Portfolio Tobi Müller – Eine Ruhrpott-Dystopie
Seite 2: Spazieren gehen und fotografieren
Das Analoge passt auch perfekt zu Müllers Art zu fotografieren. Denn er versucht stets, unscheinbare Motive aufzuspüren, die richtig inszeniert eine besondere Wirkung entfalten können. Dafür ist er viel mit der Kamera unterwegs und immer auf der Suche nach möglichen Spots und Motiven, gerne auch mit Google Maps. Die besten Fotos entstehen für ihn jedoch spontan auf seinen Fotostreifzügen. Denn gerade das erste Foto eines Walks ist wichtig, um in den Prozess zu kommen, also nicht lange überlegen, sondern einfach draufhalten.
Zwar lässt er sich auch von Fotoserien leiten und arbeitet meist an unterschiedlichen Themen, wie einer Serie über den Bahnhof oder andere Transit-Orte, jedoch spielt bei seiner Arbeitsweise ein anderer Aspekt noch eine wichtige Rolle: "Durch die analoge Fotografie denkt man auch in Filmen. Ich überlege vorher, welcher Film für die jeweilige Session passt, und versuche dann, einen Film voll zu bekommen, sodass sich ein ähnlicher Charakter durch die 36 Bilder zieht."
Und selbstverständlich spielt Licht eine entscheidende Rolle, in letzter Zeit aber auch Nebel. Den sieht man in vielen seiner Bilder und er ist ein wichtiges Stilmittel, das den eigentlich profanen Motiven wie Bahnhöfen, Brücken und Autobahnen eine diffuse und auch etwas geheimnisvolle Stimmung verleiht.
Motivlandschaft Ruhrgebiet
Das Ruhrgebiet gilt zwar nicht als die schönste Region Deutschlands, zumindest nicht im klassischen Sinne, aber der sogenannte "Pott" bietet Fotografen unzählige Motive. Sei es für die Street-, die Landschafts- oder auch die Architekturfotografie. Die hier präsentierten Bilder bringen alle drei Genres zusammen. Müllers Aufnahmen vom Duisburger Hauptbahnhof, der als einer der marodesten Bahnhöfe im Ruhrgebiet gilt und deshalb bis 2028 komplett saniert werden soll, zeigen auf interessante Weise eine Architektur, die weder schön noch heil ist. Aber genau das macht ihren Reiz aus, denn die Klebestreifen, mit denen die zerbrochenen Fensterscheiben zusammengehalten werden, machen das Bild auffällig und speziell. Müller dazu: "Das Motiv hat mich total motiviert. Daran habe ich gelernt, was Lichtverhältnisse und unterschiedlicher Film ausmachen können. Außerdem ist das Gleis inzwischen umgebaut und die Scheiben sind weg, dadurch bekommt das Foto auch einen nostalgischen Wert."
Viele von Müllers Bildern sind entweder Aufnahmen einer Ruhrgebietslandschaft, die von Autobahnen, Zubringerbrücken und Strommasten geprägt ist, oder eben Bilder von typischen urbanen Orten im Pott wie Pommesbuden, Spielhallen oder eben Trinkhallen. Für ihn gibt es in der Region viel zu entdecken und so lässt er sich nicht auf ein fotografisches Genre festlegen. Müller, der in Duisburg geboren und aufgewachsen ist und heute in Bochum lebt, sagt über die größte Metropolregion Europas: "Das Ruhrgebiet allgemein ist einfach besonders, ich glaube, entweder wird man hier verschlungen oder man lernt, es zu lieben. Hier ist vieles marode, nahezu dystopisch, aber dadurch auch sehr cineastisch."
(vat)