Missing Link: Internet für alle – eine Revolution von unten (Vera Heinau)

Neben der FU Berlin sollten auch private Anwender in den Genuss der neuen Kommunikationsmöglichkeiten kommen, fand Vera Heinau. Die Netz-Pionierin im Interview.

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(Bild: Michael Traitov/Shutterstock.com)

Lesezeit: 37 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Ganz allmählich verabschieden sich diejenigen, die Deutschland ab den 80er-Jahren ins Internet gebracht haben. Eine Art technischer Graswurzelbewegung waren die "Mailbox"-Betreiber, über die auch der normale Mensch seinen ersten Internetzugang bekommen konnte. Über das Glück der ersten Anbindungen berichtet Vera Heinau in unserer Serie zu deutschen Internetpionieren.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Vera Heinau

Weibliche Pioniere gab es wenige im frühen Netz. Eine ist Vera Heinau, die Ende der 80er-Jahre fand, auch die Freie Universität müsste einen Zugang an das neue Netz bekommen. Zusammen mit ihrem Kommilitonen Heiko Schlichting setzte sie nicht nur das durch, sondern engagierte sich auch bei der Gründung des Individual Network (IN), eines bundesweiten Dachverbands kleiner, privater Anbieter von Mail-, News- und später Internetzugängen. Denn neben den Kommilitonen sollten auch ganz normale Menschen in den Genuss der neuen Kommunikationsmöglichkeiten kommen. Im Interview erzählt Vera Heinau von der Rolle Berlins als Underdog in der Netzpionierszene, seine besonders preiswerten Leitungen und dem Wettbewerb zwischen IN und dem Konkurrenten Subnetz.

heise online: Frau Vera Heinau, Sie haben Chemie studiert, nicht etwa Informatik….

Vera Heinau: Ich habe Chemie und Mathematik an der Freien Universität (FU) Berlin studiert, auf Lehramt. Aber nach dem ersten Staatsexamen bin ich abgedriftet in Richtung IT und arbeite bis heute am Rechenzentrum der FU.

Wie kommt man von Chemie auf UUCP und Internet?

Die Chemie hat zu dem Zeitpunkt schon viel mit Rechnern gearbeitet. Man hat Experimente ausgewertet. Natürlich war das noch keine vernetzte Kommunikation. Dann habe ich einen Kommilitonen kennengelernt, der sich im privaten Bereich mit Mailbox-Netzen beschäftigt hat, in die man sich mit Modem eingewählte hatte. Er war ziemlich erstaunt, dass es das an der Universität nicht gab. Ich fand das hochgradig spannend. Also haben wir uns zu zweit bemüht, das im Fachbereich zu etablieren. Unser Chemieprofessor war glücklicherweise auch fasziniert von der neuen Technologie, anders als viele seiner Kollegen, für die das noch kein Thema war. Zwar hatte er keine Ahnung von der Technik. Aber er hat uns sehr unterstützt. Es war eine Zeit, in der man auch als kleiner Studierender innerhalb der Uni noch etwas auf die Beine stellen konnte.

Der Kommilitone war Heiko Schlichting, oder?

Genau. Wir haben wirklich viel zusammen gemacht. Er hat sich meist auf die technische Arbeit konzentriert. Anträge schreiben und überhaupt Bürokratie waren nicht so sein Ding. Ich habe zwar auch programmiert, habe dann aber eben ein bisschen mehr administrative Dinge übernommen. Es war eine gute Zusammenarbeit – und wir sind ja bis heute Kollegen geblieben.

Sie sind beide noch am Rechenzentrum der FU, das noch den alten Namen Zentraleinrichtung für Datenverarbeitung, ZEDATträgt. Irgendwann in den 90ern schlugen ja die Wogen auf einigen Mailinglisten hoch, weil Nutzer befürchteten, Heiko Schlichting habe seinen letzten Arbeitstag…

(lacht). Es war, wie es an Universitäten so ist. Heikos befristeter Vertrag lief aus. Wir hatten uns intern überlegt, wie wir eine Teilfinanzierung auf die Beine stellten. Dass das publik wurde, und so viele FU Beschäftigte und Studierende nachhakten, war am Ende positiv. Der Uni-Verwaltung wurde dadurch vor Augen geführt, dass es einen echten Bedarf für die Dienstleistung Mail und Internet gab, und Heiko bekam einen unbefristeten Vertrag, so wie ich später auch.

Bedurfte es bei Ihnen auch noch mal eines öffentlichen Aufschreis?

Nein. Es waren zwei weitere Jahre ins Land gegangen, das Internet war schon wieder ein bisschen mehr etabliert und man wollte auch auf die Erfahrungen, die wir mit unserem Internet-Projekt gemacht hatten, nicht mehr verzichten, von denen auch das Rechenzentrum der Universität profitierte. Zudem war klar, dass man die Versorgung mit Internet nicht mehr nur auf die Wissenschaftler beschränken konnte, die mal über historische Datenleitungen wie DatexP miteinander und mit Kollegen im Ausland kommunizieren sollten. Inzwischen war anerkannt, dass man auch die Studierenden versorgen musste, erst mit E-Mail und später auch mit anderen Diensten. Das bedeutete zugleich, dass man statt 3000 Wissenschaftler plötzliche runde 40.000 Studierende als Teilnehmer hatte. Das war natürlich eine andere Nummer und es wurden Leute gebraucht.