Von Amman nach Düsseldorf – eingewandert für die IT-Security

Der IT-Sektor braucht mehr Fachkräfte, aber die sind rar. Ein Security-Start-up aus Düsseldorf warb eine Jordanierin an, die von ihren Erfahrungen berichtet.

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Viele verschiedene Menschen arbeiten in einem Start-up zusammen

(Bild: GaudiLab/Shutterstock.com)

Lesezeit: 20 Min.
Inhaltsverzeichnis

Interessieren sich hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland für einen Job in Deutschland, dann kommt nach einer aktuellen Umfrage der OECD nur ein Bruchteil von diesen Menschen wirklich bei uns an. Heise online konnte mit der 25-jährigen Jordanierin Sewar Khalifeh sprechen, die im vergangenen Jahr bei dem Düsseldorfer Cybersecurity-Start-up Cloudyrion ihre Arbeit als Cybersecurity Consultant aufnahm.

Sewar gibt einen Einblick in ihre Migrationserfahrung, ihre Sicht auf Deutschland und den deutschen Arbeitsmarkt. Cloudyrion-Geschäftsführer Okay Güler sieht eine Gefahr in einer fehlenden Willkommenskultur.

Dass Frauen in Jordanien MINT-Fächer studieren, ist gar nicht selten(PDF). Jordanien rangiert allerdings seit Jahren auf den hintersten Plätzen des Gender Gap Reports des Weltwirtschaftsforum. Zwar genießen dort mittlerweile mehr Frauen als Männer eine Hochschulbildung, in einem Beruf oder in der Politik sind sie aber in der Folge wesentlich seltener vertreten. Hier mangelt es offenbar an Durchlässigkeit. Sind sie in Beschäftigung, zeigen sie im weltweiten Vergleich aber eine größere Präsenz unter den hohen Beamten und Managern. Trotzdem: In dem Ranking rangierte Deutschland 2023 auf Platz 6, Jordanien lag auf Platz 126; insgesamt wurden 146 Länder miteinander verglichen und eingestuft. Deutschland konnte sich in den vergangenen Jahren im Ranking immer weiter verbessern, Jordanien verschlechterte sich wieder.

Frauen erhalten in Jordanien zwar einen Zugang zu Bildung, sind aber später weniger beruflich aktiv oder in der Politik präsent.

(Bild: World Economic Forum, Global Gender Gap Index Indicators 2023, Jordanien)

Wie der Geschäftsführer von Cloudyrion, Okay Güler, heise online mitteilte, ist die Rekrutierung im Ausland für ihn nichts Ungewöhnliches. Dadurch entstehe in dem Unternehmen eher zufällig eine diverse Belegschaft, die aus seiner Sicht aber auch den diversen IT-Markt widerspiegelt. Momentan kommen die Beschäftigten des Start-ups aus mehr als zehn Ländern – darunter Bangladesch, Syrien, Tunesien, Albanien und Großbritannien. Für die Anwerbung nutzt das Unternehmen neben LinkedIn auch andere Soziale Netzwerke.

Kommen neue Angestellte ursprünglich aus dem Ausland, werden diese bei Behördengängen zur Visa-Ausstellung oder für die Einbürgerung unterstützt. Laut Güler helfe man auch bei der Wohnungssuche. Da diese momentan ohnehin eher schwierig ist, weil Vermieter teilweise "Berührungsängste" zeigten, wird eine kostenlose Wohnung für die ersten sechs Monate gestellt. Dass Menschen aus dem Ausland bei der Wohnungssuche Diskriminierungserfahrungen machen, wurde auch in der OECD-Befragung festgestellt. Güler warnt davor, was eine fehlende Willkommenskultur anrichten könnte: Es bestehe das Risiko, "dass Talente, die sich in Deutschland aufgrund des fehlenden sozialen Anschlusses oder zu hoher bürokratischer Hürden nicht willkommen fühlen, das Land verlassen, nachdem sie gut ausgebildet wurden."

Momentan sei Deutschland immer noch attraktiv für Arbeitskräfte aus dem Ausland, erklärt er. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz setze auch klare positive Signale. Aufgrund des demographischen Wandels könne sich Deutschland aber nicht nur auf die Zuwanderung von Fachkräften verlassen. Auch der Einstieg von Quereinsteigern solle mehr gefördert werden. Cloudyrion fehlen für dieses Jahr zehn weitere Fachkräfte.

Sewar Khalifeh – Cybersecurity Consultant

(Bild: 

Cloudyrion

)

Sewar Khalifeh ist in Jordanien geboren und aufgewachsen und hat dort ihren Bachelor im Fach "Networks and Information Security Engineering" an der Princess Sumaya University for Technology abgeschlossen. Im Herbst 2023 nahm sie ihre Arbeit bei dem IT-Security Start-up Cloudyrion in Düsseldorf auf. Sie ist 25 Jahre alt.

Sewar, du bist 2023 als Consultant für Cybersecurity nach Düsseldorf gekommen. Wie kam es dazu?

Meine Reise begann nicht erst vergangenen September, als ich nach Deutschland kam. Ich habe mich schon einige Jahre auf meine Migration nach Deutschland vorbereitet. Ich glaube, das begann in den letzten Jahren meines Studiums. Das war vor drei Jahren, also 2020, als die Corona-Pandemie begann.

Es fing damit an, dass ich nach guten Möglichkeiten suchte, in meinem Beruf zu arbeiten; ich studierte damals Cybersicherheit.

Wieso genau bist du auf die Idee gekommen, nach Deutschland zu gehen? Wieso ist es beispielsweise nicht Frankreich oder Spanien oder ein ganz anderes Land geworden?

Ich habe bereits mit Deutschland zu tun gehabt, weil Verwandte von mir bereits hier leben und arbeiten. Ich habe Deutschland also auch schon besucht, bevor ich mich dazu entschieden habe, hier einen Job zu finden und ein Arbeitsvisum zu erhalten. In meinem direkten Umfeld in Jordanien und auch an meiner Universität gilt Deutschland als beliebtes Ziel.

In Amman, wo ich an der Princess Sumaya University studiert habe, gibt es auch ein Goethe-Institut. Dort konnte ich schon erste Sprachkurse und Workshops absolvieren. Obwohl ich hier auch merke, dass ein Sprachkurs das eine ist, das Sprechen in Deutschland, dann doch etwas anderes. Ich werde also vielleicht doch etwas länger als gedacht brauchen, die Sprache richtig zu beherrschen. Deshalb führen wir dieses Gespräch auch auf Englisch.

Deutschland ist damals und auch heute noch ein Land für mich, das ich als eines sehe, was eine gute Infrastruktur hat und auch das Potenzial, ein führendes Land in Bezug auf Technologien in Europa zu sein. Ich weiß, dass das im Moment noch nicht ganz der Fall ist, aber ich sehe das Potenzial. Die digitale Transformation läuft noch nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe, aber es tut sich was.

In Jordanien gibt es wesentlich mehr Frauen, die Informatik, Physik oder Mathematik studieren, als das in Deutschland üblich ist. Hast du eine Idee, weshalb das so ist? Und was genau war dein Studiengang?

Warum in anderen Ländern mehr Frauen Informatik studieren, kann ich nicht genau sagen. Ich hatte mich auf Cybersicherheit in Netzwerken spezialisiert, ich habe also nicht mit Informatik angefangen, um mich dann zu spezialisieren. Ich habe mit einem reinen Hauptfach namens "Networks and Information Security Engineering" begonnen. Das war tatsächlich einer der ersten Studiengänge in Jordanien zu diesem Bereich. Ich glaube, er ist circa 2014 an meiner Universität gestartet. Davor gab es schon die Schwerpunkte Informatik, Netzwerktechnik, Computertechnik usw. Also allgemeinere Studiengänge.

Seit der Coronavirus-Pandemie haben die Universitäten in Jordanien aber damit begonnen, spezielle Studiengänge zu KI zu entwickeln, für Gaming, für Cybersicherheit. Man kann seinen ganzen Bachelor so ausrichten.

Das klingt sehr fortschrittlich.

Ja, aber zugleich ist das Angebot noch nicht vollständig. Dass ich mich nach anderen Ländern umgesehen habe, liegt auch daran, dass ich in Jordanien nicht die passenden Forschungsmöglichkeiten hatte.

Hier in Deutschland könnte und möchte ich noch einen Master-Abschluss machen – dafür habe ich die Ruhr-Universität Bochum in den Blick genommen. Was die in Sachen Cybersicherheit erforschen, ist phänomenal.

Würdest du den Master dann parallel zu deinem Job machen wollen?

Ja, das geht hier ja – dass man das in Teilzeit machen kann. In Jordanien kann man zwar auch arbeiten, während man studiert, dort ist es aber eher üblich, sich durch kleinere Service-Jobs etwas dazuzuverdienen.

In Deutschland ist es hingegen recht normal, dass man schon während der Ausbildung auch in den dazugehörigen Jobs arbeitet – unser duales Ausbildungssystem ist so gestrickt.

Ja, das finde ich wirklich gut und ich möchte das auch gerne so machen.

Nochmal zurück zu deinem Studium und auch zu deinen Kommilitonen. Wurde dein Bachelor hier anerkannt und wer waren deine Mitstudierenden?

Mein Bachelorstudium hat dort fünf Jahre gedauert. Mein Abschluss wurde auch als Bachelor of Science in Deutschland anerkannt.

Für uns Frauen in Jordanien ist ein technisches oder naturwissenschaftliches Studium tatsächlich nichts Ungewöhnliches. Der Unterschied in Deutschland ist mir auch aufgefallen. Der wurde mir klar, als ich hier ankam. Ich war ehrlich gesagt ein bisschen schockiert, als ich Statistiken dazu sah und was mir meine Kollegen hier erzählten.

Warum das so ist? Einer der Hauptgründe ist aus meiner Sicht, dass diese Studiengänge uns Frauen die Möglichkeit geben, einen wirklich guten Job zu bekommen. In meiner Studienzeit waren die meisten meiner Kollegen tatsächlich Frauen.

Haben oder hatten deine Kommilitoninnen ähnliche Pläne wie du?

Ob diese Frauen auch ins Ausland gehen wollen wie ich, hängt von verschiedensten Faktoren ab. Der familiäre Hintergrund und die Vermögenssituation spielen eine Rolle. Wie überall sonst gibt es auch in Jordanien liberale und konservative Gebiete. Das ist diverser, als man vielleicht glauben mag.

Je nach Region unterstützen die Familien einen solchen Schritt oder auch nicht. Auch ist für jede der Schritt ins Ausland eine unterschiedlich große Herausforderung. Nicht alle fühlen sich gleichermaßen wohl bei dem Gedanken, so weit von Zuhause zu leben. Auch streben nicht alle nach der bestmöglichen Förderung für ihre Forschung und wollen ihre Karriere lieber in Jordanien machen. Die Jobchancen für uns Frauen sehen im Ausland aber schon besser aus, denke ich.

Ist Deutschland eigentlich nur eine Karrierestation für dich oder willst du dauerhaft bleiben?

Ich kann mir gut vorstellen, hier zu bleiben. Ich kann hier wachsen, glaube ich. Und ich sehe das Potenzial in Deutschland und möchte auch selbst dazu beitragen.

Wie bist du auf Cloudyrion in Düsseldorf aufmerksam geworden? Gab es dahin auch schon Verbindungen?

Nein. Ich habe die Anzeige für Cloudyrion tatsächlich bei Linkedin gesehen und mich auch darüber beworben. Mich hat der Claim der Firma angezogen: "Secure by Design". Der mag zwar vielleicht schon länger bekannt sein, ich habe aber oft genug gesehen, dass Security by Design noch nicht überall implementiert wird. Bei Cloudyrion geht es jetzt nicht mehr nur um Netzwerk-, sondern auch um Anwendungs- und Cloudsicherheit. Das gefällt mir aber gut.

Wie schätzt du deine Rolle dort ein und wie sieht dein Arbeitsalltag genau aus?

Meine Rolle ist entscheidend für nachhalitges Kundenvertrauen und dafür, dass Sicherheit in den frühen Entwurfs- und Entwicklungsprozess eingebettet wird. So kann ich gewährleisten, dass Sicherheit eine Kernkomponente und nicht nur ein nachträglicher Gedanke ist. Und in meiner Rolle setze ich mich für die wichtigsten Prinzipien ein, um Sicherheit in unsere Projekte und unsere Kultur zu integrieren. Dazu gehören benutzerfreundliche Sicherheitsmaßnahmen, die Nutzung von Erkenntnissen aus der Community für robuste Designs und die Minimierung potenzieller Schwachstellen durch Reduzierung der Angriffsfläche.

Diese Kernstrategien leiten mich bei meinen täglichen Bemühungen, eine sicherheitsbewusste Kultur aufzubauen, etwa durch Schulungen und offene Diskussionsrunden. Dadurch wird nicht nur die Sicherheitslage verbessert, sondern auch ein Umfeld geschaffen, in dem Sicherheit als grundlegender Aspekt gedacht wird. So entsteht ein Mindset, bei dem aus Fehlern gelernt wird und das seine Erkenntnisse für eine sichere und effiziente Weiterentwicklung nutzt.

Ein Teil meines Arbeitstages besteht natürlich auch aus kontinuierlichem Lernen und Recherchieren, um über die neuesten Cyber-Bedrohungen, Sicherheitstrends und Technologien auf dem Laufenden zu bleiben. Nur so kann ich potenzielle Sicherheitsprobleme antizipieren und über Präventivmaßnahmen beraten. Auch die Suche nach einem Gleichgewicht zwischen sicheren und benutzerfreundlichen Systemen oder Anwendungen ist eine ständige Herausforderung. Doch ich beteilige mich gerne an der Suche danach und stehe dafür, dass gute Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit sich nicht ausschließen müssen.

Was mir an meiner Aufgabe am meisten gefällt, ist der dynamische Charakter der Cybersicherheit; es ist ein Bereich, der sich ständig weiterentwickelt, was kontinuierliches Lernen und Anpassung erfordert. Ein System erfolgreich zu sichern, das Sicherheitsbedrohungen standhält, und zu wissen, dass meine Arbeit direkt dazu beiträgt, das Unternehmen und seine Kunden vor Cyberrisiken zu schützen, macht mich sehr zufrieden.

Hast du auch schon in Jordanien in deinem heutigen Job gearbeitet oder bist du direkt nach dem Studium migriert?

Ich habe zwei Jahre Berufserfahrung in Jordanien gesammelt – bei einer Bank. Ich war dort im Architekturteam. Netzwerksicherheit ist ja mein Spezialgebiet.

Wie lief deine Einarbeitung? Und hat dir dein neuer Arbeitgeber dabei geholfen, hier richtig in Deutschland anzukommen?

Als ich das Angebot von Cloudyrion bekam, haben sie mir von Anfang an geholfen. Mein Arbeitgeber half mir mit Dokumenten, bei der Anmeldung, bei der Erlangung der Aufenthaltsgenehmigung und dabei, die Regeln in Deutschland zu verstehen.

Dein Arbeitgeber hat eine eher diverse Mitarbeiterschaft. Wie ist das für dich? Kommst du gut mit Kolleginnen und Kollegen klar, die aus völlig anderen Kulturkreisen kommen?

Das ist ehrlich gesagt für mich das Schönste. Für mich ist diese Vielfalt bereichernd. Sie ist mir aber auch nicht neu, weil die Tech-Community aus meiner Sicht im Allgemeinen so ist. Wir sind dafür bekannt, dass wir, egal wo wir arbeiten, eine geschlossene Gemeinschaft bilden. Deshalb halte ich die Tech-Community auch für ein gutes Vorbild. Wir stehen für Vielfalt und für einen Austausch von Wissen.

Frauen sind bei Cloudyrion aber eigentlich auch unterrepräsentiert, oder?

Das stimmt, das liegt wohl daran, dass es in Deutschland allgemein eher weniger Frauen gibt, die Informatik studieren und in meinem Bereich arbeiten. Bei Cloudyrion habe ich eine weitere direkte Kollegin und es gibt noch Frauen in der Personalabteilung oder als Büroleitung.

Es wird allerdings einiges dafür getan, das zu ändern, etwa durch Initiativen, um Mädchen und Frauen für Tech-Themen zu interessieren. So kommen beispielsweise am Girl’s Day Schülerinnen zu Besuch, um im Rahmen eines Role-Model-Programms Frauen aus der IT-Welt kennenzulernen.

Reagieren deutsche Kunden deshalb vielleicht auch mal anders auf eine Frau als Consultant?

Bisher habe ich da keine Probleme wahrgenommen. Ich denke aber auch, dass es diese Art von Diskriminierung gibt. Weder in Jordanien, noch in Deutschland musste ich das aber bisher erleben.

Bei Cloudyrion läuft also alles gut – was schön zu hören ist. Wie sind deine Erfahrungen, wenn du dich außerhalb deiner Arbeit bewegst?

Ich mache bisher gute Erfahrungen. Düsseldorf wirkt auf mich sehr vielfältig und offen. Aber ich kann mir vorstellen, dass es in eher ländlichen Gegenden etwas anders ist. In Jordanien sind dort auf jeden Fall auch eher geschlossene Gruppen zu finden, während das in größeren Städten nicht so ist.

Du hast sicherlich mitbekommen, dass in Deutschland eine Partei in Umfragen mehr Zuspruch erhalten hat, die sich gegen Migration wendet und auch fremdenfeindliche Aussagen tätigt. Wie geht es dir damit?

Das ist die AfD, nicht wahr?

Ja, genau.

Mich macht das traurig. Zugleich weiß ich, dass es diese Diskussionen schon länger gibt, in ganz Europa – dass Rechtsextreme mehr Zuspruch erfahren. Allerdings bin ich auch noch nicht lange genug hier, um mich damit im Detail auseinandergesetzt zu haben.

In Düsseldorf gab es dagegen aber gerade eine große Demonstration. Die habe ich gesehen, mit vielen Plakaten – und da liefen nicht nur Migranten, sondern sehr viele Deutsche, meine ich. Das hat für mich die offene und demokratische Seite von Deutschland gezeigt.

Was mich persönlich sehr traurig macht, ist Folgendes: Ich sehe, was Deutschland mir alles geben kann und ich möchte aber nicht nur nehmen, sondern auch etwas zurückgeben. Ich möchte zum Fortschritt dieses Landes beitragen und bin dankbar, dass ich hier leben darf. Ich würde mich freuen, wenn das auch gesehen würde.

Hast du vor den deutschen Pass zu bekommen?

Das ist ein Thema für die Zukunft, ich bin ja gerade erst angekommen und muss jetzt meinen Weg finden. Ich arbeite schon an meinen Sprachfertigkeiten. Ich habe jetzt das Level B1 erreicht. Ich habe aber auch festgestellt, dass das B1, welches ich schon in Jordanien erreicht hatte, hier dann doch noch nicht reichte. Wirklich mit Deutschen zu sprechen, spiegelt nicht die Erfahrung in den Kursen wider. Ich habe hier also tatsächlich noch einmal A1 wiederholt und auch hier abnehmen lassen. Und so mache ich weiter.

Wenn ich die nächsten Jahre hier an meinen Kenntnissen gearbeitet und mich hier weiterhin so wohlfühle, werde ich mich eine Einbürgerung kümmern. Jetzt gerade will ich erstmal richtig ankommen und loslegen.

Sprecht ihr denn bei Cloudyrion Deutsch oder gibt es eine andere Geschäftssprache?

Dort sprechen wir hauptsächlich Englisch. Auch die Kunden kommunizieren mit uns häufig auf Englisch. Deutsch muss aber natürlich auch gesprochen werden können. Und im Alltag ist Deutsch natürlich sehr wichtig – sonst komme ich gar nicht richtig in die Gesellschaft rein. Ich habe auch schon einige Menschen getroffen, die kein Englisch können und das zwingt mich dann dazu, mein Deutsch weiter zu üben. Die Überwindung fällt manchmal schwer, aber im Endeffekt muss ich da durch. Es ist wichtig, dass ich die Sprache kann.

Muss Deutschland aus deiner Sicht mehr dafür tun, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich besser in Gemeinden integrieren können?

Ich halte die Sprachkurse für außerordentlich wichtig. Es sollte aber sicherlich auch genauer geschaut werden, wo sich Menschen, die aus dem Ausland kommen, häufig treffen und welche Angebote es dann für sie gibt. Dort sollte man eine Vermischung mit Einheimischen versuchen.

In Vereinen wie etwa Sportvereinen klappt das manchmal ganz gut – man trifft sich über gemeinsame Interessen.

Ja, das denke ich auch. In Deutschland wird ja so gerne gewandert oder Fahrrad gefahren. Auch dort könnte man sich kennenlernen.

Ich habe auch in Jordanien erlebt, dass Deutsche, die ich dort kennenlernte, sehr versucht haben, uns einzubinden. Wir haben uns über das Goethe-Institut kennengelernt. Sie haben auch gesagt, dass man – wenn man dann nach Deutschland kommt – sich auch deutschen Gruppen anschließen sollte. Das hat mir auch den Eindruck vermittelt, dass man – wenn man dann nach Deutschland geht - dort auch willkommen ist.

Falls dich Jordanier zu deinen Erfahrungen in Deutschland befragen, was sagst du denen dann?

Ich berichte ihnen, dass es hier in der Forschung große Chancen gibt. Die wird hier richtig unterstützt. Das ist etwas, was mir in Jordanien in diesem Umfang gefehlt hat. Auch als Ingenieur kann man hier sehr viele tolle Sachen machen – oder wenn man etwas mit erneuerbaren Energien studiert. In Jordanien entwickelt sich dieser Bereich gerade erst.

Was hier auch toll ist: Viele internationale Experten kommen nach Deutschland und ich erlebe hier sowieso viel Vielfalt, die ich einfach mag. Nicht nur bei Cloudyrion erlebe ich das so, sondern auch im Alltag. Ich möchte damit nicht sagen, dass Jordanien diese Vielfalt fehlt – innerhalb der arabischen Region sind wir auch vielfältig. In Deutschland gibt es aber Menschen aus sehr verschiedenen Regionen, die Unterschiede sind noch einmal anders. Menschen von den verschiedensten Kontinenten kommen zusammen.

Was ich in Düsseldorf total schätze, ist ja zum Beispiel das japanische Viertel. Dort gehe ich gerne hin und unterhalte mich mit den Menschen dort. Das ist noch einmal etwas ganz anderes, als ob ich via Internet mit anderen Menschen Kontakt habe.

Eine etwas abschreckende Erfahrung ist die Bürokratie. Ich denke aber, dass das eines der Probleme ist, die wir Tech-Leute lösen können. Natürlich können wir nicht alles vereinfachen, aber ich denke, dass Vieles einfacher gehen könnte. Es ist schon erstaunlich, was es hier alles nur auf Papier und nicht online gibt.

Da du nun schon ein paar Monate hier bist: Was ist dir jetzt noch besonders fremd?

Das Wetter ist hier seltsam. Daran muss ich mich erst einmal gewöhnen. Es wechselt teilweise so schnell. In dieser Schnelligkeit kenne ich das nicht aus Jordanien. Dort hat sich das Wetter durch den Klimawandel zwar auch stärker verändert, aber es ist anders. Früher konnte man dort noch genau vier Jahreszeiten erkennen, jetzt werden die Sommer immer länger und die Winter auch. Das Dazwischen geht mehr verloren.

Wie würdest du deine Migrationserfahrung zusammenfassen?

Manchmal kommt mir meine Laufbahn und alles, was ich dafür machen muss, wie ein Spiel vor, in dem ich Punkte sammle – also Credits. Für alles, was ich tue, bekomme ich Credits. Das gilt auch für die Migration und die ganzen damit einhergehenden Aufgaben.

Migration mit Gamification-Elementen?

Ja – und ich sammel’ jetzt weiter Punkte.

(kbe)