Wie bedeutsam Mikroorganismen für die Biodiversität sind

Die Weltnaturkonferenz fokussiert auf die Artenvielfalt. Die Meeresbiologin Antje Boetius erklärt, wie Mikroorganismen unentwirrbar mit uns verbunden sind.

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(Bild: Kyle Anthony Photography / Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Während in Montréal auf der Weltnaturkonferenz, dem Biodiversitäts-Gipfels COP15, um ein Abkommen zum Schutz der Artenvielfalt bei Tieren und Pflanzen verhandelt wird, ist Antje Boetius die Stimme für die Kleinsten unter ihnen. Die Meeresbiologin ist Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven und Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie. Wer das Artensterben und den Klimawandel bremsen wolle, müsse in seinen Kalkulationen auch die Mikroorganismen berücksichtigen – denn sie reagieren erheblich auf Temperaturänderungen, Dürre und Überflutungen.

Online-Serie: Biodiversität
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(Bild: Miha Creative / Shutterstock.com)

Anlässlich der Weltnaturschutzkonferenz in Kanada vom 7. bis 19. Dezember veröffentlichen wir täglich einen der insgesamt sieben Texte des Heft-Schwerpunktes zur Biodiversität von MIT Technology Review hier frei lesbar (die Ausgabe erschien im Juli 2022). Die Artikel beschäftigen sich mit Lösungsansätzen, was es braucht, um die Biodiversität unserer Erde zu schützen.

Gemeinsam mit 31 anderen Mikrobiologinnen und -biologen aus aller Welt hat sie in der Fachzeitschrift "Nature" appelliert, die zentrale Rolle und globale Bedeutung der Mikroorganismen in der Biologie des Klimawandels nicht zu unterschätzen – und ihre Diversität im Blick zu behalten.

Wenn wir heute von Biodiversität sprechen, ist die stille Übereinkunft, dass es um Insekten, Vögel, Pflanzen oder Wisente geht. Kaum jemand hat die Mikroorganismen im Blick. Geht deren Vielfalt ebenfalls zurück?

Wir können das nicht für das gesamte Mikrobiom sagen. Wir wissen nicht zuletzt seit der Pandemie, dass uns nicht nur eine Bestandsaufnahme von Pflanzen und Tieren fehlt, sondern vor allen Dingen von Mikroorganismen, den Einzellern und ihren mobilen genetischen Elementen. Was wir aber beobachten, ist, dass sich menschengemachtes Verhalten negativ auf die Wildtypen-Vielfalt auswirkt. Der Mechanismus ist ganz einfach: Jede Pflanze und jedes Tier hat ein eigenes Mikrobiom. Und durch das größte Artensterben der Erdgeschichte verlieren wir mit einzigartigen Pflanzen und Tieren auch einzigartige Mikroben.

Sind die Mikroorganismen auf den Tieren und Pflanzen denn bedeutsam, wenn man sich den großen Zusammenhang Biodiversität und Klima ansieht?

Auf jeden Fall. Wir müssen uns das Leben nicht nur als eine Ansammlung einzelner Arten vorstellen. Was die Natur eigentlich vorhält, sind Netzwerke. Und da spielen die Mikroben natürlich eine große Rolle. Manche Arten haben direkte Abhängigkeiten entwickelt, dann ist es gar nicht möglich, dass eine Art ohne die andere vorkommt. Jetzt im Anthropozän bekommen diese Netzwerke Löcher.

Antje Boetius fordert mehr Aufmerksamkeit für das Netzwerk des Lebens und seine kleinsten Protagonisten.

(Bild: Andreas Pein/laif)

Das klingt nach James Lovelock und seiner Gaia-These von der Erde als Gesamtorganismus …

Ich denk mir die Erde nicht als Gesamtorganismus, sondern als einen Gesamtlebensraum. Mir gefällt die Analogie zu einem Raumschiff. Wir sind im Universum auf unserem blauen Raumschiff unterwegs und alles Leben gehört zur Besatzung des Raumschiffs.

Dieser Text stammt aus: Technology Review 5/2022

(Bild: 

Technology Review 5/2022 im heise shop

)

Was braucht es, um die Biodiversität auf der Erde zu schützen? Und warum ist das so wichtig? Die neue Ausgabe der MIT Technology Review gibt Antworten. Das Heft ist ab dem 7.7. im Handel und ab dem 6.7. bequem im heise shop bestellbar. Highlights aus dem Heft:

In welchen Bereichen verschwinden besonders viele Arten und welche Auswirkungen hat das?

Ein leuchtendes Beispiel, wie es so richtig schiefgehen kann mit dem Verhältnis von Mikroben zu ihren Wirten, sind die tropischen Korallenriffe. Durch die aktuelle Hitzewelle in Australien mit über 50 Grad Celsius wird das Wasser viel zu warm. Deshalb verlassen die Symbionten, das sind Dinoflagellaten, die Korallen. Davon bleichen die Korallen aus und sterben ab.

Das andere Beispiel ist das arktische Meereis. Es schwindet mit 13 Prozent pro Dekade und mit dem Meereis verschwindet noch mehr als nur das Eis. Das mehrjährige Meereis beinhaltet ein einzigartiges Mikrobiom. Zudem nutzen viele Lebewesen das Meereis als Versteck oder zum Ausruhen, vor allem auch arktische Meeressäuger. Dadurch, dass wir dieses alte Meereis in der Arktis fast vollständig verloren haben, müssen wir dort einen enormen Verlust von Vielfalt hinnehmen.