Missing Link: Wie Russen einmal erfolgreich Cyberwar führten

Seite 2: Umfragen zeigen die Auswirkungen

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Das dieser Aspekt mit ziemlicher Sicherheit Einfluss auf das Wahlergebnis hatte, weist Jamieson anhand von Umfragen nach. Wenn man nicht den gesamten Kontext zitiert, können zwei Passagen aus den Reden den Eindruck erwecken, Clinton habe ein "öffentliches" und ein "privates Gesicht". Genau darauf wurde sie auch in den beiden Wahlkampfdebatten mit Trump angesprochen. Ein direkt zu den russischen Angreifern zurückzführender Narrativ gelangte also in die wichtigsten Veranstaltungen des Wahlkampfs, ohne dass die Urheber zur Einordnung genannt wurden. Tatsächlich zeigten Umfragen, dass Zuschauer der Debatten Clinton dann öfter dieser Heuchlerei unterstellten, als Nichtzuschauer.

Nicht zu vergessen, aber deutlich schwerer zu untersuchen ist außerdem die Beobachtung, dass die von Russland eingesetzten Internettrolle genau diesen Narrativ in nicht enden wollender Weise versuchten, in die öffentliche Debatte einzustreuen. Spätestens als das von Medien ohne die nötige Einordnung aufgegriffen wurde, hatten sie ein wichtiges Zwischenziel erreicht. Nicht unterschlagen werden darf dabei aber, dass Clinton und ihr Team sich mindestens zum Teil selbst in dieser Art angreifbar gemacht hatten. Es ist keineswegs ausgemacht, dass andere Kandidaten in vergleichbarer Weise hätten attackiert werden können. Gleichzeitig war auch Trump ein idealer Kandidat, vor allem, weil durch seine Wahl die USA innenpolitisch geschwächt wurden.

Angesichts des äußerst knappen Wahlergebnisses in den US-Bundesstaaten Wisconsin, Pennsylvania und Michigan, die alle mit weniger als 0,75 Prozent an Trump gingen, reichen in den Augen der Wahlexpertin schon diese Tatsachen, um einen entscheidenden Anteil der russischen Hacker und Trolle zumindest für wahrscheinlich zu halten. Weil der Abstand aber so gering ist, waren andere Begebenheiten möglicherweise ebenfalls Zünglein an der Waage – etwa Clintons Erkrankung. Die wurden aber nicht aus dem Ausland gesteuert und müssten deshalb in einem anderen Kontext untersucht werden.

In den entscheidenden Tagen des Wahlkampfs, als die Wähler vielerorts bereits an die Urnen gingen, kam jedoch eine Begebenheit hinzu, die ebenfalls direkt auf die Angriffen zurückgeführt werden kann. Verschiedene Entwicklungen im Wahljahr hatten den damaligen FBI-Chef Comey dazu bewogen, am 28. Oktober, also nur 11 Tage vor der Wahl, zu verkünden, dass die Ermittlungen zu Clintons E-Mails erneut aufgenommen werden würde.

Wie Comey später darlegte, wollte er angesichts eines erwarteten Wahlsiegs von Clinton vor allem Unterstellungen zuvorkommen, er sei nicht unabhängig gewesen. Von der Untersuchung erwartete man sich wohl keine neuen Erkenntnisse. Äußerungen Comeys legen weiterhin nahe, dass bei seiner Entscheidung Berichte über ein kompromittierendes Dokument hineinspielten, das geleakt werden könnte. Das Dokument gab es nicht, aber die Taktik der russischen Angreifer hatte offenbar einmal mehr Wirkung gezeigt.

Der Schritt des FBI-Chefs signalisierte den US-Amerikanern, dass an den Unterstellungen in Clintons Richtung etwas dran sein könnte. Und auch wenn die neuerliche Untersuchung noch rechtzeitig vorm Wahltag ergebnislos wieder eingestellt wurde, sprechen Erfahrungen und frühere Analysen dafür, dass sie Einfluss auf die Wahlentscheidung gehabt haben dürfte. Wichtig ist dabei auch, dass die US-Wähler 2016 mit beiden Kandidaten der großen Parteien ungewöhnlich unzufrieden waren und sich außergewöhnlich viele erst sehr spät entschieden. Umfragen zeigen, dass Trump unter diesen Spätentscheidern überraschend stark punkten konnte.

Natürlich werden in jedem Wahlkampf negative Details über Kandidaten öffentlich, die durchaus auch gezielt publiziert werden, um ihre Chancen zu verringern. Erfahrungsgemäß gleicht sich das aber ebenso aus, wie die immensen Wahlwerbemaschinen, erklärt Jamieson. 2016 war das jedoch anders. Auch weil negative Andeutungen über Clinton breit diskutiert und von etablierten Medien ausführlich verbreitet wurden, blieb Reportern weniger Zeit, um Ähnliches über Trump an die Oberfläche zu zerren. Dass es da genug gab, wissen wir inzwischen.

Und wenn es dann doch einmal der Fall war – wie bei jenem Tonbandmitschnitt von Trumps frauenfeindlichen Kommentaren vor einer Fernsehsendung – dann übertönte das gleich die ungewöhnlich deutliche Warnung der US-Geheimdienste vor Russlands Aktivitäten (am 7. Oktober genau 65 Minuten vorher veröffentlicht) und wurde selbst gleich vom sogenannten E-Mail-Skandal überdeckt (weniger als 30 Minuten später veröffentlicht). Waren die US-Geheimdienste davon ausgegangen, die beherrschende Debatte fürs Wochenende anstoßen zu können, war die Warnung vor Russland schon am Abend kein Thema mehr.

Für Jamieson ist klar, dass man mit hinreichender Sicherheit sagen kann, dass die russischen Agenten für entscheidende Prozentpunkte zugunsten von Donald Trump verantwortlich waren. Auch ohne "steinharte" Beweise gebe es genügend Informationen und Forschungen, die dieses Urteil unterstützen. Da jedoch nach aktuellem Wissensstand keine Wahlmaschinen oder die Wahl anderweitig direkt manipuliert wurde, gibt es keinen Grund, das Ergebnis selbst anzufechten. Wichtiger ist es, aus den Erkenntnissen Schlüsse zu ziehen und Vorbereitungen zu treffen, um eine ähnlichen Angriff auf eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft mit garantierter Meinungsfreiheit zu verhindern – egal aus welcher Richtung. In den USA stehen die nächsten wichtigen Wahlen ja nun schon wieder bevor.

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[Update 05.11.2018 – 08:30 Uhr] Der Einbruch in den E-Mail-Account von John Podesta geschah Anfang 2016. Die falsche Jahreszahl wurde korrigiert. (mho)