Raumfahrt: Reisen mit Warp-Geschwindigkeit

Kann Forschung an fantastischen Vorhaben wie der überlichtschnellen Raumfahrt seriös sein? Ja, weil sie tatsächlich funktionieren könnte.

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Damit ein Raumschiff schneller als Licht fliegen kann, müsste es das Gefüge der Raumzeit vor und hinter sich verzerren. Ob das physikalisch tatsächlich Sinn ergibt, darüber streitet die Wissenschaft noch.

(Bild: Gregoire Cirade/ Science Photo Library)

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Lesezeit: 11 Min.
Inhaltsverzeichnis

"The true final frontier is time", sagt Captain Picard im Trailer seiner Serie "Star Trek: Picard". Seit kurzem ist die nun dritte und letzte Staffel der SciFi-Serie sowohl bei Amazons Prime Video als auch bei Paramount+ angelaufen. Zusammen mit "Strange New Worlds" und "Discovery" ist das Star-Trek-Universum bei den Streamingdiensten gut vertreten. Keine Frage: Die Reisen durch Deep Space faszinieren.

Das trifft auch auf den jungen Mann zu, der da am Computer sitzt. Er sieht nicht aus wie der sprichwörtliche Nerd, der komplette Folgen seiner Liebling-SF auswendig kann und sich am liebsten in mächtigen Sternenkreuzern von der Erde wegträumt. Eher wirkt Joseph Agnew wie der freundliche, junge Ingenieursstudent von nebenan – praktisch, pragmatisch, an Technik interessiert, aber durchaus lebenstauglich.


Dieser Text erschien erstmals in der Ausgabe 8/2020 von MIT Technology Review. Wir veröffentlichen ihn an dieser Stelle kostenfrei lesbar. Ein pdf der Ausgabe ist im heise shop erhältlich.


Und doch hat Agnew Großes vor: Er glaubt, dass überlichtschnelle Antriebe für Raumschiffe tatsächlich möglich sind – und das will er auch beweisen. Quasi als Aufwärmübung hat Agnew, der an der University of Alabama Maschinenbau studiert, dazu 2019 einen wissenschaftlichen Aufsatz geschrieben. 14 Seiten voller Formeln und Grafiken, die in Fachkreisen für Aufsehen gesorgt haben. Denn vielen Wissenschaftlern war bis dahin nicht bewusst, dass die Idee zwar hoch spekulativ ist, aber wissenschaftlich keineswegs unmöglich.

Dabei hat sich diese Erkenntnis schon vor 25 Jahren angedeutet: Der mexikanischen Physiker Miguel Alcubierre, der sich mit Gravitationstheorie beschäftigt, kam 1994 in seiner Freizeit – der Legende zufolge, nachdem er mehrere Episoden „Star Trek“ gesehen hatte – auf eine Idee: Statt wie üblich zu berechnen, welche Wirkung eine gegebene Masse – zum Beispiel ein Stern – auf das Raum-Zeit-Kontinuum hat, berechnete Alcubierre, welche Massenverteilung man benötigen würde, um das Gefüge des Universums so zu verzerren, dass überlichtschnelles Reisen möglich ist.

„Ich kann noch nicht behaupten, dass ich die Mathematik dahinter vollständig verstehe“, gesteht Agnew. „Tensoren sind erst in diesem Semester dran.“ Mithilfe dieser mathematischen Konstrukte kann man physikalische Größen in gekrümmten Räumen berechnen, aber die Methode ist nicht gerade anschaulich – selbst Einstein soll sich jedoch an diesem mathematischen Apparat jahrelang abgearbeitet haben. „Aber das Prinzip ist relativ simpel. Man braucht eine Kompression des Raumes vor dem Schiff und eine Ausdehnung der Raumzeit dahinter“, erklärt Agnew. Ein Raumschiff, das inmitten dieser Raum-Zeit-Verzerrung sitzt, würde sich relativ zu dem umgebenden Raum zwar in Ruhe befinden – seine Passagiere wären also keinerlei Beschleunigungskräften ausgesetzt. Doch die Raumverzerrung würde sich wie eine Welle durch das Universum bewegen, auf der das Schiff surft, um sich so schneller als das Licht zu bewegen.

So fantastisch die Sache klingen mag: Dreh- und Angelpunkt der Spekulationen ist tatsächlich solide Physik: In seiner speziellen Relativitätstheorie diskutierte Albert Einstein erstmals die Konsequenzen des sogenannten Universalitätsprinzips: Das besagt, dass in Systemen, die sich relativ zueinander mit einer konstanten Geschwindigkeit bewegen, die gleichen physikalischen Gesetze gelten müssen. Daraus folgt erstens, dass Raum und Zeit nicht unveränderlich sind, sondern sich in den verschiedenen Systemen voneinander unterscheiden. Und zweitens, dass man Raum und Zeit nicht unabhängig voneinander beschreiben kann. Mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie konnte Einstein schließlich zeigen, dass dieses „Raum-Zeit-Kontinuum“ durch Massen verzerrt wird.

Joseph Agnew (University of Alabama): "Der Energiebedarf für einen Warp Drive lässt sich drastisch reduzieren."

(Bild: UAH)

Dass der gesunde Menschenverstand so viele Schwierigkeiten mit dieser Theorie hat, liegt daran, dass wir diese Raum-Zeit-Verzerrungen nicht bemerken können. Für einen lokalen Beobachter ist der Raum tatsächlich „flach“ – ein Meter erscheint uns in jeder beliebigen Richtung und an jedem beliebigen Punkt als ein Meter. In Wirklichkeit, so sagt es die allgemeine Relativitätstheorie, bewegen wir uns im Raum-Zeit-Gefüge wie Ameisen, die auf einem Apfel krabbeln. Um auf dem kürzesten Weg von Punkt A nach Punkt B zu gelangen, laufen die Tierchen aus ihrer Perspektive auf schnurgeraden Wegen – in Wahrheit aber auf sogenannten Geodäten. Diese Raumkrümmung durch eine Masse erklärt laut Einstein auch die Bahnen, auf denen sich die Planeten bewegen. Die anziehende Wirkung, die zwei Massen aufeinander ausüben, ist demzufolge also nur ein Effekt der Raumkrümmung.

Dass Massen die Raumzeit krümmen, klingt schon fantastisch genug. Aber noch unglaubwürdiger scheint die Tatsache, dass die Raumzeit sich zusammenziehen und ausdehnen soll – die eigentliche Bedingung für Reisen in Überlichtgeschwindigkeit. Tatsächlich gehen Kosmologen aber davon aus, dass das Universum selbst sich seit seinem spektakulären Anfang, dem Urknall, ausdehnt. Die Entfernungen zu anderen Galaxien nehmen permanent zu, weil der Raum dazwischen selbst größer wird.

Agnews Aufsatz steht also nicht im Widerspruch zum Stand der Wissenschaft. „Ich behaupte nicht selbst, dass es überlichtschnelle Raumschiffantriebe geben würde. Ich sage nur: Seht mal, hier gibt es jede Menge ernsthafte und kluge Wissenschaftler, die etwas dazu veröffentlicht haben“, sagt er.

Damit landet man bei der Frage: Wie lässt sich die Raumzeit mit diesem Ziel manipulieren? Einfach wird es nicht, das gleich vorweg. Denn dass die Berechnungen von Alcubierre die Lösung der Einsteinschen Feldgleichungen sind, „ist mathematisch korrekt, bedeutet physikalisch aber erst mal überhaupt gar nichts“, sagt die Physikerin und Autorin Sabine Hossenfelder, die sich in ihrer akademischen Arbeit mit Gravitation und Quantengravitation beschäftigt und in ihren Büchern die mathematischen Irrwege der modernen Physik kritisiert. „Man kann die Gleichungen einfach zurückrechnen und kommt dann zu einer Massenverteilung, die den Raum so verzerrt, wie man das eben vorgegeben hat. Das heißt noch lange nicht, dass es wirklich eine Massenverteilung gibt, mit der man das tun kann.“

Das größte Problem von Acubierres Lösung ist nicht einmal, dass man für den Warp-Antrieb in etwa die Masse eines Planeten von der Größe des Jupiters bräuchte – zumindest in Agnews Augen. „Das lässt sich drastisch reduzieren“, sagt er. „Je stärker die Krümmung verläuft, desto mehr Energie brauchen Sie. Wenn Sie die Geometrie der Krümmung geschickt wählen, können Sie den Energiebedarf um mehrere Größenordnungen reduzieren.“

Die noch viel größere Herausforderung ist, dass die Expansion der Raumzeit auf der anderen Seite des Schiffes eine gigantische „negative Masse“ erfordern würde. Und die herzustellen ist bisher niemandem gelungen. Und selbst wenn, dürfte es ziemlich schwierig werden, sie zu speichern, da Gravitation auf die hypothetischen Teilchen abstoßend wirken würde. Agnew will sich davon jedoch nicht entmutigen lassen. Er setzt darauf, dass es gelingt, mithilfe bisher unbekannter Wechselwirkungen kleinste Änderungen im Raum-Zeit-Gefüge zu erzeugen. „Es gibt zum Beispiel den Casimir-Effekt“, sagt Agnew. „Eine anziehende Kraft zwischen zwei Platten, zwischen denen ein extrem kleiner Spalt ist. Das kann man damit erklären, dass zwischen den Platten die Energie kleiner ist als außen, also negativ – was einer negativen Masse entsprechen würde.“ Andere Wissenschaftler setzten darauf, dass sich die Gravitation durch extrem starke Magnetfelder abschwächen lässt. „Wenn man auch nur einen kleinen Effekt in dieser Richtung nachweisen könnte, wüsste man, dass es sich lohnt, weiterzuarbeiten.“

Sabine Hossenfelder würde allerdings „kein riesengroßes Forschungsgebiet darauf ansetzen“. Es lohnt sich in ihren Augen zwar, über diese Dinge nachzudenken, „denn was die Gravitation angeht, haben wir eine ganze Menge noch immer nicht verstanden“. Aber sie hat große Zweifel, ob so etwas wie negative Masse tatsächlich existiert, hält das Konzept sogar für „unphysikalisch“. „In der Quantenmechanik können Teilchen nicht nur zerfallen, sondern Paare von Teilchen können auch spontan entstehen“, erklärt sie.

Sabine Hossenfelder (Frankfurt Institute for Advanced Studies): "Das Quantenvakuum würde instabil werden."

(Bild: Jan Vetter/Dpa Picture-Alliance)

„Allerdings muss dabei immer die Energieerhaltung gelten.“ Teilchen negativer Masse hätten aber logischerweise auch eine negative Energie. Ein Paar aus positiver und negativer Masse würde damit die Energie null besitzen. „Aus dem Vakuum heraus könnten also ständig Paare negativer und positiver Masse entstehen und den Raum fluten. Das Quantenvakuum würde instabil werden.“ Weil das Vakuum aber offensichtlich nicht instabil ist – das Universum existiert ja noch –, kann es auch keine negativen Massen geben, so Hossenfelders Argument. Allerdings räumt sie ein, dass auch dieses Argument einen Schönheitsfehler hat: Es wirft Quantentheorie und allgemeine Relativitätstheorie zusammen – was bis heute nicht widerspruchsfrei gelungen ist.

„Wenn jemand sagt, dieses und jenes sei nicht möglich, frage ich immer erst mal nach dem Experiment, das diese Behauptung belegt“, sagt Martin Tajmar von der TU Dresden. So wie Agnew ist auch Tajmar davon überzeugt, dass sich sogar das Problem mit den negativen Massen lösen lässt. „Grundsätzlich sind negative Massen nicht unmöglich“, sagt er. „Ich erzähle meinen Studierenden gern die Geschichte von Max Planck. Dem hat ein Münchner Professor nämlich vom Physik-Studium abgeraten, weil die wesentlichen Fragen längst beantwortet wären. Er möge also lieber gleich Ingenieur werden, das sei nützlicher“, sagt Tajmar. „Mit den paar Fragen, die angeblich noch offen waren, hat Planck dann die Physik völlig umgekrempelt und die Grundlagen für die Quantenmechanik gelegt.“

An seinem Institut in Dresden arbeiten Tajmar und seine Kollegen nicht nur an konventionellen elektrischen und chemischen Antrieben für Raumfahrzeuge. Sie untersuchen auch exotische Konzepte wie den sogenannten EmDrive, der unter anderem vom Nasa-Wissenschaftler Harold White als möglicher interstellarer Antrieb in die Diskussion gebracht wurde. Laut seinem Erfinder, dem britischen Ingenieur Roger Shawyer, sollten in dem konisch zulaufenden Zylinder elektromagnetische Wellen hin und her reflektiert werden.

Ein winzig kleiner Unterschied in der Wellenlänge – und damit dem Strahlungsdruck – an beiden Enden des Zylinders sollte einen permanenten Schub bewirken, der sich am Ende doch zu einer hohen interstellaren Geschwindigkeit aufsummieren sollte. „Um solche Effekte zu untersuchen, haben wir extrem genaue Messstände entwickelt“, sagt Tajmar. „Und wir konnten tatsächlich Schub messen. Allerdings funktioniert der Antrieb nur im Magnetfeld der Erde. Damit wäre also nichts gewonnen.“

Wenn es aber gelingen würde, nur ein wenig negative Masse zu erzeugen, habe man das Problem so gut wie gelöst, erklärt der Forscher. Denn anders als herkömmliche Masse würde negative Masse sich gegen eine Kraft bewegen. Eine gleich große positive und negative Masse würden sich also gegenseitig anziehen und so in eine Richtung beschleunigen. Tatsächlich wurde so ein Verhalten bereits beobachtet: Martin Wimmer von der Universität Regensburg berichtete 2013 in „Nature Physics“ von dem Effekt – allerdings nur für Photonen.

Martin Tajmar von der TU Dresden stellt exotische Konzepte für Raumschiffantriebe auf den Prüfstand.

(Bild: Monika Skolimowska/Dpa Picture-Alliance)

„Wir müssen diese Grundlagenforschung jetzt auf reale Antriebssysteme im Labormaßstab umsetzen“, sagt Tajmar. Wie genau er das bewerkstelligen will, das verrät er allerdings nicht. Er will, so sagt er, „keine überzogenen Erwartungen wecken“, hat aber „durchaus verschiedene Kandidaten“ in der Pipeline. „Wenn ich Ergebnisse habe, werden Sie schon davon erfahren“, sagt Tajmar und lacht. „Bei uns wird alles wissenschaftlich publiziert. Mein Ziel ist, bis zu meiner Emeritierung den Antrieb für die erste interstellare Raumsonde zu bauen. Und wenn das nicht klappt, sage ich immer, ist das Schlimmste, was uns passieren kann, dass wir eine Menge dazugelernt haben.“

(wst)