Fachkräftemangel: Zu hohe Gehaltsvorstellungen, unterqualifizierte Bewerber

Immer mehr offene IT-Stellen in Deutschland: Der Bitkom zeigt, wie sich die Lage verschärfte und woran Unternehmen und Bewerber scheitern.

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(Bild: iX)

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149.000 offene Stellen für IT-Experten, 12.000 mehr als im Vorjahr: Der Fachkräftemangel verschärft sich weiter, wie der Branchenverband Bitkom in seiner aktuellen Erhebung angibt. 70 Prozent der befragten Firmen meint, dass es einen solchen Mangel gäbe, nur 2 Prozent halten hingegen das Angebot auf dem Arbeitsmarkt für ausreichend. Und 77 Prozent befürchten, dass sich die Situation verschärfen wird, während bloß 3 Prozent von einer Besserung ausgehen. Im Schnitt bleiben Stellen für 7,7 Monate unbesetzt, bei 21 Prozent der Befragten sogar für 10 bis 12 Monate.

(Bild: Bitkom Research 2023)

Die Zahl der Absolventen eines Studiums der Fächergruppe Informatik ist im Vergleich zu 2022 jedoch von 32.125 auf 34.385 gestiegen. 72.389 neue Studenten erfasste die Erhebung zudem – allerdings liegt die Abbrecherquote dauerhaft bei über 50 Prozent. Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst unterstreicht: "Den steigenden Bedarf an IT-Fachkräften werden wir aus den Hochschulen nicht decken können." Entsprechend besetzen Unternehmen viele Stellen mit Quereinsteigern, aktuell 23 Prozent der Neueinstellungen.

26 Prozent der Firmen erhalten schlicht keine Bewerbungen auf die ausgeschriebenen Stellen. Zentraler Knackpunkt ist jedoch das Gehalt: Hier seien die Vorstellungen der Bewerber falsch, da sie nicht zum gewachsenen Gehaltsgefüge des Unternehmens (61 Prozent) oder den geforderten Kompetenzen (56 Prozent) passen würden. 46 Prozent seien zudem fachlich unterqualifiziert, in 41 Prozent der Fälle fehle es an notwendigen Soft-Skills und 35 Prozent fehlen die nötigen Deutschkenntnisse. Fremdsprachen seien hingegen bloß bei 18 Prozent ein Problem. Allerdings ist gerade die Gehaltsfrage auch unter Experten nicht unumstritten – Personalberater beklagen zum Beispiel überzogene Wunschlisten von Unternehmen, die ein Bewerber kaum erfüllen könne.

(Bild: Bitkom Research 2023)

Hinzu kommen die weiteren Wünsche der Bewerber: Deren Anforderungen ans mobile Arbeiten – mit dem Homeoffice als beliebtestem Benefit – sei für 40 Prozent der Befragten nicht zu erfüllen, 29 Prozent fordern zudem eine Reisebereitschaft oder einen Umzug ihrer Mitarbeiter. Von den Bewerbern geforderte Optionen zur Weiterbildung sind für 19 Prozent ein Hindernis – und 18 Prozent der Unternehmen geben zu, dass ihre Personalabteilung die nötigen Entscheidungen schlicht zu langsam treffe. Ein zu hohes Alter der neuen Kollegen ist nur in 6 Prozent der Fälle ein Hindernis. Trotzdem fordert Wintergerst "Anreize für ältere Beschäftigte und unbürokratisches Arbeiten jenseits der Altersgrenze".

Passend zum Quereinstieg setzen 54 Prozent der Unternehmen auf eine zentrale Weiterbildungsstrategie, 67 Prozent bilden die eigenen Mitarbeiter im Bereich digitale Kompetenzen weiter – 2017 lagen beide Werte noch bei 37 Prozent, ein deutlicher Anstieg der Bereitschaft zur Weiterqualifikation von Angestellten. Auf die Politik wollen die Befragten dabei meist nicht warten, denn 70 Prozent sehen sich beim Thema Weiterbildung selbst in der Verantwortung. Allerdings bemängeln 34 Prozent, dass die Beschäftigten keine Lust auf die Schulbank hätten und genauso vielen fehlt die Zeit dafür. 31 Prozent beklagen ein zu unübersichtliches Angebot an Weiterbildungen, 22 Prozent können sich die Programme zudem nicht leisten.

Anwerbungen aus dem Ausland sind bloß für 22 Prozent eine Option, die 8 Prozent bereits versucht haben und sich 14 Prozent vorstellen können. Entscheidend sind hierbei jedoch laut Erhebung nicht die von 24 Prozent befürchteten schlechten Deutschkenntnisse, sondern der Aufwand: 75 Prozent fehlen ausreichende Informationen zum Einwanderungsprozess und 67 Prozent beklagen einen zu hohen bürokratischen Aufwand – und 44 Prozent geben an, dass die Visum-Erteilung zu lange gedauert habe. Abgelehnt wurde ein solches jedoch bloß in 8 Prozent der Fälle.

(Bild: Bitkom Research 2023)

Auf Einwandererseite beklagen ebenfalls 80 Prozent bürokratische Hürden, 62 Prozent der Unternehmen geben zudem an, dass die neuen Mitarbeiter von Ausländerfeindlichkeit berichten. 10 Prozent sehen Anfeindungen am Arbeitsplatz selbst als Problem. Andererseits bemängeln 30 Prozent der Unternehmen Probleme bei der sprachlichen oder kulturellen Integration. Hinzu kommen Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche (47 Prozent) und beim Familiennachzug (46 Prozent). Wintergerst fordert, dass Deutschland "ein attraktives Einwanderungsland" werden müsse.

Alternativ wäre jedoch ein Ersetzen der offenen oder bereits besetzter Stellen durch KI eine Option: 48 Prozent der Unternehmen glauben, dass das funktionieren könne. Vor allem Standardaufgaben (57 Prozent) und beim Programmieren (42 Prozent) könnten solche Assistenten helfen. Auch Arbeitszeugnisse wollen 40 Prozent durch eine KI schreiben lassen – und 32 Prozent wollen gleich die Arbeitsleistungen der Mitarbeiter so bewerten lassen, 31 Prozent können sich eine so ausgelagerte Vorauswahl von Bewerbern vorstellen. 15 Prozent meinen jedoch, dass eine KI bei keiner der angefragten Aufgaben sinnvoll unterstützen könne.

Details zu diesen Ergebnissen und mehr Zahlen finden sich in der Umfrage. Sie ist repräsentativ und wurde unter 853 Unternehmen aller Branchen mit wenigstens drei Mitarbeitern durchgeführt.

(fo)