff dürfte insbesondere erforderlich werden, um seltene Perioden mit einer längeren Nicht-Verfügbarkeit von Wind- und Solarenergie auszugleichen.

In vielen Anwendungsbereichen gibt es direkt elektrifizierbare Alternativen zu Wasserstoff und E-Fuels, die grundsätzlich energieeffizienter sind. Dazu gehören beispielsweise im Straßenverkehr die Batterie-elektrische Mobilität und im Raumwärmebereich die Nutzung von Wärmepumpen. Auch für manche industrielle Prozesse mit höherem Temperaturniveau können Wärmepumpen genutzt werden. Wasserstoff-Anwendungen sind im Vergleich dazu meist weniger energieeffizient, da sowohl bei der Elektrolyse als auch bei Transport und Lagerung sowie gegebenenfalls anderen Umwandlungsschritten Energieverluste auftreten.

Eine breite Nutzung von Wasserstoff in allen oben genannten Anwendungsbereichen erscheint in absehbarer Zukunft unrealistisch. Um grünen Wasserstoff im Verkehr, im Raumwärmebereich und in der Industrie in großem Umfang nutzen zu können, sind in entsprechend großem Maßstab Investitionen in Infrastruktur entlang der gesamten Prozesskette erforderlich: beginnend bei der Wasserstofferzeugung, über den Transport und die Speicherung bis hin zu den verschiedenen Endanwendungen. Erforderlich ist auch ein großskaliger Zubau von erneuerbaren Stromerzeugungsanlagen, die den Strom für die Elektrolyse liefern. Auf der Anwendungsseite sind ebenfalls erhebliche Investitionen erforderlich, beispielsweise in Brennstoffzellen-Fahrzeuge und Wasserstoff-basierte Industrieprozesse.

Würden stattdessen nicht grüner Wasserstoff, sondern auf ihm basierende synthetische Kraft- und Brennstoffe genutzt, könnte bestehende Infrastruktur beim Transport und auf der Anwendungsseite teilweise weitergenutzt werden. Die erforderlichen Investitionen in neue Transport- und Speicherinfrastruktur sowie in neue Endanwendungen könnten somit zumindest für eine Übergangszeit deutlich geringer ausfallen. Dafür wäre wegen der schlechteren Energieeffizienz jedoch ein noch stärkerer Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung nötig als bei einer direkten Nutzung von grünem Wasserstoff. Dazu kommen die erforderlichen Anlagen zur Bereitstellung einer klimaneutralen Kohlenstoffquelle, z.B. aus Biomasse oder aus der Luft, sowie zur Synthese der Kraftstoffe.

Zwei Faktoren erscheinen besonders kritisch für die Realisierung einer Klimaschutzstrategie, die auf einer breiten Wasserstoffnutzung in verschiedenen Sektoren beruhen würde. Erstens dürften die kostengünstig realisierbaren Potenziale für die Herstellung grünen Wasserstoffs nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch weltweit kleiner sein als von Manchen erhofft. Ihnen steht zudem eine weltweit sehr stark steigende Nachfrage nach erneuerbarem Strom in praktisch allen Ländern gegenüber. Zweitens benötigt der Aufbau entsprechender großskaliger Infrastrukturen für die Erzeugung, den Transport und die Endanwendung von grünem Wasserstoff viel Zeit und eine funktionierende Koordination der Angebots- und Nachfrageseite während des Markthochlaufs.