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Streiks in Hollywood: Die Streaming-Dürre ist nicht mehr abwendbar​

| Nico Jurran

Die Hollywood-Streiks plagen Dienste wie Netflix oder Disney+ – und ihre Nutzer. Neue Filme und Serien verzögern sich, auch die Langzeitfolgen sind immens.

Es sind schwierige Zeiten für Hollywood und die Streaming-Dienste: Wegen Streiks in der Branche fallen geplante Filme und Serien aus den USA reihenweise ins Wasser. Ersatz ist nur schwer zu bekommen – es droht eine monatelange Ebbe an neuem Content, der auch Nutzern der Streaming-Dienste übel aufstoßen dürfte.

Seit Mai streikt in den USA die Gewerkschaft der Autoren in der Film- und Fernsehbranche WGA (Writers Guild of America), Mitte Juli folgte die US-Schauspielergewerkschaft SAG-AFTRA (Screen Actors Guild-American Federation of Television and Radio Artists). Über ihre Forderungen berichtete c’t bereits ausführlich [1]. Noch immer ist keine Einigung in Sicht.

Die Auswirkungen sind aber schon jetzt verheerend: Mittlerweile liegen etwa über 50 Filme auf Eis, deren Produktionen bereits gestartet waren oder in absehbarer Zeit starten sollten – darunter die Fortsetzung des in zwei Teilen aufgesplitteten Tom-Cruise-Actionstreifens "Mission: Impossible – Dead Reckoning", "Deadpool 3" und "Gladiator 2", die Fortsetzung des bekannten Monumentalfilms.

Der 1. Teil von "Mission: Impossible – Dead Reckoning" kam erst nach erheblichen Verzögerungen durch die Corona-Pandemie in diesem Jahr endlich ins Kino, nun liegt nach US-Medienberichten Teil 2 aufgrund des Schauspielerstreiks auf Eis.

(Bild: Paramount Pictures)

Hinzu kommen über 150 Serienstaffeln, darunter unzählige Originals der bekannten Streaming-Dienste. Das trifft die Betreiber gleich doppelt hart: Zum einen lässt sich generell mit Serien über mehrere Wochen "Strecke machen", sprich Abonnenten bei der Stange halten. Zum anderen fangen die Dienste bei Fortsetzungen beliebter Serien nicht bei null an, sondern bauen auf einer Fanbasis auf.

Nutzer von Amazon Prime Video müssen unter anderem auf die 4. Staffel von "The Boys" sowie die 2. Staffel von "Citadel" warten. Kuriose Auswirkungen hat der Autorenstreik auf die Serie "Good Omens": Die 2. Staffel wurde zwar knapp vor Streikbeginn fertig, jedoch fehlten die Untertitel. Die schusterte Amazon laut Drehbuchautors Neil Gaiman vor der Veröffentlichung schnell in Eigenregie zusammen [2] – offenbar ohne das Ergebnis noch einmal gründlich zu prüfen. Manche Untertitel wichen daher erheblich von den Dialogen ab, worüber sich Zuschauer im Netz beschwerten.

Auch die 2. Staffel von HBOs "The Last Of Us", deren erste Staffel in Deutschland bei Sky lief, verzögert sich wegen der Streiks. Das (zweite) "Game of Thrones"-Prequel "A Knight of the Seven Kingdoms: The Hedge Knight" liegt derzeit ebenfalls auf Eis.

Einige Verwirrung gab es um die 2. Staffel der Star-Wars-Serie "Andor" für Disney+, bei der Tony Gilroy als "Showrunner" eine Doppelrolle als Drehbuchautor und ausführender Produzent einnimmt. Gilroy wird vorgeworfen, seine Position als Produzent nach Aufforderung von Disney auch nach dem Beginn des WGA-Streiks ausgeübt zu haben. Gilroy erklärte jedoch, alle Arbeiten niedergelegt zu haben. Mit dem Start des SAG-Streiks hat sich die Produktion aber ohnehin erst einmal erledigt. Ebenso liegen die 4. Staffel von "The Mandalorian" und mehrere neue Marvel-Serien auf Eis – darunter "Ironheart", die zwar abgedreht ist, aber in der Postproduktion derzeit nicht weiterkommt.

Besonders im Fokus steht zweifellos Netflix – nicht zuletzt, weil der Dienst einen sehr großen Ausstoß an Serien hat. Die Presse berichtet dabei vorwiegend über die 5. Staffel von "Stranger Things". Das Skript der Mystery-Serie ist generell fertig, die Produktion wurde aber schon vor dem Beginn des Schauspielerstreiks gestoppt. Die für die Serie verantwortlichen Duffer-Brüder teilten dazu auf Twitter mit, dass "das Schreiben nicht aufhöre, wenn die Dreharbeiten beginnen". Aber auch etliche andere bekannte und beliebte Serien stecken in verschiedenen Produktionsphasen fest, darunter "Cobra Kai" (Staffel 6), "Emily in Paris" (Staffel 4), "FUBAR" (Staffel 2), "The Night Agent", "The Recruit" und "Wednesday" (jeweils Staffel 2).

Mehr von c't Magazin Mehr von c't Magazin [3]

Es ging aber auch noch schlimmere Folgen der Streiks als eine Verschiebung auf unbestimmte Zeit: Nach einem Bericht der Branchenseite Deadline [4] wurde die Produktion der für Apple TV+ vorgesehenen Serie "Metropolis" nach dem gleichnamigen Filmklassiker von Fritz Lang sogar komplett gestrichen. Grund dafür soll sein, dass die Streiks die ohnehin schon immensen Kosten in der Vorproduktionsphase noch einmal so in die Höhe getrieben hätten, dass sich das Projekt nicht mehr profitabel realisiert ließ.

Laut Variety soll Amazon Studios bei der Serie "Peripherie" die Produktion der 2. Staffel wieder abgeblasen haben, nachdem die Kosten aufgrund der Streiks in die Höhe geschossen waren.

(Bild: Amazon Studios)

Auch die 2. Staffel der Science-Fiction-Serie "Peripherie" nach dem gleichnamigen Roman von William Gibson, die als Original bei Amazon Prime Video lief, fiel laut Variety [5] aus diesem Grund dem Rotstift zum Opfer – nachdem Amazon bereits grünes Licht für die Fortsetzung gegeben hatte. Es geht um riesige Produktionskosten: Die 1. Staffel soll bereits 175 Millionen US-Dollar verschlungen haben.

Die 2. Staffel von "Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht" soll Amazon Prime Video laut Variety hingegen nach dem Beginn des Autorenstreiks, aber vor Start des Schauspielerstreiks fertig gedreht haben – nur eben ohne die beiden Showrunner J.D. Payne und Patrick McKay, die WGA-Mitglieder sind.

Gut sieht es laut George R.R. Martin [6] auch hinsichtlich der 2. Staffel von HBOs "House Of The Dragon" aus: Die Drehbücher sollen hier gerade noch vor Beginn des Autorenstreiks fertig geworden sein. Und auch die Dreharbeiten gehen weiter, da die britischen Schauspieler keine SAG-Mitglieder sind. Ende Juli hieß es von Martin, die Hälfte der Episoden sei bereits im Kasten.

HBOs "House of the Dragon" wird mit britischen Darstellern gedreht und ist daher vom Schauspielerstreik in Hollywood nicht betroffen. Angeblich ist bereits die Hälfte der Episoden der 2. Staffel im Kasten.

(Bild: HBO)

Das bedeutet aber keinesfalls, dass generell Produktionen, die außerhalb der USA gedreht werden, von den Streiks unbeeinflusst bleiben. Auch deren Drehbücher können ja von US-amerikanischen Autoren stammen, die sich nun im Ausstand befinden. Mit Verweis auf die Hollywood-Streiks meldete das weltberühmte Studio Babelsberg, in dem Filme wie "Inglourious Basterds" entstanden sind, für 40 von 100 Mitarbeitern Kurzarbeit bis März 2024 an.

Problematisch ist es auch, wenn zur Besetzung SAG-Mitglieder zählen. Deadline hatte in diesem Zusammenhang berichtet, dass für die auf Apple TV+ laufende Serie "Slow Horses" (in der Mache ist die 3. und 4. Staffel) sogar vor dem Schauspielerstreik noch schnell Szenen mit SAG-Mitgliedern vorab gedreht worden seien.

Bei einer Reihe internationaler Produktionen ist der Status daher aktuell unklar. Auf entsprechende Nachfragen erhielt c’t von keinem der Streamingdienste hilfreiche Aussagen.

Für die US-Dienste ist es in der Regel jetzt zu spät, ausländische Produktionen komplett neu zu starten. Sie würden auch die anstehende Dürrezeit nicht überbrücken können. Netflix hat aber bereits 2012 angefangen, sich international breit aufzustellen – zuerst mit der norwegisch-US-amerikanischen Krimiserie "Lilyhammer". Das dürfte sich nun auszahlen.

So veröffentlichte Netflix zu Beginn dieses Jahres einen Trailer für über 20 neue spanische Filme und Serien, darunter ein Ableger der Erfolgsserie "Haus des Geldes". Ende April gab Co-CEO Ted Sarandos dann bekannt, man werde in den kommenden vier Jahren zweieinhalb Milliarden US-Dollar in Korea investieren, um Fernsehserien, Filme und Drehbücher zu produzieren. Und schließlich ist davon die Rede, dass Netflix im kommenden Jahr mehr deutsche Produktionen veröffentlichen wird als je zuvor.

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Allerdings bewirbt Netflix die Internationalisierung nicht explizit mit Bezug auf die Streiks – wohl, um in Hollywood nicht als schwarzes Schaf dazustehen, das die Streikenden auflaufen lässt. Und auch Netflix kann die enormen Auswirkungen der Streiks nicht komplett umschiffen: Zweifellos stehen Hollywood-Produktionen, auch und gerade bei den deutschen Nutzern, hoch im Kurs und machen einen großen Teil des Erfolges des Dienstes aus.

Trotzdem dürfte Netflix in die Hände spielen, dass andere Streaming-Anbieter wie Disney aktuell finanziell etwas klamm sind und sich daher darauf einlassen müssen, Lizenzen an konkurrierende Dienste abzugeben [8]. Allerdings wird man abwarten müssen, wie gut sich die Löcher damit stopfen lassen – zumal ja auch dort kaum neuer Content nachkommt.

Was viele in Deutschland oft nicht mitbekommen: Die Streiks legen nicht nur die Film- und Serienproduktionen in Hollywood lahm, sondern ebenso die in den USA so beliebten Late-Night-Talkshows – zum einen, weil deren Gagschreiber die Arbeit niedergelegt haben, zum anderen, weil Schauspieler als Gäste ausfallen. Die machen auf Weisung ihrer Gewerkschaft nämlich keine Werbung für ihre laufenden Filme.

Das wird die Studios aber auch zum Problem hinsichtlich der Filme, die fertig produziert sind und eigentlich in den kommenden Wochen und Monaten ins Kino kommen sollten. So möchte Warner offenbar nicht auf die Promo-Kampagnen mit den Schauspielern verzichten und verschob jüngst den Kinostart von "Dune 2" vom 2. November 2023 auf den 15. März 2024 (in Deutschland eventuell einen Tag früher) – nachdem das Studio kurz zuvor Trailer zur Fortsetzung veröffentlicht hatte. Und mit dem Kinostart verschiebt sich natürlich auch die Heimkino-Auswertung.

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Variety deutet das neue Veröffentlichungsdatum von "Dune 2" als Zweifel der Studios daran, dass der Schauspieler-Streik bis November beigelegt wird. Nach Angaben des Branchenmagazins würde bei Warner daher auch diskutiert, ob man die Kinostarts der Neuverfilmung von "Die Farbe Lila" und das "Aquaman"-Sequel, die beide Ende Dezember anlaufen sollten, ebenfalls nach hinten verlegt.

Bei "Die Farbe Lila" kommt neben dem Wegfall der Werbung seitens der Darsteller ein weiterer Punkt hinzu: Der Film gilt als Kandidat für Filmpreise, deren Verleihungen aktuell aber ebenfalls nicht im gewohnten Rahmen stattfinden können. Auch auf diese Art der Werbung will Warner offenbar nicht verzichten.

Selbst wenn die Streiks heute vorbei wären, würde sich die Welle aufgestauter Produktionen nicht mal eben abbauen. So erklärten mehrere Insider gegenüber c’t, dass sich die Situation Stand heute auch im kommenden Jahr nicht wieder normalisieren wird. Schließlich werden sich alle TV- und Filmproduzenten bei Wiederbeginn ebenso auf Produktionsmittel wie Kameras und Beleuchtung stürzen wie etwa auf Coloristen, Cutter oder Tonmeister – und Material wie Mitarbeiter stehen auch in Hollywood nicht unbegrenzt zur Verfügung. Gleiches gilt für Filmlocations einschließlich internationaler Studios. Es droht eine Knappheit an Personal und Equipment, die zu weiteren Verzögerungen führen könnte.

Das berühmte Studio Babelsberg musste aufgrund der Hollywoodstreiks Kurzarbeit anmelden, wird nach Ende der Konflikte aber wohl für längere Zeit volle Auftragsbücher haben.

(Bild: Studio Babelsberg)

Um Special-Effects-Spezialisten gab es sogar schon vor dem Beginn des Autorenstreiks regelrechte Wettkämpfe, wie die Macher von "The Last Of Us" im offiziellen Podcast zur HBO-Serie seinerzeit berichteten. Das für Zuschauer wenig erfreuliche Ergebnis: Im Zweifel werden Aufträge auch an Firmen vergeben, deren Special Effects sichtbar nicht auf der Höhe der Zeit sind.

Und je länger der Streik andauert, desto mehr Produktionen stauen sich auf, in denen dieselben Schauspieler mitwirken sollten. So spielt etwa Harrison Ford sowohl in der Serie "1923" auf Paramount+ als auch in der Serie "Shrinking" auf Apple TV+ eine Hauptrolle. Andere Schauspieler sind "nebenbei" erfolgreiche Produzenten. So ist etwa Reese Witherspoon in der IMDb allein bei über einem Dutzend bevorstehende Projekte in dieser Funktion gelistet; in fünf davon soll sie zudem auch mitspielen.

Auch wenn die Videostreaming-Dienste aktuell noch einige US-Produktionen in der Pipeline haben, ist eine Ebbe in den kommenden Monaten nicht mehr abwendbar. Der Zustrom an neuen Inhalten aus Hollywood wird in den kommenden Monaten mehr und mehr versiegen. Doch obwohl alle Streamingdienste von der Situation betroffen sind, zeichnet sich ab, dass einige Betreiber mehr zu kämpfen haben werden als andere.

Sollte es Netflix gelingen, seine Nutzer (weiterhin) für internationale Produktionen zu begeistern, brächte dies zumindest eine gewisse Entlastung. Disney+ und Paramount+ dürften wiederum tief in ihren Archiven graben, um beliebte Katalogtitel zu finden, mit denen sich Fans begeistern lassen. Ob das jedoch reicht, um eine Dürrezeit mit wenigen "Star Wars"- und "Marvel"-Serien zu überstehen, ist zweifelhaft.

Noch schwerer dürften es Amazon Prime Video und Apple TV+ haben, denen außer einigen internationalen Produktionen wenig bleibt, worauf die Dienste zurückgreifen können. Allgemein ist davon auszugehen, dass bei allen Diensten neben mehr Dokumentationen vor allem viele Shows sowie Reality-Formate zu sehen sein werden, bis sich die Situation wieder entspannt hat. Diese Formate lassen sich schließlich mit vergleichsweise geringem Aufwand schnell produzieren und kommen auch ohne Hollywood-Stars aus.

Es ist dennoch sehr wahrscheinlich, dass die Streiks der Streaming-Szene so zusetzen wird, dass die Dienste einen massiven Schwund an Kunden hinnehmen müssen – und einige Anbieter endgültig baden gehen könnten.

[Update: Formulierung geändert, die verstanden werden konnte, dass sich der Autor Pleiten von Streaminganbietern wünscht.]] (nij [10])


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[3] https://www.heise.de/ct/
[4] https://deadline.com/2023/06/metropolis-tv-series-dead-writers-strike-sam-esmail-ucp-apple-tv-plus-production-costs-1235419899/
[5] https://variety.com/2023/tv/news/the-peripheral-canceled-amazon-season-2-renewal-1235700019/
[6] https://georgerrmartin.com/notablog/2023/07/22/actors-join-the-strike/
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