In China via Karten-App: Verstecken spielen im digitalen Zeitalter

Smartphone, Karten-App, eine Gruppe und "Katzen" und "Mäuse": Mehr braucht es nicht für den neuen Spielspaß aus China. Unser Autor hat es ausprobiert.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 22 Kommentare lesen
Menschengruppe hat Smartphones in den Händen, während sie bei einem Rapsfeld sind

(Bild: Nopphon_1987/Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Zeyi Yang
Inhaltsverzeichnis

An einem späten Oktoberabend versteckte ich mich im Schatten eines Baumes in einem Park in Hongkong. Ich war in höchster Alarmbereitschaft und beäugte jeden, der auf mich zuging. Ich überprüfte alle paar Sekunden mein Telefon und beobachtete die Standorte von Dutzenden von Menschen, die versuchten, mich aufzuspüren.

Ich war nicht wirklich in Gefahr. Ich spielte ein Versteckspiel mit 40 Fremden in einem sieben Hektar großen Park in der berüchtigten Kowloon Walled City. Es war jedoch kein typisches Versteckspiel, sondern eines für das digitale Zeitalter: Sowohl die Suchenden als auch die Versteckenden jagen sich gegenseitig und weichen einander aus, indem sie ihren Standort in Echtzeit auf einer Karte auf ihren Handys verfolgen.

Das "Katz-und-Maus-Spiel", wie es in China üblicherweise genannt wird, hat sich in diesem Jahr viral verbreitet und zieht jede Woche Tausende von Menschen im ganzen Land zu Veranstaltungen an. Es ist eine unterhaltsame Kombination aus einem Spiel aus der Kindheit, persönlichen Kontakten und der neuesten Technologie zur Standortbestimmung. Als das Spiel im Februar zum ersten Mal auftauchte, gingen Videos in den sozialen Medien viral von Versteckspielern, die auf Bäume kletterten und sich in der Kanalisation versteckten.

Bei jedem Spiel versammeln sich Dutzende von Menschen an einem vorher festgelegten Ort, oft einem großen Stadtpark. Alle treten dann einer angelegten Gruppe auf "Amap", einer chinesischen Google-Maps-Alternative, bei und teilen ihren Live-Standort mit. Von den Teilnehmern werden 90 Prozent als "Mäuse" bezeichnet und haben fünf Minuten Zeit, um wegzurennen und sich zu verstecken. Dann machen sich die übrigen "Katzen" auf die Suche nach den Mäusen, wobei sie von der Standortfreigabe und einem Neonarmband unterstützt werden, das sie von den üblichen Parkbesuchern optisch unterscheidet. Sobald die Mäuse erwischt wurden, wechseln sie das Team und schließen sich den Katzen an, so dass das Spiel für die verbleibenden Mäuse immer schwieriger wird.

Während einer kurzen Reise nach Hongkong im letzten Monat nahm ich an zwei Katz-und-Maus-Spielen in der Stadt teil. Beide Spiele hatten etwa 40 Teilnehmer und dauerten eine Stunde. Der erste Park war größer und weniger bevölkert, was bedeutet, dass er sich hervorragend zum Rennen und Jagen eignete: Der zweite Park war überfüllt und kleiner, was ideal war, um zu versuchen, sich unter die Passanten zu mischen.

Zwar bleibe ich lieber zu Hause und auch körperliche Aktivitäten in der Gruppe sind nicht so mein Ding, dennoch haben die beiden Spiel-Erlebnisse meine Erwartungen weit übertroffen. Die zusätzliche Standortfreigabe hat das Spiel für Kinder in eine interaktivere Version von Pokémon Go verwandelt. Der Versuch, sich während des gesamten Spiels an einem Ort zu verstecken, hat nicht gut geklappt, da die Katzen stets sehen konnten, wo ich war. Ich musste kreativer werden, um einen Fluchtplan zu entwerfen. Ich lernte schnell, dass Täuschung – etwa mein leuchtendes Armband zu verstecken, vorgeben ein nicht beteiligter Jogger zu sein und es zu vermeiden, häufig auf mein Telefon zu schauen – ebenfalls wichtig war, um eine gute Maus zu sein.

Allein die Beobachtung der Standorte aller Spieler in der App war eine intensive Erfahrung. Dutzende von kleinen Avataren trieben sich gleichzeitig im Park herum, wobei die Anzahl der Katzen im Laufe des Spiels die der Mäuse allmählich übertraf. Verzögerungen und Bugs gab es zuhauf, aber das trug zum Spaß und zur Schwierigkeit des Spiels bei. In einem Moment konnte ich mich sicher fühlen, weil ich sah, dass keine Katzen in der Nähe waren, und Sekunden später in Panik geraten, wenn sich eine Katze plötzlich Hunderte von Metern auf mich zubewegte, wahrscheinlich, weil ihre Standortmitteilung verzögert war.

Als Neuling habe ich mich ganz gut geschlagen. In meinem ersten Spiel überlebte ich als Maus bis zu den letzten Minuten, als die meisten anderen schon auf die Katzenseite gewechselt hatten. Bei meinem zweiten Einsatz bin ich mitten im Spiel umgestiegen und habe selbst zwei Mäuse gefangen.

Hong Shizhe, ein 19-jähriger Student, wurde zum "Katzenkönig" des zweiten Spiels gekrönt, nachdem er am Ende elf Mäuse gefangen hatte. "Mir gefällt, dass man sowohl sportlich aktiv sein als auch Spaß haben kann", sagt Shizhe. Er erfuhr zum ersten Mal von dem Spiel durch Videos, die Menschen in chinesischen sozialen Medien teilten, und war seitdem bei mehreren Spielen in Hongkong und auf dem chinesischen Festland. Er erzählte mir, dass das größte Spiel mehr als 140 Teilnehmer hatte. Einmal hat er sogar seinen Hund mit in den Park genommen und das Spiel trotzdem gewonnen.

Sein Erfolgsgeheimnis? Eine Menge Lügen und Politik: "Man kann mit den Mäusen einen Deal machen, damit sie einem helfen, andere kleine Mäuse zu finden. Du kannst auch so tun, als wärst du eine Maus und mit ihnen ins Gespräch kommen."

Die Hälfte der Mitspieler, die Shizhe bei seinen Spielen getroffen hat, sind Studenten, die andere Hälfte junge Berufstätige. Wie Ultimate Frisbee und einige andere soziale Aktivitäten, die früher in China populär wurden, gelten Katz-und-Maus-Spiele als eine gute Möglichkeit für junge Leute neue Freunde zu finden. Bei meinen beiden Spielen in Hongkong hörte ich, wie sich viele Teilnehmer vor dem Spiel unterhielten, von denen viele neu in der Stadt waren und unbedingt neue Leute kennenlernen wollten.