Missing Link: Was es mit der radikalen Theorie zur Dunklen Energie auf sich hat

Vor einigen Wochen wurde ein neuer Erklärungsansatz für die sogenannte Dunkle Energie vorgelegt. Was es damit auf sich hat.

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Das Schwarze Loch im Zentrum der elliptischen Riesengalaxie Messier 87 in einer neuen KI-unterstützten Bearbeitung von L. Medeiros (Institute for Advanced Study), D. Psaltis (Georgia Tech), T. Lauer (NSF’s NOIRLab), and F. Ozel (Georgia Tech).

(Bild: NORLab, CC BY 4.0)

Lesezeit: 47 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Im Februar 2023 veröffentlichten Duncan Farrah, Sara Petty, Kevin Croker und eine Reihe weiterer Autorinnen und Autoren zwei Aufsätze, in denen sie behaupten, die Quelle der Dunklen Energie beobachtungstechnisch dingfest gemacht zu haben. Das ist eine sehr steile These, die für einigen Medienrummel sorgte: "Erklären Schwarze Löcher die Dunkle Energie?" "Radikale Theorie schlägt Schwarze Löcher als die Quelle der mysteriösen Dunklen Energie vor." Was hat es mit ihren Beobachtungen auf sich, was ist der Hintergrund und was ist von ihrer Schlussfolgerung zu halten? Dies möchte ich im Folgenden beleuchten und dabei wie gewohnt etwas tiefer gehen.

Worum geht es eigentlich? Im Rahmen seiner 1919 veröffentlichten Allgemeinen Relativitätstheorie beschrieb Albert Einstein ein neues Modell für die Gravitation, welches das bis dahin verwendete Newtonsche Gravitationsgesetz nur noch als Spezialfall enthält. Im Kern besagen die Einstein’schen Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie, dass Masse die Geometrie der Raumzeit verändert (also der drei Raumkoordinaten plus der Zeitkoordinate). Die scheinbar krumme Bahn eines Objekts im Schwerefeld ist demnach nichts anderes als der kürzeste Weg zwischen zwei Raum-Zeit-Punkten in der gekrümmten Raumzeit-Geometrie. Solche kürzesten Linien nennt man in der Geometrie "Geodäten".

Die Masse beeinflusst sowohl die Raum- als auch die Zeitkoordinaten: Licht wird im Schwerefeld einer Masse abgelenkt und die Zeit läuft tiefer im Schwerefeld langsamer als weiter entfernt von der Masse (tatsächlich vergeht auf einer Geodäte zwischen zwei Raumzeitpunkten die wenigste Zeit aus Sicht eines Objekts auf dieser Bahn). Die korrekte Vorhersage des Betrags der Lichtablenkung von Sternenlicht bei der durch Sir Arthur Eddington beobachteten Sonnenfinsternis vom 29. Mai 1919 sowie der Drehung der Hauptachse der Bahn des Merkurs bei seinem Umlauf um die Sonne verhalfen der Allgemeinen Relativitätstheorie zu einem fulminanten Durchbruch und erbrachten Einstein seinen Wissenschafts-Popstar-Status, der ihn selbst überlebt hat.

Da das Universum mit im wechselseitigen Schwerefeld frei fallenden Massen bestehend aus Sternen und Gaswolken (und vermutlich noch erheblich mehr in Form unsichtbarer Dunkler Materie) angefüllt ist, wird auch die Entwicklung des Universums auf größten Skalen durch die Gesetze der Allgemeinen Relativitätstheorie bestimmt. Um sie zu ergründen, muss man das Universum durch ein vereinfachtes Modell ersetzen, denn der Ansatz, die Einstein’schen Feldgleichungen direkt auf die enthaltenen Sterne und Galaxien anzusetzen, wäre vom Rechenaufwand her völlig hoffnungslos.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Das vereinfachte Modell geht von einer gleichmäßigen Verteilung der Masse im Universum aus, was auf allergrößten Skalen annähernd erfüllt ist. Zwar ist die Materie im Kleindimensionalen auf Planeten, Sterne und aus ihnen bestehenden Galaxien komprimiert, welche ihrerseits ein Geflecht aus Galaxienhaufen bilden, die riesige Leerräume (Voids) umgarnen. Aber dieses "kosmische Netz" ist über Abmessungen von Milliarden Lichtjahren recht gleichförmig gesponnen, ein wenig wie ein poröser Schwamm. Das Modell vernachlässigt nun die Löcher im Schwamm und ersetzt alle Materie durch ein gedachtes Gas, das den gesamten Raum gleichmäßig erfüllt. Wie ein solches Gas die Raumzeit krümmt, wird durch die Friedmann-Lemaître-Robertson-Walker-Metrik (FLRW-Metrik) beschrieben, welche die Lösung der Einstein’schen Feldgleichungen für genau diese Annahme ist.

Die FLRW-Metrik sagt für ein allein mit Masse angefülltes Universum voraus, dass es nicht stillstehen kann. Es muss kollabieren – es sei denn, dass es zu Beginn expandiert, also die enthaltene Masse auseinanderstrebt und dabei die Raumzeit mit sich zieht. Für ein expandierendes Universum gibt es drei mögliche Entwicklungen:

  • Oberhalb einer kritischen Dichte verlangsamt sich die Expansion immer weiter, kommt irgendwann zum Stillstand, und kehrt sich zum Kollaps um, so wie ein hoch geworfener Ball einen höchsten Punkt erreicht und dann wieder herunterfällt.
  • Unterhalb der kritischen Dichte wird die Expansion zwar ebenfalls langsamer, kommt aber nie zum Stillstand, da sich die Dichte im Universum so rasch verringert, dass die wechselseitige Gravitation schneller abnimmt, als sie die Expansion zum Stillstand bringen könnte. Dies entspricht einer interplanetaren Raumsonde, die nach dem Einschuss auf ihre Bahn die Erde mit mehr als deren Fluchtgeschwindigkeit hinter sich lässt und dabei zwar langsamer wird, aber dem Schwerefeld der Erde schließlich entkommt.
  • Und schließlich bei genau der kritischen Dichte konvergiert die Expansion gegen die Geschwindigkeit 0, die aber erst im Unendlichen erreicht wird, wie eine Raumsonde, die die Erde mit exakt Fluchtgeschwindigkeit verlässt und im Unendlichen zum Stillstand käme.

Welche der drei Möglichkeiten in unserem Universum vorliegt, wollten zwei Gruppen von Astronomen in den 1990ern mithilfe des neuen Hubble-Teleskops herausfinden. In jedem der drei Fälle muss sich die Expansion verlangsamen und das Maß der Verlangsamung erlaubt, zwischen ihnen zu unterscheiden. Außerdem lässt sich bei Kenntnis der Expansionsentwicklung zurückrechnen, wann das gesamte Universum in einem Punkt vereint gewesen sein muss und somit, wie lange der Urknall zurückliegt.

Um die Expansionsgeschichte des Universums zu messen, blickten die beiden Teams in die Ferne und damit auch in die Vergangenheit und konnten somit direkt beobachten, wie schnell das Universum zu vergangenen Zeiten expandierte. Dazu mussten sie für zahlreiche Galaxien deren Entfernung und die Rotverschiebung ihres Lichts bestimmen, die ein Maß dafür ist, um wie viel das Universum seit der Aussendung des Lichts gewachsen ist. Denn die Expansion des Universums zieht die Wellenlänge des Lichts auseinander, während es sich durch den anwachsenden Raum bewegt. Langwelliges Licht ist rot, daher spricht man von der Rotverschiebung des Lichts.

Die Rotverschiebung ist leicht zu messen: Fast alle Sterne enthalten ein charakteristisches Muster kräftiger dunkler Spektrallinien des Wasserstoffs in ihrem Lichtspektrum, deren intrinsische Wellenlänge bekannt ist. Findet man sie zu größeren Wellenlängen hin versetzt, so sind sie rotverschoben. Die Rotverschiebung z misst die relative Vergrößerung der ursprünglichen Wellenlänge in Einheiten der Wellenlänge selbst: z=1 bedeutet, dass die Wellenlänge um 100 % größer geworden ist, also um den Faktor 2. z=2 entsprechen 200 % Zunahme oder einem Faktor 3 etc. Findet man eine Galaxie bei z=1, weiß man, dass das Universum zur Zeit der Aussendung ihres Lichts nur halb so groß war wie heute, denn die Wellenlänge hat sich auf dem Weg zu uns verdoppelt. Um die Größe des Universums relativ zu heute anzugeben, verwenden die Kosmologen den Skalenfaktor a, den wir später noch brauchen werden. Bei z=1 war der Skalenfaktor ½, das Universum war halb so groß wie heute. Es gilt die einfache Beziehung a=1/(z+1).

Die Rotverschiebung und der aus ihr folgende Skalenfaktor sagen uns also, um wie viel das Universum gewachsen ist, seit das Licht einer fernen Galaxie auf den Weg zu uns ging. Aber wie lange hat das gedauert? Dazu müssen wir die Entfernung der Galaxie kennen, denn daraus folgt, wie lange das Licht unterwegs war. Die Entfernung von Galaxien in Milliarden Lichtjahren Entfernung lässt sich am genauesten anhand von Supernovae eines bestimmten Typs bestimmen, der als Ia bezeichnet wird. Typ-Ia-Supernovae zeichnen sich (wie alle Typ-I-Supernovae) durch das Fehlen von Wasserstofflinien im Spektrum aus: hier explodiert ein Stern, der kaum Wasserstoff enthält. Außerdem hat der Verlauf ihrer Lichtkurve eine charakteristische Form, die von radioaktivem Nickel und Kobalt herrührt, welche die Explosionswolke aufheizen und mit charakteristischen Halbwertszeiten zerfallen – daran kann man sie erkennen.

Als zugrunde liegende Prozesse werden vor allem zwei Szenarien angenommen: Entweder zapft ein Weißer Zwerg, also ein alter Stern vom Sonnentyp, der nur noch aus dem wasserstoffarmen Kern seines Vorläufers besteht, Gas von einem nahen Begleitstern ab, bei dem es sich um einen zum Roten Riesen angeschwollenen Stern handelt; wenn sich genug Gas auf dem Weißen Zwerg angesammelt hat, überschreitet er irgendwann die nach dem indischen Astronomen Chandrasekhar benannte Masse von 1,4 Sonnenmassen, bei der das Eigengewicht des Sterns so groß wird, dass er zu einem Neutronenstern kollabieren muss, und genau dies zündet die Supernova.

Ein alternativ vorgeschlagener Prozess ist die Kollision zweier Weißer Zwerge, etwa als enge Doppelsternpartner, die aufeinander zu driften, bis einer davon zerbricht und sein Gas auf den anderen hinunterströmt, was diesen ebenfalls die Chandrasekhar-Grenze überschreiten lässt. Da die Masse zur Zeit der Explosion in beiden Fällen stets gleich groß ist, haben diese Supernovae alle die gleiche Leuchtkraft, so dass sie sich als Standardkerzen zur Entfernungsbestimmung eignen. Und die sind so hell wie eine ganze Galaxie, weshalb man sie Milliarden Lichtjahre weit sehen kann. Aus der bekannten Leuchtkraft und der beobachteten Helligkeit folgt die Entfernung, denn je weiter entfernt eine Lichtquelle ist, desto dunkler erscheint sie.

So vermaßen das Supernova Cosmology Project um Saul Perlmutter und das High z Supernova Search Project von Adam Riess Anfang der 1990er einige Dutzend Supernovae und bestimmten ihre Entfernung und Rotverschiebung, um daraus die Verlangsamung der Urknallexpansion zu bestimmen. Verblüffenderweise fanden die beiden Gruppen unabhängig voneinander, dass sich die Expansion mitnichten verlangsamte, sondern im Gegenteil beschleunigte! Wie war das möglich? Die Einstein’schen Feldgleichungen sehen auch diesen Fall vor. Einstein selbst hatte diese Hintertüre in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie gefunden, um das nach damaliger Auffassung (die auch Einstein teilte) statische Universum vor dem Kollaps zu retten. Durch eine Konstante, die dem Vakuum eine abstoßende Gravitation zuordnete, konnte er die Eigengravitation der im Universum enthaltenen Masse genau austarieren, sodass "sein" Universum nicht kollabierte. Als Georges Lemaître und Edwin Hubble dann die Expansion des Universums nachwiesen, verwarf Einstein umgehend seine "kosmologische Konstante" wieder, die er später als seine "größte Eselei" bezeichnete – hätte er doch die Raumexpansion vorhersagen können.

Die Originalgraphik von Perlmutter et al., welche die Entdeckung der Dunklen Energie dokumentiert. Oben: die beobachtete Helligkeit von Supernovae über der Rotverschiebung z (z=1 entspricht einer Lichtlaufzeit-Entfernung von ca. 7,8 Milliarden Lichtjahren). Die roten Kreise sind die neuen Datenpunkte von ca. 40 Supernovae des Perlmutter-Teams (nicht ausgefüllte Kreise wurden in den Analysen des Teams ausgeklammert). Die approximierenden Linien geben verschiedene Kombinationen aus Materiedichte ΩM und kosmologischer Konstante ΩΛ an (schwarz: ohne kosmologische Konstante).
Da im oberen Bild nicht gut zu erkennen ist, welche Kurve am besten approximiert, wurde die mathematisch beste Annäherung im mittleren Bild von den Messwerten subtrahiert, so dass hier nur die Abweichungen von dieser Kurve dargestellt sind. Es ist die Kurve mit einer Materiedichte von 0,28 und einer kosmologischen Konstante von 0,72.
Im unteren Bild ist die Streuung der Helligkeiten in Standardabweichungen der Grundgesamtheit dargestellt.

(Bild: Perlmutter, Aldering et al..)